Uni übergibt Abschiedsbrief Die letzten Gedanken des Bonner Mathematikers Felix Hausdorff
Bonn · Die Uni übergibt den Abschiedsbrief des von den Nazis in den Freitod getriebenen Felix Hausdorff an die Landesbibliothek. Dieser Brief zählt zu den ergreifendsten Dokumenten aus dem Besitz des Archivs der Uni Bonn. Er umschreibt die letzten Gedanken des jüdischen Mathematikprofessors.
Am tragischen Endpunkt dieses Lebens stand fast noch ein Scherz. „Auch Endenich ist noch vielleicht das Ende nich!“, reimte der renommierte Bonner Mathematikprofessor Felix Hausdorff am 25. Januar 1942 in seinem bekannten Abschiedsbrief an den Freund und Rechtsanwalt Hans Wollstein. Der 73-Jährige hatte wie seine Ehefrau und deren Schwester von den Nazis gerade die Einweisung ins Endenicher Kloster „Zur Ewigen Anbetung“ erhalten. Dort wurden die letzten jüdischen Mitbürger zusammengepfercht, um sie dann über Köln-Deutz in die Todeszüge zu stecken.
Hausdorff widerspricht hier mit klaren Lettern dem damals verbreiteten Gedanken, nach der Gefangenschaft im Kloster könne es „nicht mehr schlimmer werden“. Nein, „was in den letzten Monaten gegen die Juden geschehen ist, erweckt begründete Angst, dass man uns einen für uns erträglichen Zustand nicht mehr erleben lassen wird“, analysiert der Professor. Und er kündigt den dreifachen Freitod an: „Wenn Sie diese Zeilen erhalten, haben wir Drei das Problem auf andere Weise gelöst.“ Am 26. Januar 1942 nahm Hausdorff sich mit seiner Frau und deren Schwester das Leben.
Dieser Brief zählt zu den ergreifendsten Dokumenten aus dem Besitz des Archivs der Uni Bonn. Neulich wurde er auf die andere Seite des Hofgartens gebracht und der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn (ULB) übergeben. So sei der Nachlass Felix Hausdorffs wieder vollständig an einem Ort vereint, erklärte der ULB-Direktor Ulrich Meyer-Doerpinghaus. „Wir freuen uns sehr.“ Bis es soweit war, hatte das Dokument verschiedene Stationen durchlaufen. 1980 war der Nachlass des Professors, der als Mathematiker für seine Errungenschaften in Mengenlehre, Wahrscheinlichkeitstheorie und Funktionsanalysis bekannt ist, sich aber auch als Künstler und Philosoph einen Namen gemacht hatte, der ULB übergeben worden.
Der Abschiedsbrief Hausdorffs war ein Jahr später im Mathematischen Institut aufgetaucht und ins Uni-Archiv gelangt, wo er fleißig ausgeliehen wurde, aber 1996 plötzlich verschwand – eine Katastrophe für Chef-Archivar Thomas Becker, der damals gerade seine „Traumstelle“ angetreten hatte. 17 Jahre habe man das Original danach vergeblich gesucht, berichtete Becker in einem GA-Interview, während er in den Uni-Katakomben unter dem Hauptgebäude durch endlose Gänge mit über 4000 Regalmetern Bestand führte. „Und dann habe ich unten im Magazin noch einmal einen Stapel Laufpappen durchgeguckt, bevor er ins Altpapier kam“, sagte Becker leise. Plötzlich habe der Hausdorff-Brief rausgelugt. „Und da ist mir ganz schlecht geworden.“ Dieses wichtige Dokument sei in Gefahr gewesen, für immer zu verschwinden. Woraufhin Becker sein „Lieblingsbestandsstück“ demonstrativ im Haupthaus in einer Vitrine des Uni-Museums ausstellte. Nun hat er den Abschiedsbrief sicher schweren Herzens der ULB übergeben.
Hausdorff hatte seit Jahren geahnt, dass er in Lebensgefahr war. 1934 musste er, weil er jüdischer Abstammung war, seine letzte Bonner Vorlesungsreihe abbrechen und wurde zum 31. März 1935 zwangsemeritiert. Die Bibliothek des Instituts durfte er nicht mehr betreten. Er versuchte erfolglos, mit einem Forschungsstipendium in die USA zu fliehen. Bei einer kleinen Feier zu seinem 70. Geburtstag hatte er 1938 plötzlich grölende SA-Männer im Wohnzimmer stehen, die auch die Gäste beschimpften und drohten, ihn, den Juden, nach Madagaskar zu schaffen – da könne er „den Affen Mathematik lehren“. Es war die Pogromnacht.
Am 26. Januar 1942 schließlich standen Hausdorff, seine Frau und seine Schwägerin am Scheideweg. Ins Endenicher Kloster und damit in die Todeslager wollten die drei auf keinen Fall. Also versuchte der Professor mit seinem Freund per Brief ganz sachlich Dinge wie offene Rechnungen und die Übernahme der Bestattungskosten zu regeln. „Verzeihen Sie, dass wir Ihnen noch über den Tod hinaus Mühe verursachen“, bittet der bis in seine letzte Stunde disziplinierte und höfliche Mann den Anwalt. Und „verzeihen Sie uns auch unsere Desertion!“ Was der „Ihnen treu ergebene Felix Hausdorff“ noch mit der Hoffnung beendete: „Wir wünschen Ihnen und allen unseren Freunden, noch bessere Zeiten zu erleben.“ Auch im Fall des Anwalts sollte sich das nicht erfüllen: Hans Wollstein sollte bald darauf selbst in Auschwitz ermordet werden.