Das Fußballturnier und das Virus 840.000 zusätzliche Infektionen durch die EM

Bonn · Eine neue Studie mit Beteiligung der Uni Bonn ergibt: Wo viele Menschen sich die Spiele der Fußball-Europameisterschaft in Gesellschaft ansahen (etwa in England), stiegen die Corona-Infektionszahlen stark an.

EM-Finale 2021: Italiens Spieler jubeln nach dem gewonnenen Elfmeterschießen gegen England.

EM-Finale 2021: Italiens Spieler jubeln nach dem gewonnenen Elfmeterschießen gegen England.

Foto: picture alliance/dpa/Christian Charisius

Bei der Fußball-Europameisterschaft 2020 – ausgetragen im Sommer 2021 – sind mitten in der Pandemie so viele Menschen zusammengekommen, wie schon lange nicht mehr: Mehrere Zehntausende Zuschauer in den Stadien in ganz Europa, Hunderttausende vor den Bildschirmen und in Kneipen oder beim Public Viewing.

Da hatte das Coronavirus leichtes Spiel. Schon damals war die Veranstaltung umstritten, weil Experten Tausende Infektionen befürchteten und Kritiker von einem Superspreader-Event sprachen.

Eine Studie, an der unter anderem die Uni Bonn und die Physikerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbst­organisation in Göttingen beteiligt waren, kommt nun zu dem Ergebnis: Durch das dezentral ausgetragene Turnier kam es in zwölf teilnehmenden Ländern, für die ausreichend Daten zur Verfügung standen, zu rund 840 000 zusätzlichen Corona-Infektionen.

Die Forscher werteten dazu epidemiologische Daten aus, etwa tägliche Fallzahlen und das Geschlecht der Infizierten. Da mehr Männer als Frauen die Spiele verfolgten, zeigten sich direkt nach den Spielen auch mehr Ansteckungen unter Männern als unter Frauen.

Kein Zuwachs rund um die Stadien – aber dort, wo die Fans herkamen

Eine weitere Erkenntnis der Studie: Zu Ansteckungen kam es offenbar weniger in den Stadien als vielmehr bei privaten Treffen, etwa in Pubs und Wohnungen, wo Menschen die Spiele gemeinsam anschauten. Das schließen die Forscher daraus, dass sich sowohl für den Ort als auch für das Land, wo das Spiel stattfand, kein signifikanter Effekt messen ließ, wohl aber für die an den Spielen beteiligten Länder.

Und natürlich blieb es nicht bei den Infektionen an den Spieltagen – denn jede infizierte Person startete eine Infektionskette, über die sich den Modellrechnungen zufolge im Untersuchungszeitraum bis Ende Juli 2021 im Schnitt pro Virusträger weitere vier Menschen ansteckten. „Daran kann man sehen, dass Infektionen keine Privatsache sind“, sagt Priesemann. „Denn über solche Infektionsketten breitet sich das Virus auch in vulnerable Bevölkerungsgruppen aus.“

Die Studie zeigt auch, dass die epidemiologische Ausgangslage bestimmt, wie stark die Infektionszahlen durch ein Großereignis steigen. So bestritt etwa Tschechien fünf Spiele. Doch trotz großer Fußballbegeisterung dort kam es pro Million Einwohner nur zu etwa 460 zusätzlichen Infektionen.

Anders in England: Dort steckten sich in der Folge rund 11.000 Menschen pro Million Einwohner mit dem Virus an. Dies lag nicht allein an der größeren Anzahl von Spielen, da die „Three Lions“ bis zum Finale sieben Spiele absolvierten, sondern vor allem an der niedrigeren Inzidenz zu Beginn des Turniers in Tschechien.

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