Der Gipfelstürmer Bonner Mathematiker bekommt Millionenförderung für seine Forschung

Bonn · Tobias Barthel forscht am Max-Planck-Institut für Mathematik. Dafür bekommt er nun eine Millionenförderung der EU. Der Wissenschaftler vergleicht seine Disziplin mit dem Bergsteigen.

 Tobias Barthels Forschung wird vom Europäischen Forschungsrat gefördert. 

Tobias Barthels Forschung wird vom Europäischen Forschungsrat gefördert. 

Foto: Benjamin Westhoff

In der Nacht vor dem entscheidenden, letzten Bewerbungsgespräch um den European Starting Grant des European Research Council (ERC, Europäischer Forschungsrat) machte Tobias Barthel kein Auge zu. Nicht, weil er so aufgeregt war – sondern weil ein nicht näher identifiziertes Tier wohl den Eingang in die Zwischendecke seiner Wohnung gefunden hatte. „Das hat dort so einen Krach gemacht, dass ich nicht schlafen konnte.“

Und dennoch konnte der Bonner Mathematiker das Expertengremium im Online-Interview am nächsten Morgen überzeugen: Die Europäische Union fördert sein Forschungsprojekt am Bonner Max-Planck-Institut für Mathematik (MPIM) für die nächsten fünf Jahre mit insgesamt 1,5 Millionen Euro.

„Derzeit stelle ich mein Team zusammen und im September geht es los“, freut sich Barthel. Er sitzt in seinem kleinen Büro an einem recht chaotischen Schreibtisch, hinter ihm ein großes Whiteboard, vollgeschrieben mit Formeln und Zahlen.

Grundlagenforschung der Mathematik

Barthel betreibt Grundlagenforschung, die Brücken schlägt zwischen verschiedenen Bereichen der Mathematik: Er möchte in den nächsten fünf Jahren die geometrische Natur wichtiger Kategorien in verschiedenen Bereichen der Mathematik, wie beispielsweise algebraischer Geometrie, Darstellungstheorie und Topologie, aufdecken und systematisch beschreiben.

Diese mathematischen Kategorien werden üblicherweise als Organisationsprinzipien benutzt, rücken aber seit einiger Zeit als fundamentale Strukturen in den Fokus von Mathematikern, so Barthel. Die grundlegende Idee besteht nun darin, spektrale Zerlegungen von Kategorien zu produzieren.

Um das anschaulicher zu machen, bedient sich Barthel des Bildes eines Prismas, das er auch an das Whiteboard zeichnet: „In etwa so, wie ein Prisma weißes Licht in seine Spektralfarben zerlegt.“ Mit Hilfe dieser Zerlegungen lassen sich dann völlig neue Einsichten über die ursprünglichen Strukturen gewinnen, was wiederum Licht auf bisher ungelöste Probleme in der Mathematik wirft – so das Ziel und die Hoffnung des Mathematikers.

Seit 2019 hat Barthel am MPIM eine Position als Forschungsgruppenleiter. Der 35-Jährige hat schon an den renommiertesten Universitäten der Welt geforscht – seinen Master hat er in Oxford gemacht, promoviert hat er in Harvard. Anschließend verbrachte er zwei Jahre am MPIM als Postdoc, bevor er nach Kopenhagen wechselte, um nach wenigen Jahren wieder nach Bonn zurückzukehren.

Die Schattenseiten des unsteten akademischen Lebens

Er berichtet auch von den Schattenseiten des unsteten akademischen Lebens: „Das Hangeln von einer befristeten Stelle zur nächsten ist belastend.“ Er hofft, nach dem Abschluss seines Projekts eine unbefristete Stelle zu bekommen – „gerne in Bonn, aber man muss flexibel sein“, meint er. Und dennoch ist für ihn klar: „Es ist ein großer Luxus, Mathematik machen zu können.“

Seine Leidenschaft für die Mathematik entdeckte er schon als Schüler. In Chemnitz geboren, verbrachte er seine Kindheit und Jugend in Düsseldorf und besuchte an der dortigen Universität bereits mit 15 Jahren Vorlesungen. Vor allem Mathematik, doch auch in Philosophie-, Psychologie- und Physikveranstaltungen schaute er während seiner Schulzeit hinein und arbeitete auf sein Vordiplom hin. „Ich habe dadurch auch viel Unterricht in der Schule verpasst“, erinnert er sich heute.

Auf die Frage, was ihn als Mathematiker von anderen Menschen unterscheide, lacht er. „Das Bild vom schrulligen Mathematiker ist meiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäß“, sagt er. „Aber ich denke, wir haben oft ein klareres Bild von Richtig und Falsch.“ Um zu erklären, was er damit meint, bezieht er sich auf seinen Arbeitsalltag: „In der Mathematik ist eine Lösung entweder objektiv richtig oder falsch, und deshalb nimmt niemand Anstoß an Kritik an Ergebnissen oder Gedanken.“

Diese offene Diskussionskultur ist es auch, was ihn schon immer an der Forschung fasziniert hat. Sie habe unter den vergangenen zwei Corona-Jahren gelitten, berichtet Barthel, weil man nicht mehr auf Konferenzen fahre, keine Gäste ins Institut einladen könne und die meisten Meetings über Zoom stattfinden. Im MPIM sind auf jeder Etage Ecken mit Stühlen und Tischen eingerichtet, die zum Austausch einladen, doch zu Home-Office-Zeiten sitzen hier nur wenige. „Der Austausch ist ein bisschen gehemmt“, sagt Barthel.

Und gerade der ist es, der ihm und seinen Kollegen oft die entscheidenden Ideen bringt – schließlich besteht ihre Arbeit darin, salopp ausgedrückt, Lösungen für Probleme zu finden. Das ist auch frustrierend: „Man steckt eigentlich die meiste Zeit fest“, sagt Barthel offen. „Und ich fühle mich auch schon mal doof.“

Doch wenn man dann ein Problem löse oder zumindest einen Schritt weiterkomme, mache das die Strapazen wett. „Man kann es mit Bergsteigen vergleichen“, so Barthel. „Man weiß nicht, wie weit man noch vom Gipfel entfernt ist, aber man läuft weiter und bei der Aussicht hat sich alles gelohnt.“

Wir wollen wissen, was Sie denken: Der General-Anzeiger arbeitet dazu mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Wie die repräsentativen Umfragen funktionieren und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Mit der Lizenz zum Durchkämpfen
Judo-Olympionikin und Mathe-Professorin Laura Vargas Koch Mit der Lizenz zum Durchkämpfen
Zum Thema
Aus dem Ressort