Rudolf Stichweh erforscht Diktaturen Autokraten im Visier

Bonn · Der Bonner Soziologieprofessor Rudolf Stichweh untersucht, wie autoritäre Systeme funktionieren. Dafür erhält er jetzt die renommierte Sarton-Medaille.

 In Russland klammert sich Wladimir Putin mit aller Kraft an die Macht.

In Russland klammert sich Wladimir Putin mit aller Kraft an die Macht.

Foto: AFP/ALEXEY DRUZHININ

Wie funktionieren Autokratien (also Ausprägungen einer Herrschaftsform, bei der die unumschränkte Staatsgewalt in der Hand eines einzelnen Menschen liegt)? Und warum?

Was motiviert rationale, aufgeklärte Menschen, Wladimir Putin zu bejubeln, Donald Trump zu wählen oder sich voller Überzeugung in den Dienst des chinesischen Staatsapparats zu stellen? Und was ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, so wie derzeit etwa in Belarus?

Es sind Fragen wie diese, die Professor Rudolf Stichweh besonders interessieren. Der Bonner Soziologe ist seit acht Jahren Direktor des Forums Internationale Wissenschaft (FIW) an der Uni ist und verantwortet dort zugleich die Abteilung für Demokratieforschung.

Stichweh ist fasziniert von dem Zusammenspiel einer Gesellschaft, von den zahlreichen Rädchen der unterschiedlichen Systeme, die im besten Fall ineinandergreifen und sich in der Realität doch immer wieder verkeilen.

Autokratische Systeme sehen ihre Macht als absolut an

 Rudolf Stichweh erforscht Diktaturen.

Rudolf Stichweh erforscht Diktaturen.

Foto: Thomas Kölsch

„Politik, Wissenschaft, Religion und viele andere Aspekte unseres Lebens bilden Strukturen, die sich gegenseitig anerkennen müssen“, erklärt der 68-Jährige im Gespräch. „Die Frage ist allerdings immer, ob und in welchem Maße dies gelingt. Autokratische Regime haben mit derartigen Differenzierungen Probleme. Sie sehen ihren Macht- und ihren Deutungsanspruch als absolut an und können daher zum Beispiel die Gerichte als Institutionen des Rechts nicht als unabhängige Kontrollinstanzen akzeptieren. Auch konfessionelle Neutralität ist solchen Herrschaftssystemen oft fremd, oder die Freiheit von Wissenschaft und Kunst.“

Im Grunde will Stichweh wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält – allerdings nicht auf physikalischer, sondern auf soziologischer Ebene. Dabei liegt ihm die politische Dimension eben so sehr am Herzen wie die wissenschaftliche, deren Untersuchung einen zweiten Kernbereich des Forums bildet. Nicht ohne Grund hat er sich einst in seiner Promotion und seiner Habilitation mit Wissenschaftsgeschichte beschäftigt.

Rudolf Stichweh erhält die Sarton-Medaille der Universität Gent

Für seine Leistungen in diesem Feld hat die Universität Gent den Bonner Forscher nun mit der „Sarton-Medaille für Wissenschaftsgeschichte“ ausgezeichnet, die nach dem belgisch-amerikanischen Wissenschaftshistoriker George Sarton (1884-1956) benannt ist und für besondere Verdienste in diesem Fach verliehen wird.

„Mich hat schon immer interessiert, wie Forschung in der Gesellschaft integriert ist“, sagt Stichweh. „Dabei ist gerade durch die Corona-Pandemie die Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik auf eine neue Ebene gehoben worden. Schon seit dem 17. Jahrhundert haben Experten Herrscher beraten, doch insbesondere in der Zeit von März bis Mai 2020 ist dieses Verhältnis geradezu explodiert.“

Doch der Einfluss der Wissenschaft auf die Gesellschaft im Allgemeinen und auf die Regierung im Besonderen ist nur ein Teil des Themas. Den anderen nimmt Stichweh neuerdings mit einer Forschungsgruppe des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte unter die Lupe.

„Wir suchen unter anderem nach universellen Normen und Werten von Wissenschaft, vor allem im Zusammenhang mit dem Einfluss von Regimen des 21. Jahrhunderts auf selbige“, erklärt Stichweh, der als Gastprofessor in der Lise-Meitner-Gruppe „China in the Global System of Science“ (siehe Infokasten) mitwirkt. „Diese Fragestellung passt hervorragend zur Demokratieforschung und bringt somit meine beiden Fachinteressen zusammen.“

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