Unterwegs in der Stadt der Zukunft „Besserer ÖPNV ist kein Traum“

Am 3. November dreht sich im Wissenschaftszentrum Bonn alles um die Stadt von morgen. Im Vorfeld befragte Ebba Hagenberg-Miliu die Bonner Experten Juliane Kemen und Alexander Hagg, die an neuen Ideen zur Mobilität von morgen forschen.

 Modell für die Zukunft? Das Velomobil, hier das kanadische Modell "Borealis".

Modell für die Zukunft? Das Velomobil, hier das kanadische Modell "Borealis".

Foto: picture alliance / dpa

Um Himmels Willen, Herr Hagg – wer oder was ist „Milan”?

Alexander Hagg: Das Milan ist ein Velomobil, ein geschlossenes muskelkraftbetriebenes Fahrzeug.

Auf jeden Fall aerodynamisch modelliert. Und wie sitzt man da drin?

Hagg: Man liegt wie im Liegefahrrad: nach hinten, aber mit dem Kopf gerade, damit man den Verkehr beachten kann.

Welche Fahrzeugtypen sollten denn für die Stadt von morgen ebenfalls optimaler modelliert werden?

Hagg: Grundsätzlich alles, was man sich vorstellen kann: PKW, LKW, aber auch die Schifffahrt und der Luftverkehr können optimiert werden.

Was ist in dem Zusammenhang der Algorithmus, an dem Sie arbeiten und der Ingenieuren erlauben soll, Fahrzeuge aerodynamischer und effizienter zu bauen?

Hagg: Wir arbeiten mit evolutionären Methoden und neuronalen Netzen. Das heißt, dass die Fahrzeugchassis sich ähnlich wie biologische Wesen miteinander paaren und überleben, wenn sie gut funktionieren. Gleichzeitig bauen wir künstliche Gehirne, die eine Vorhersage treffen können, ob eine Lösung gut funktioniert. Das läuft alles im Rechner ab.

Frau Kemen, mehr Fahrradfahrer, energieeffiziente Elektrobusse und Carsharing-Nutzer auch im Bonn der Zukunft: Ist das nur grüne Spinnerei oder eine Notwendigkeit?

Juliane Kemen: Besserer ÖPNV, mehr Fahrradfahrer und Fußgänger, das ist kein schöner Traum, sondern eine Notwendigkeit auf dem Weg zu mehr Sicherheit, besserer Gesundheit, einem schöneren Stadtbild und der Erreichung der Klimaziele.

Und wo stehen wir da in Bonn?

Kemen: Elektrobusse gibt es ja bereits. Mehrere Carsharing-Anbieter haben sich hier ebenfalls niedergelassen. Allerdings ist Car-sharing wie in den meisten Städten ein eher unscheinbares Nischenprodukt. Wenn die Angebote sichtbarer und vor allem dichter werden, dann werden die Menschen sie häufiger nutzen. Auch ein Fahrradverleihsystem mit vielen Stationen und Fahrrädern wäre ein toller Baustein in einem Gesamtkonzept für nachhaltige Mobilität.

Ist die Mehrzahl der Bürger denn überhaupt zu Veränderungen bereit?

Kemen: Das Verkehrsmittel-Nutzungsverhalten ist stark von Routine geprägt und wird im Alltag wenig hinterfragt. In bestimmten Umbruchsituationen wie einem Umzug oder der Geburt eines Kindes oder durch gezielte Interventionen lässt sich in diese Routine eingreifen. Aber auch ein verändertes Angebot kann Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl haben. Das Angebot muss aber sichtbar, verständlich und einfach nutzbar sein.

Sie schreiben gerade Ihre Doktorarbeit zum Thema ...

Kemen: Ich beschäftige mich mit den Auswirkungen der Verkehrsmittelnutzung auf dem Arbeitsweg auf die Gesundheit Berufstätiger. Die Ergebnisse sind sowohl für Arbeitgeber und Berufstätige als auch für Versicherungen von großem Interesse.

Aber geht es Unternehmen wirklich primär um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter?

Kemen: Häufig geht es primär um finanziellen oder zeitlichen Aufwand, der verringert werden soll. Aber was nützt mir ein Mitarbeiter, der zwar pünktlich da ist, aber durch den Stress auf dem Arbeitsweg unzufrieden ist und sich nicht gut konzentrieren kann?

Haben Sie schon Bonner Nutzer des Öffentlichen Nahverkehrs oder Bonner Radfahrer befragt?

Kemen: Ich suche noch Unternehmen oder Institutionen, die an meiner Untersuchung teilnehmen. Für meine Masterarbeit habe ich über 2000 Personen befragt und konnte bereits zeigen, dass sich die Verkehrsmittelwahl auf die Anzahl der Krankheitstage auswirkt. Unternehmen, die also Interesse haben, können sich sehr gerne bei mir melden.

Herr Hagg, kommen wir noch einmal zum Thema Elektrofahrzeuge. Da haben Sie eine Strategie zum Aufbau von Lade-Infrastruktur für Bonn und den Rhein-Sieg-Kreis entwickelt ...

Hagg: Genau. Wir haben die Pläne der Bundesregierung für das Jahr 2020 heruntergebrochen auf Bonn sowie den Rhein-Sieg-Kreis und mit Hilfe von evolutionären Methoden eine optimale Verteilung für ein paar Hundert Ladestationen gesucht – so viele, wie 2020 notwendig wären.

Wird Ihre Strategie denn genutzt werden?

Hagg: Ja. Aktuell wird in einem Folgeprojekt eine genauere Planung evolviert, die die Verkehrsströme in Bonn noch besser mit einbezieht. Dies wird für einen Teil der Stadt Bonn gemacht, damit hier ein Pilotprojekt ausgeführt werden kann. Die eigentliche Planung befindet sich aktuell auch im politischen Prozess. Anfang nächstes Jahr können wir dann wahrscheinlich mit Ergebnissen rechnen.

Der Wissenschaftstalk „To the Point“ findet zum dritten Mal im Wissenschaftszentrum Bonn, Ahrstraße 45, statt, und zwar am kommenden Donnerstag, 3. November, um 19 Uhr. Mit dabei sind auch Alexander Hagg und Julia Kemen. Nach „Robotik“ und „Weltraum“ folgt jetzt das Thema „Mobilität: Fair Mobility – Was Sie bewegt“. Um Online-Anmeldung wird gebeten unter: www.fair-mobility.eventbrite.de. Der Eintritt ist frei.

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