Hochschule Bonn-Rhein-Sieg Professorin forscht zu unerledigten Aufgaben vor Festtagen

Rheinbach · Professorin Christine Syrek von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg forscht zur Wirkung unerledigter Aufgaben – im Job und vor den Festtagen. Sie rät zu planvollem Vorgehen und manchmal zur Entschleunigung.

 Christine Syrek, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, denkt gerne und positiv über ihren Job nach und strukturiert den Arbeitstag klar durch.

Christine Syrek, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, denkt gerne und positiv über ihren Job nach und strukturiert den Arbeitstag klar durch.

Foto: Matthias Kehrein

Jeder weiß, dass es eine Illusion ist – aber eine mit Effekt: Fernsehen und Werbung suggerieren das Gefühl, dass der Advent die richtige und passende Zeit dafür sei, ständig Kerzen anzuzünden und in Kuschelatmosphäre schöne Bücher zu lesen. Kein Stress weit und breit, der das torpedieren könnte.

Die Realität ist eine andere: Gefühlt alle sitzen am Wochenende ständig im Auto, um verschiedene (und manchmal auch vernachlässigte) Teile der Familie oder alte, während des Jahres weniger präsente Freunde zu besuchen. Die Paketboten bringen die eilig ausgesuchten Geschenke in letzter Minute, und auf der Arbeit türmt sich auch so einiges, was bis zum Jahresende unbedingt noch abgeschlossen werden muss. „Muss es gar nicht immer“, sagt Christine Syrek von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Solche weit verbreiteten Vorweihnachtsszenarien zählen zu den Ursprüngen eines ihrer Lieblingsforschungsfelder: der Wirkung unerledigter Aufgaben. Für eine Serie von Studien dazu erhielt die Professorin für Wirtschaftspsychologie zusammen mit ihrem Kollegen Dr. Oliver Weigelt von der Uni Rostock den Innovationspreis der Deutschen Gesellschaft für Psychologie.

Trotz des Namens der Auszeichnung: So ganz neu ist das Thema laut Syrek nicht. „Das Konzept unerledigter Aufgaben hat eine lange Tradition in der psychologischen Grundlagenforschung“, erklärt sie. Schon Bluma Zeigarnik, Maria Ovsiankina, Wera Mahler und Käte Lissner untersuchten in den 1920er Jahren als Doktorandinnen von Kurt Lewin, welche Auswirkungen unerledigte und unterbrochene Handlungen haben. „Sie zeigten, dass das Unerledigte bei den Menschen eine gewisse Anspannung hervorruft, die jedoch auch dazu führt, dass sie sich besser daran erinnern als an das Erledigte und dass sie auch gedanklich stets weiter daran arbeiteten.“

Viele haben das Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen

Damals hatten die Teilnehmer der experimentellen Untersuchungen die Aufgaben, zu häkeln, ein Gedicht aufzuschreiben oder Perlen auf einen Faden zu ziehen. Die 37-jährige Kölnerin Syrek und ihr Kollege haben sich darauf aufbauend die Frage gestellt, wie sich diese Ansätze auf die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts übertragen lassen. „Wir fanden, dass die Untersuchungen von damals ganz gut zu der heutigen »Always-on-never-
done«-Mentalität passen.“ Soll heißen: Viele Menschen haben das Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen und einen Riesenberg an Aufgaben vor sich zu haben, den sie gar nicht abarbeiten können.

In drei der vier vorgelegten Studien haben die beiden Wissenschaftler jeweils rund 60 Personen über einen Zeitraum von 15 Wochen regelmäßig befragt. Die Teilnehmer waren allesamt Berufstätige, die sich nebenbei an der Fernuni Hagen weiterqualifizieren. In ihrer ersten Untersuchung lieferten die beiden Psychologen Belege dafür, dass sich unerledigte Aufgaben am Ende einer Arbeitswoche ungünstig auf die Schlafqualität am Wochenende auswirken. „Im Job Liegengebliebenes führte bei den Befragten zu mehr arbeitsbezogenem Grübeln – auch nachts“, sagt Syrek. Es habe sich herausgestellt, dass die unerledigten Aufgaben gerade mit Blick auf erholsamen oder weniger erholsamen Schlaf ein weitaus größerer Stressfaktor seien als der bei früheren Untersuchungen oft fokussierte reine Zeitdruck. „Wenn die Befragten nach einer Woche voller Zeitdruck ihre wichtigen Aufgaben erledigt hatten, ging es ihnen gut. Anders sieht es aus, wenn nach solch vollgepackten Tagen immer noch viel übriggeblieben ist.“

Die zweite Studie zeigte ambivalente Ergebnisse: Zum einen gaben viele der Befragten an, wegen der Belastung durch Unerledigtes auch am Wochenende oder während der Freizeit zu arbeiten, weil sie sonst ihr Pensum nicht schafften.

Die andere Seite der Medaille möchte Syrek nicht missverstanden wissen: „Ich will keinem raten, ständig am Wochenende Teile des Jobs zu erledigen. Aber es hat sich gezeigt, dass zusätzliches Arbeiten am Wochenende auch gut sein kann.“ Und zwar dann, wenn ein paar eigentlich freie Stunden dazu genutzt werden, Wichtiges abzuschließen. Damit lasse sich manchmal der Rest der freien Tage für schöne Dinge retten, ohne dass die Grübeleien über das, was alles noch zu tun sei, ständig dazwischenfunkten. „Etwas abzuschließen macht das gedankliche Loslassen leichter“, sagt die Psychologin.

Arbeit wird nicht weniger

Doch dann gibt es ja auch die Situationen, in denen die Arbeit einfach nicht weniger zu werden scheint. In dem Fall rät Syrek, aus dem Beschleunigungshamsterrad auszubrechen und sich mal kurz über Erreichtes zu freuen. „Es ist wichtig, auch den erledigten Aufgaben ein wenig Aufmerksamkeit zu widmen und sie damit abzuhaken. Denn das Übergehen des Erfolgserlebnisses zerstört die weitere Motivation.“

Überhaupt müssen auch nicht immer alle Aufgaben (sofort) erledigt werden, weiß die Expertin, die in den vergangenen Jahren eine Gastprofessur im finnischen Tampere innehatte. Bleiben Sachen unerledigt – so zeigte etwa die dritte Studie –, sei es wichtig, einen Plan zum weiteren Vorgehen zu haben. „Einfach hinter einem Riesenberg von Liegengebliebenem die Tür zuzumachen und ins Wochenende zu gehen, tut nicht gut, weil die Gedanken daran dann immer wieder aufploppen.“

Wer sich jedoch schon während der Woche überlege, was auch später erledigt werden könne – und wie und in welcher Reihenfolge –, bleibe eher von unangenehmen Job-Grübeleien verschont. „Allein schon die Idee für die Lösung eines Problems führt bei vielen Menschen zu einem Spannungsabbau“, sagt Syrek.

Ähnliches gilt übrigens für Weihnachten und Urlaube ganz allgemein: „Viele Menschen neigen dazu, vor solchen Ereignissen noch schnell alles abarbeiten zu wollen, sowohl im privaten Bereich wie auch im Job. Das treibt das Stressniveau dann noch mal richtig hoch“, so Syrek. In Bezug darauf hat die vierte Studie der preisgekrönten Reihe unter anderem gezeigt, dass die Befragten, die dermaßen gestresst in die Ferien oder Weihnachtstage starten, diese dann weniger genießen können. Wer stattdessen in der Lage ist, nicht ganz so Wichtiges auf später zu verschieben, und sich mehr Raum für die Vorfreude lässt, erlebt eine schönere freie Zeit.

Dieses sympathische Entschleunigungsrezept versucht Christine Syrek übrigens selbst auch vor Urlauben und Weihnachten anzuwenden. Mal gelingt es ihr sehr gut, mal weniger.

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