Bonner Forschung verheißt Hoffnung auf neues Krebsmedikament Experten wollen Tumore verwundbar machen

Bonn · Wissenschaftler zeigen: Ein spezialisiertes Krebs-Präparat könnte auch andere Tumorzellen enttarnen. Das könnte möglicherweise die herkömmlichen Therapien ergänzen.

Professorin Christa Müller vom Pharmazeutischen Institut der Universität. Foto: Barbara Frommann / Uni Bonn

Professorin Christa Müller vom Pharmazeutischen Institut der Universität. Foto: Barbara Frommann / Uni Bonn

Chemotherapien bei Krebserkrankungen haben neben anderen oft schweren Nebenwirkungen für Patientinnen und Patienten einen entscheidenden Nachteil: Sie schwächen das Immunsystem erheblich. Einen anderen Weg zur Behandlung bestimmter Tumore beschreiten jetzt Forscher der Uni Bonn, des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und der Université Laval in Quebec (Kanada).

Die Wissenschaftler haben einen schon bekannten Wirkstoff ausfindig gemacht, der Krebszellen für das körpereigene Immunsystem erkennbar und damit angreifbar macht. In modifizierter Form könnte er herkömmliche Therapien individuell ergänzen.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist das organische Molekül Adenosin. Es ist eine Kombination aus dem Erbsubstanz-Bestandteil Adenin und einem Zuckermolekül mit fünf Kohlenstoffatomen. Gebildet wird es an der Oberfläche der Tumorzellen aus Adenosin-Triphosphat von verschiedenen Enzymen in mehreren Schritten.

Die so freigesetzte Adenosin-Molekülwolke unterdrückt nicht nur das Immunsystem des Körpers und ermöglicht auf diese Weise, dass die krankhaften Zellen sich in anderen Organen ansiedeln und Metastasen bilden können. Sie regt außerdem die Neubildung von Blutgefäßen an, über die der Tumor dann Sauerstoff und Nährstoffe erhält.

„Die körpereigene Abwehr würde noch extra scharf geschaltet“

Adenosin ist mithin ein „Erfolgsrezept“ für das Tumorwachstum. Das Enzym, das den ersten Umwandlungsschritt auslöst, heißt CD 39. „Wird CD 39 gehemmt, entsteht kaum mehr Adenosin“, erklärt Professorin Christa Müller vom Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn.

Weltweit suchen Pharmaforscher/innen deshalb schon länger nach einem Wirkstoff, der CD39 ausbremst. „Stattdessen würde sich Adenosin-Triphosphat um die Krebszellen anhäufen, welches die Immunantwort sogar noch stimuliert“, sagt Müller: „Die körpereigene Abwehr würde noch extra scharf geschaltet.“

Um die bislang erfolglose Suche einzugrenzen, haben die Mitglieder der Bonner Arbeitsgruppe jetzt nach anderen Enzymen gesucht, auf die Adenosin-Triphosphat ebenfalls reagiert. Ihre Hoffnung war, darunter dann einen Stoff zu finden, der zusätzlich auf CD 39 anspringt. Unter den 50 Kandidaten fand sich ein Volltreffer: Ceritinib.

„Das konnten wir nicht nur im Reagenzglas zeigen, sondern auch in Kulturen mit sogenannten dreifach-negativen Brustkrebszellen. Diese sind extrem schwer zu behandeln. Sie sprechen normalerweise kaum auf Therapien an“, berichtet Müllers Mitarbeiterin Laura Schäkel.

Der untersuchte Wirkstoff ist sogar bereits zugelassen

Das Beste daran: Ceritinib ist ein zugelassener Wirkstoff, ein sogenannter Kinasehemmer, der unter seinem Handelsnamen Zykadia bereits seit einigen Jahren gegen fortgeschrittenen Bronchial- und Lungenkrebs zum Einsatz kommt.

Allerdings solle Ceritinib jetzt nicht einfach auch als CD 39-Hemmer verabreicht werden, warnt Müller. Der Wirkstoff richte sich ja primär gegen eine andere Gruppe von Enzymen. Er hätte daher unerwünschte Nebenwirkungen. Die Arbeitsgruppe will Ceritinib stattdessen so modifizieren, dass es unter anderem CD 39 noch stärker ausbremst.

Einen Verzicht auf herkömmliche Chemotherapeutika wird Ceritinib wohl nicht bringen. Anders als diese könnte das Mittel aber das Immunsystem wieder stärken. „In Kombination könnten die Medikamente daher womöglich eine deutlich größere Wirkung entfalten“, hofft Müller.

Zudem lässt sich die Behandlung für jeden Betroffenen individuell planen. Die Behandlung lohnt sich schließlich nur, wenn die Tumorzellen tatsächlich viel CD 39 auf ihrer Oberfläche tragen.

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