Interview mit Professor Joacheim Scholtyseck "Heute ist die Zeit der Tabus vorbei"

Professor Joacheim Scholtyseck lehrt am Institut für Geschichtswissenschaft der Uni Bonn. Er forscht zur Nachkriegszeit unter anderem für das Jubiläumsbuch zum 200-jährigen Bestehen der Uni 2018. Die Fragen stellte Hermann Horstkotte.

 Historiker Joachim Scholtyseck von der Uni Bonn.

Historiker Joachim Scholtyseck von der Uni Bonn.

Foto: dpa

Wurde die Aufklärung über die Nazi-Vergangenheit von Professoren auch in Bonn häufig erst durch die Presse oder Autoren außerhalb des Hochschuldienstes angestoßen?

Scholtyseck: Zunächst kam es durchaus zu einer ernsthaften und teilweise kontroversen universitätsinternen Diskussion, wobei sich beispielsweise die Mediziner mit dem Hinweis, sie würden für die Versorgung der Bevölkerung gebraucht, der Debatte bald entzogen. Seit den späten 1940er Jahren erlahmte das Interesse an einer „Aufarbeitung“ spürbar. In den 1950er Jahren gab es zwar immer wieder „Affären“ und Debatten, aber der 1964 ausgetragene Streit um die NS-Vergangenheit des Rektors Hugo Moser war dann, wie Sie richtig feststellen, tatsächlich eine heftige von außen angestoßene öffentliche Auseinandersetzung, die schnell zum „Fall Thomas Mann“ mutierte, eine Angelegenheit, die die Universität Bonn fälschlicherweise schon genügend aufgeklärt zu haben glaubte.

Wie kam es 1998, erst mehr als 50 Jahre nach Hitler, zum Senatsbeschluss der Bonner Uni zur Rehabilitierung ihrer Naziverfolgten?

Scholtyseck: Der Senatsbeschluss vom November 1998 stellte im Grunde die Kodifizierung derjenigen Schritte dar, mit denen sich die Universität Bonn bereits zuvor von den „Unrechtshandlungen“ der NS-Diktatur distanziert hatte. Die Bekräftigung durch den Senat war jedoch ein Schritt, der von einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit erwartet wurde.

Worin sehen Sie heute noch die größten blinden Flecken in der Aufarbeitung der Nazigeschichte Ihrer Hochschule?

Scholtyseck: Heute ist die Zeit der Tabus vorbei. Diejenigen Wissenschaftler, die im Jahr 2018 die 200-jährige Geschichte der Universität Bonn vorlegen werden, unterliegen keinerlei Auflagen, haben freien Aktenzugang und können unabhängig forschen und schreiben.

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