Skandinavische Fabelwesen Bonner Professor erforscht die Geschichte der Trolle

Bonn · Der Bonner Professor Rudolf Simek hat die Geschichte der Trolle erforscht und ein Buch darüber geschrieben. Nicht nur das Trollbild hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert, sondern auch ihr Bekanntheitsgrad.

 Die modernen Verniedlichungen der Trolle kann Rudolf Simek nicht nachvollziehen – das Bild, das der Professor zeigt, lässt ahnen, warum.

Die modernen Verniedlichungen der Trolle kann Rudolf Simek nicht nachvollziehen – das Bild, das der Professor zeigt, lässt ahnen, warum.

Foto: Benjamin Westhoff

Sie sind stark behaart, tragen Bärte, haben spitze Ohren, große Nasen und sehen niedlich aus – fast wie große Kinder. So oder zumindest so ähnlich stellen sich viele Menschen Trolle vor. Zum Ärger des Bonner Professors Rudolf Simek: „Diese modernen Verniedlichungen haben nichts mit dem ursprünglichen Bild eines Trolls zu tun. Trolle sind böse, sie sind bestimmt nicht harmlos.“

Nicht nur das Trollbild hat sich in den vergangenen 60 bis 70 Jahren stark verändert – seitdem werden Trolle etwa mit spitzen Ohren dargestellt –, sondern auch ihr Bekanntheitsgrad: In Deutschland kannte man Trolle noch im 19. Jahrhundert überhaupt nicht. „Als man Märchen aus Skandinavien für Deutschland übersetzt hat, wusste hierzulande niemand, was ein Troll sein sollte“, erklärt Simek, der sich als Professor für ältere Germanistik mit Einschluss des Nordischen seit Jahrzehnten mit skandinavischen Sagas und Wesen beschäftigt. Sein besonderes Interesse gilt den Trollen in vormodernen Glaubenswelten.

„In Deutschland hat man im 19. Jahrhundert Trolle noch als Unholde übersetzt“, sagt der Professor. Dass Trolle keine netten Gesellen sind, hat Simek in seinem Buch „Trolle: Ihre Geschichte von der nordischen Mythologie bis zum Internet“ herausgearbeitet. „Trolle leben im Gebirge oder im Wald und rauben Pferde oder Kinder, um sie zu essen – gerne auch roh. Pferdefleisch zu essen, galt unter Christen im Hochmittelalter als heidnisch, deshalb schrieb man es gerne den Trollen zu.“

Bei Tolkien stehlen Trolle die Ponys der Zwerge

Die Szenerie von den hungrigen Trollen, die gerne Pferde und Kinder verspeisen, erinnert aber auch an einen sehr populären Film, den Hobbit nach dem gleichnamigen Roman des englischen Fantasy-autors J.R.R. Tolkien. Dort stehlen drei Trolle die Ponys der Zwerge und entscheiden sich dann dafür, direkt alle zu essen. „Die Trolle des Filmregisseurs Peter Jackson sind nicht ganz so modern – sie haben keine spitzen Ohren, sind stark und nicht besonders helle“, sagt Simek. „In den mittelalterlichen Sagas spielen Trolle als Gegner der Menschen eine Rolle – es gibt Helden, die gegen sie kämpfen.“ Im Gegensatz zu manch anderen Fabelwesen etwa der Antike beherrschen Trolle in den Sagas die menschliche Sprache, sie reden mit Menschen und miteinander. Deshalb können Menschen sie zum Beispiel belauschen.

Trolle und Zwerge wurden in Skandinavien ursprünglich nicht als Wesen aus der Mythologie angesehen, sondern als real. „Wenn jemand im Gebirge verschollen war, hat man gesagt, ihn hätten die Trolle geholt“, sagt Simek. In einer Saga etwa verflucht eine Frau ihren Ehemann, der mit seinen Kumpanen ein Gelage veranstaltet, mit den Worten: „Euch sollen die Trolle holen!“

„Leider sind diese Sprichwörter heute nicht mehr gebräuchlich“, so Simek, der selbst Norwegisch sowie ein wenig Dänisch spricht und regelmäßig nach Nordeuropa reist. „Mein liebstes skandinavisches Land ist Norwegen, dort besuche ich Freunde auf einer Insel. Ich genieße das schon sehr – dieses Wahnsinns-Panorama, die Fjorde, das Meer und die Berge.“

Auch in seiner Freizeit beschäftigt sich der gebürtige Österreicher gerne mit mythischen Wesen. „Ich lese selbst auch Fantasy, zum Beispiel Terry Pratchett. Aber mitunter auch diese riesigen deutschen Trilogien – nicht zuletzt aus wissenschaftlichen Gründen, um zu wissen, worüber die Studenten sprechen und um zu sehen, wie mittelalterliche Stoffe rezipiert werden.“

„Eine Art Flucht aus der übertechnisierten Welt“

Für den Erfolg des Fantasy-Genres hat Simek eine eigene Erklärung: „Ich denke, es gibt ein Bedürfnis, in einer Welt zu leben, in der man noch alles durchschaut. Es ist eine Art Flucht aus der übertechnisierten Welt.“

So populär die Fantasy-Literatur ist, so unerforscht sind die nordischen Gestalten selbst bisher. Tolkien, der Herr-der-Ringe-Autor und gewissermaßen ein Kollege von Simek, ist eher für seine kreativen Erzählungen bekannt als für seine Forschung. „In seinem ganzen Leben hat er vielleicht zehn wissenschaftliche Aufsätze geschrieben“, so Simek, der sich regelmäßig mit einem isländischen und einem italienischen Kollegen austauscht – zwei der wenigen, die wie er Trolle erforschen.

Nach seinen Büchern über Monster und Trolle möchte sich der 64-Jährige nun Dämonengestalten widmen. Erst einmal bleibt Simek also bei den Wesen, denen man lieber nicht begegnen möchte. „Ich wollte mit meinem Buch zeigen, dass Trolle nicht so niedlich sind, wie viele denken. Als langsame Trampel darf man sie sich aber auch nicht vorstellen, auch wenn Troll und Trampel etymologisch verwandt sind“, erklärt er.

Simek, der schon lange segelt und als Germanist seine Dissertation über Wikingerschiffe geschrieben hat, vertritt auch eine eigene Erklärung dafür, wie die modernen Internet-Trolle zu ihrem Namen kamen: „Ich denke, die Trolle im Internet sind genauso wie die Trolle im Wald oder im Gebirge: Gestalten, die fies und gefährlich sind, und sehr schwer zu erwischen.“

Das Buch: Rudolf Simek: Trolle – Ihre Geschichte von der nordischen Mythologie bis zum Internet. Böhlau-Verlag, 256 S., 30 Euro.

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