Diskussion zum Lebenslangen Lernen „Keiner kann sich mehr sicher sein“

Sankt Augustin · Der Beirat der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg diskutiert in Sankt Augustin Konzepte für lebenslanges Lernen. Die Vertreter großer Unternehmen verfolgen dabei ganz unterschiedliche Ansätze.

 Studierende älteren Semesters in einem Hörsaal in Magdeburg.

Studierende älteren Semesters in einem Hörsaal in Magdeburg.

Foto: picture alliance / dpa

3-D-Drucker als Ersatz herkömmlicher Fertigung, Operationen durch Roboter, automatisierte Großküchen, ja Maschinen, die Maschinen herstellen – für Thorsten Bonne, BWL-Professor im Fachbereich Informatik der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg mit langer Berufserfahrung bei der Deutschen Telekom, ist das alles keine Hollywood-Dystropie á la Terminator, sondern Teil der nahen Zukunft. „Keiner kann sich mehr sicher sein“, sagt der Mann entschieden. Es werde schon diskutiert, wann Algorithmen den ersten Aufsichtsratsvorsitzenden ersetzen.

Das bildungspolitische Schlagwort vom lebenslangen Lernen erscheint in diesem Kontext in ganz neuem Licht. Künftig könnte es nicht mehr generell darum gehen, in der alternden Gesellschaft Arbeitskräfte möglichst lange leistungsstark und einsatzfähig zu halten. Jeder einzelne könnte mit beständiger Selbstoptimierung um seinen Job kämpfen müssen.

Auf dem Weg dorthin verfolgen Unternehmen derzeit allerdings vollkommen unterschiedliche Ansätze, wie ein Workshop des Hochschulbeirats der wirtschaftsnahen Hochschule aufzeigte. Jörn Fach von der Bayer AG sah die Schwierigkeit vor allem darin, angesichts hoher Fluktuation innerhalb des Unternehmens und der Karrierestufen sowie zahlreicher projektbezogener Beschäftigungen Wissen punktgenau vorzuhalten. Das Unternehmen habe sich deshalb entschieden, Prozesse zentral vorzugeben.

Die mehr als 80 Lernsysteme für alle Mitarbeiter weltweit würden binnen zwei Jahren auf eines eingedampft. Und Flach machte deutlich, dass herkömmliche Bildungskonzepte aus seiner Sicht ins Museum gehören: „Der Mitarbeiter will nicht mehr auf ein dreitägiges Seminar in vier Monaten warten, wenn er nur eine Prozessschulung von 25 Minuten braucht.“ Wissenshäppchen bei Bedarf punktgenau und ohne Schnörkel serviert – darin sieht er die Zukunft.

Dirk Lunken von der Ford AG setzt hingegen auf dezentrale, spielerische Bildungsansätze in Form einer Graswurzelbewegung. Im „Digital Worker“-Programm werden diese bereits praktiziert. Mitarbeiter erarbeiten dazu aus eigenem Antrieb Tutorials, also Anleitungen, auf allen Kenntnisniveaus. Sowohl die Teilnahme wie auch das Coaching werden mit digitalen Badges, sprich Auszeichnungen, honoriert. Diese seien weder gehalts- noch karriererelevant, aber in den E-Mail-Signaturen vermerkt.

Dennoch sei ein regelrechter Bildungswettbewerb gerade unter den älteren Mitarbeitern entbrannt, berichtete Lunken. Ein Vorteil: Jeder kann auch unbemerkt Wissenslücken aufarbeiten. Und mit spielerischen Anreizen wie karitativen Preisgeldern für besonders bildungsaffine Teams lasse sich die Lernkurve zudem steil nach oben treiben.

Michael Kulka vom Mittelständler Reihenhäuser hingegen wünscht sich vor allem Impulse an seine Mitarbeiter, um geistig lebenslang nicht in verfestigen Denkmustern zu verharren. Nur das könne helfen, sich ständig an neue Arbeitsstrukturen und -prozesse zu gewöhnen. Bei den Summer Schools des Unternehmens setze man deshalb gezielt auf unternehmensfremde Impulse, sagte er. So gaben bei den zweitägigen Veranstaltungen für ausgewählte Mitarbeiter bereits Hirnforscher oder Kriminalkommissare Einblick in ihre Arbeit.

Auch die Hochschule könne hier wertvolle Impulse setzen. Während Bayer-Mann Flach die Beschäftigten vordringlich selbst in der Verantwortung sieht, sich das notwenige Wissen beständig anzueignen, forderte Kulka den Lebensphasen angepasste Bildungskonzepte. Nur so sei es möglich, den Input nach dem Ende der Ausbildungs- oder Hochschulzeit in der Phase der Karrierebildung und der Familiengründung nicht abreißen zu lassen. Unternehmen müssten diese Bestrebungen mit Freiräumen und Budgets unterstützen.

Markus Lecke von der Telekom wünschte sich dazu eine Öffnung der Hochschulen mit modularen Programmen hin zu Bildungszentren für das gesamte Berufsleben. Der Beiratsvorsitzende Jens Böcker appellierte indessen an die Industrievertreter, ihre Bildungsansätze in den Hochschulbetrieb einzubringen. „Mir scheint, Sie können uns mehr unterstützen als wir sie.“

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