Unsere Körperzellen haben ein Gedächtnis Das Wissen der Zellen

Bonn · Zellen sind lernfähig – und das nicht nur im Netzwerk: Am Bonner Forschungszentrum caesar spürt eine neue Expertengruppe unbekannte Lernprozesse im menschlichen Körper auf

 Dr. Aneta Koseska sagt: „Jede Zelle kann lernen und hat ein Gedächtnis.“

Dr. Aneta Koseska sagt: „Jede Zelle kann lernen und hat ein Gedächtnis.“

Foto: Christian Lünig

Jede Zelle kann lernen und hat ein eigenes biochemisches Gedächtnis, sagt die Zellbiologin Dr. Aneta Koseska. Damit funktionieren Zellen weitaus komplexer als Computer. Mit ihrer neu geschaffenen Lise-Meitner-Forschungsgruppe zur Förderung weiblicher Nachwuchskräfte in der Forschung am Bonner Forschungszentrum caesar möchte die Wissenschaftlerin in den kommenden Jahren das Theoriegerüst dazu entwickeln.

Sie arbeiten in Ihrer neuen Forschungsgruppe an „Cellular Computations and Learning“. Ein Gehirn ist oft schon mit einem Computer verglichen worden. Gilt das auch für Zellen? Und wo sind wesentliche Unterschiede?

Dr. Aneta Koseska: Wir beschäftigen uns mit den Fähigkeiten von einzelnen Zellen – wie sie kommunizieren, wie sie lernen und sich erinnern. Es gibt viele Aspekte, bei denen Zellen ähnlich arbeiten wie ein Computer. Aber gerade in den letzten Jahren haben wir herausgefunden: Vieles in der Funktionsweise einer Zelle lässt sich nicht mit den uns bekannten formalen Berechnungsmethoden eines Computers vergleichen. Das funktioniert sehr andersartig. Dafür brauchen wir ganz neue Konzepte.

Können Sie das näher erklären?

Koseska: Zellen, ob in einem Körper oder singulär, funktionieren in einem Umfeld, das sich ständig verändert. Sie müssen unterschiedlichste chemische Signale in Echtzeit verarbeiten und darauf reagieren. Dazu arbeiten sie die Aufgaben einerseits wie Roboter ab. Gleichzeitig müssen sie die eingehenden Signale ständig bewerten und gewichten und gegebenenfalls nachjustieren. Bei einer Schürfwunde beispielsweise gibt es eine große Anzahl an chemischen Stoffen, deren Verhältnis sich an Ort und Stelle verändert. Die Zelle muss das interpretieren, um zu erkennen: Jetzt muss ich eine Wunde schließen. Allerdings verändern sich die Signale ständig, aber die Zelle darf ihre Aufgabe nicht abbrechen. Sonst würde die Wunde nicht heilen. Darum müssen Zellen eine Art Gedächtnis haben. Das sagt ihnen mit dem Wissen aus der Vergangenheit, ob sie auf neue Signale reagieren sollen oder nicht. Das funktioniert völlig anders als ein Computer mit binären Schaltungen.

Gedächtnis und Lernen klingen nach aktiven Vorgängen, fast nach einer Art Persönlichkeit?

Koseska: Das wäre eher eine philosophische Frage. In der Vergangenheit haben wir viele kognitive Fähigkeiten vor allem mit Organismen in Verbindung gebracht, die über ein neuronales Netzwerk verfügen. Inzwischen wissen wir, dass auch wesentlich einfacher strukturierte Einzeller mit einem biochemisch organisierten Netzwerk einen internen Arbeitsspeicher besitzen. Wir haben das nicht nur theoretisch identifiziert und beschrieben, sondern auch in Experimenten nachgewiesen. Unser Ziel ist jetzt, ein Theoriegerüst über die Prinzipien der Informationsverarbeitung, wie Lernen und Gedächtnis, sowohl in biochemischen als auch neuronalen Netzwerken zu entwickeln. Das können wir dann an einzelnen Zellen praktisch überprüfen.

„Auch Einzeller besitzen einen internen Arbeitsspeicher“

An welchen Zelltypen arbeiten Sie?

Koseska: Unser Modellsystem sind Zellen, wie sie bei Entzündungsreaktionen zu finden sind. Solche Zelltypen wurden zwar schon sehr oft untersucht, aber soweit ich weiß noch nie unter den genannten Aspekten. Später würden wir das gerne auf Zellen des Immunsystems ausweiten, bei denen Lernen und Arbeitsspeicher ebenfalls wichtige Funktionen übernehmen.

Sie haben sich sowohl in Physik wie in Biochemie habilitiert. Wird der interdisziplinäre Ansatz auch Prinzip Ihrer neuen Forschungsgruppe?

Koseska: Ich habe mich tatsächlich zuerst in Potsdam in Theoretischer Physik habilitiert. Aber ich habe früh den Bezug zu lebenden Organismen gesehen, die ja auch beispielsweise im Bereich der Informationsverarbeitung physikalischen Gesetzen unterworfen sind. Diesen multidisziplinären Ansatz werde ich fortsetzen. Wir werden überwiegend theoretisch arbeiten, aber unsere Hypothesen dann auch an lebenden Zellen überprüfen.

Wie groß wird Ihre Gruppe sein?

Koseska: Ich bringe drei sehr enthusiastische Doktoranden mit.

Und wie lange läuft die Förderung?

Koseska: Zunächst auf fünf Jahre. Danach gibt es eine Evaluation und die Möglichkeit einer dauerhaften Förderung samt Forschungsgruppe oder einer Direktorinnen-Stelle in einem Max-Planck-Institut. Es ist eine große Ehre, auf diese Weise gefördert zu werden.

Wir haben in der Schule gelernt, wie Zellen aufgebaut sind, sich vermehren und miteinander kommunizieren. Wird sich dieses Bild mit Ihren Forschungen ändern?

Koseska: Ja, das Konzept der Informationsverarbeitung, das wir diskutieren, unterscheidet sich fundamental von dem, was bisher angenommen wurde. Wir werden – das ist meine Erwartung – im biochemischen Netzwerk innerhalb jeder Zelle wesentlich umfassendere Fähigkeiten entdecken, als man bislang gedacht hat. Das wird ganz neue Forschungsfelder eröffnen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort