Zwangsweise zuhause: Was macht das mit der Beziehung? „Toleranz mit den Macken des Partners“

Bonn · Durch die Corona-Krise verbringen Paare und Familien mehr Zeit zusammen. Professor Rainer Banse, Beziehungspsychologe an der Universität Bonn, sieht darin auch eine Chance

 Professor Rainer Banse sagt: „Die viele Zeit, die Paare jetzt miteinander verbringen, wirkt als Beschleuniger oder Verstärker von Dingen, die vorher auch schon da waren.“

Professor Rainer Banse sagt: „Die viele Zeit, die Paare jetzt miteinander verbringen, wirkt als Beschleuniger oder Verstärker von Dingen, die vorher auch schon da waren.“

Foto: Gerhard Zerbes

Klar ist derzeit alles völlig anders als sonst. Nicht zuletzt zu Hause, wo Paare nun mehr Zeit miteinander verbringen als üblich – bei gleichzeitig deutlich weniger Zerstreuung außerhalb. Das kann sowohl zu mehr Konflikten als auch zu einer Stärkung der Beziehung führen, sagt Rainer Banse, Bonner Professor für Sozial- und Rechtspsychologie. Er rät dazu, optimistisch mit der Corona-Krise und den Folgen fürs häusliche Zusammensein umzugehen. Mit dem Experten für Beziehungspsychologie sprach Margit Warken-Dieke.

Fast nichts geht mehr. Die meisten Eltern bleiben mit ihren Kindern unfreiwillig, ungeplant und mindestens fünf Wochen lang zu Hause. Beide Partner werden ins Homeoffice geschickt. Sozialkontakte sollen wir zurückfahren. Was macht das mit uns?

Professor Rainer Banse: Dies ist nicht so einfach zu beantworten, weil wir eine solche Situation, zumindest in der jüngeren Vergangenheit, einfach noch nicht hatten. Noch nie ist die Routine einer so großen Bevölkerungsgruppe so massiv und so kurzfristig verändert worden. Aber klar ist, dass die individuelle Lebenssituation bestimmt, welche Konsequenzen der oder die einzelne trägt.

Was bedeutet das?

Banse: Zum Beispiel: Wer vorher schon einsam war, wird die Einsamkeit jetzt noch deutlicher spüren, weil nun kaum noch Ablenkungen außer Haus möglich sind.

Und wer nicht einsam ist, sondern als Paar nun sehr viel mehr Zeit zu Hause zusammen verbringt als sonst?

Banse: Die viele Zeit, die Paare jetzt absehbar miteinander verbringen, wirkt als Katalysator, also als Beschleuniger oder Verstärker von Dingen, die vorher auch schon da waren. Wenn das Paar glücklich ist, gut funktioniert und auch sonst keine großen Probleme miteinander hat, kann es nun eine gute Zeit miteinander genießen. Wenn es aber auch sonst Schwierigkeiten in der Beziehung gibt, könnten diese nun eskalieren. Es ist ein ähnliches Phänomen wie an Weihnachten oder im Urlaub. Einige Paare genießen die gemeinsame Pause vom Alltag, andere merken während dieses intensiven Zusammenseins, dass es in ihrer Beziehung Konflikte oder Probleme gibt.

Was ist wahrscheinlicher: Dass in Deutschland in neun bis zehn Monaten deutlich mehr Babys auf die Welt kommen als sonst, oder dass bald die Scheidungsrate ansteigt?

Banse: Die beiden Möglichkeiten schließen sich überhaupt nicht aus, eben weil es verschieden gestrickte Beziehungen gibt. Eine noch größere Ausnahmesituation, die wir derzeit hier noch nicht haben, ist sicher die totale Quarantäne. In China haben in Wuhan während dieser Phase die Fälle von häuslicher Gewalt deutlich zugenommen.

Was können Paare derzeit für Ihre Beziehung tun?

Banse: Ich glaube, es ist wichtig, die ganze derzeitige Situation nicht allzu schwarz zu malen, sondern ein bisschen optimistischer und positiver an sie heranzugehen. Der Zusammenhalt in der Nachbarschaft kann gestärkt werden, wir haben jetzt die Gelegenheit und auch Notwendigkeit, einfach mehr auf unsere Mitmenschen zu achten. Zudem bietet die Zeit jetzt eine gute Gelegenheit, die Beziehung zu stärken. Eigentlich haben wir Partner, um Situationen, die wir alleine nicht meistern können, doch irgendwie hin zu bekommen. Das können wir nun ausprobieren. In unserer Gesellschaft haben wir die Tendenz, hohe Erwartungen an unsere Liebesbeziehungen zu haben, aber wenig dafür zu tun, sie aktiv zu verbessern. Wenn es schwierig wird, trennen wir uns schnell. Befragungen von Geschiedenen haben ergeben, dass viele im Nachhinein bedauern, sich nicht stärker um ihre Beziehung bemüht und zu früh aufgegeben zu haben.

Wie könnte so ein Bemühen denn aussehen?

Banse: Wir sollten uns selbst, gerade wenn wir jetzt viel „aufeinanderhocken“, explizit sagen: „Es ist gut, nachsichtig und tolerant gegenüber dem Partner und seinen eventuellen Macken zu sein.“ Es ist sinnvoll, sich auf angenehme, gemeinsame Aktivitäten zu konzentrieren, um nicht in eine Negativ-Spirale hineinzukommen. Wenn wir einmal eine negative Einstellung, oder Haltung gegenüber unserem Partner haben, laufen wir Gefahr, dass sich diese von selbst weiter verstärkt. Wenn ein Konflikt kommt, sollten wir versuchen, ihn zu stoppen und nicht zu eskalieren – gerade in einer Situation, in der man sich nur schlecht aus dem Weg gehen kann. Es ist sinnvoll, das Gespräch über strittige Themen erst wieder aufzunehmen, wenn die Emotionen sich beruhigt haben. In der Zwischenzeit kann es zur Entspannung beitragen, die Dinge zu machen, zu denen man im normalen Alltag mit seinen vielen Terminen oft nicht kommt: endlich den neuen Krimi lesen, der schon so lange unangerührt im Regal steht oder mal wieder die Lieblingsserie schauen.

Zu den schwierigen Situationen, die viele Paare jetzt zusammen (oder auch abwechselnd) lösen müssen, gehört ja auch die Kinderbetreuung zu Hause. Kein Schwimmen, kein Sportverein, kein Junges Theater ...

Banse: Ja, Kinder kennen durch ihre Kita- und Schulroutine eine Struktur, die sie eigentlich jetzt auch brauchen. Sie haben die berechtigte Forderung, dass irgendetwas passieren muss, was für sie interessant ist. Da müssen Eltern neben der Zeit im Garten – falls vorhanden – kreativ werden beim Schaffen von Aktivitäten. Das Internet bietet dazu viele Ideen für Kinder aller Altersstufen. Jedoch sollten Eltern darauf achten, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder recht begrenzt ist. Größere Projekte, die das Interesse der Kinder gewinnen, wie der Bau einer Riesen-Höhle oder das 200er Puzzle, können auf mehrere Tage verteilt werden. Zeit ist ja jetzt genug da. Aber auch das kann man wieder als Herausforderung und somit positiv sehen: Den Tag für die Kinder zu strukturieren – zumindest bis zum Nachmittag –, überlassen die Eltern normalerweise der Kita oder der Schule und damit den Profis. Jetzt können Sie es mal selbst tun.

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