Patientenkolloquium am 11. Mai 2023 Uniklinik Bonn berät zu Geburtshilfe

Bonn · Beim nächsten Patientenkolloquium des Universitätsklinikums Bonn geht es darum, wie Hebammen und ärztliche Geburtshilfe optimal zusammenarbeiten können – vor, während und nach der Entbindung.

 Geburtshilfe, wie sie heute sein soll: Alle Beteiligten wirken als Team Hand in Hand.

Geburtshilfe, wie sie heute sein soll: Alle Beteiligten wirken als Team Hand in Hand.

Foto: Rolf Müller

Auf der breiten, nahezu bodentiefen Fensterbank steht Bonns berühmtester Sohn in Gold: „Unser Ludwig“ mit den Händen in den Hosentaschen und nonchalantem Lächeln. Wobei die von dem Bildhauer und Konzeptkünstler Ottmar Hörl gestaltete Statue aus Kunststoff (99 mal 35 mal 33 Zentimeter groß) nicht nur farblich gut zu den hellblau gestrichenen Wänden passt. Links und rechts der Tür ist in leicht geschwungener weißer Schrift je ein Zitat des Komponisten zu lesen: forsch auf der einen, nachdenklich auf der anderen Seite.

Es ist ein großes helles Zimmer mit einer freundlichen, empfangenden Atmosphäre. Dass es sich dabei um einen Kreißsaal handelt, zeigt ein Blick um die Ecke: auf den hellbraun gepolsterten Hocker, über dem ein geknotetes Tuch zum Festhalten hängt. Kein Vergleich also dazu, was Generationen zuvor mit dem typischen Aussehen eines solchen Raumes assoziiert haben: zum Teil gekachelt, voll medizinischer Geräte, dazwischen (etwas verloren wirkend) eine funktionale Pritsche.

Hebammen dürfen Geburt allein leiten

Allein dieses Zimmer im Eltern-Kind-Zentrum (kurz: „Elki“) des Universitätsklinikums Bonn (UKB) veranschaulicht bereits, wie tiefgreifend sich das Verständnis von Geburtshilfe inzwischen gewandelt hat. Überdies ist sie die einzige medizinische Disziplin mit einer auf jahrtausendealter Tradition basierenden Besonderheit: Hebammen dürfen eine Geburt allein leiten. Für Ärztinnen und Ärzte gilt nach Paragraf vier des Hebammengesetzes, dass sie (immer) „verpflichtet sind, dafür Sorge zu tragen, dass bei einer Entbindung eine Hebamme zugezogen wird“. Die Ausnahme stellt ein akuter medizinischer Notfall dar, bei dem unverzüglich eingegriffen werden muss.

Was zum Berufsbild der Hebammen gehört und wie sich dies heutzutage mit den Bedürfnissen der schwangeren Frauen sowie den Notwendigkeiten auf ärztlicher Seite in Einklang bringen lässt, ist am Donnerstag, 11. Mai, Thema des nächsten Patientenkolloquiums des Universitätsklinikums Bonn (UKB) – passend zum Internationalen Tag der Hebammen, der seit 1991 auf den 5. Mai festgelegt ist. Professorin Brigitte Strizek (Direktorin der Klinik für Geburtshilfe und Pränatale Medizin), Alice Semmler (Leitende Hebamme, Klinik für Geburtshilfe und Pränatale Medizin) und Stefani Schönhardt (Kommissarische Studiengangsleitung und Hebamme, Medizinische Fakultät der Universität Bonn) gehen dabei auf unterschiedliche Schwerpunkte ein und folgen einleitend dem Weg von der Wehmutter (von althochdeutsch hev(i)anna: „Ahnin/ Großmutter, die das Neugeborene aufhebt/ hält“) bis zu den künftigen Bachelor-Absolventinnen und Absolventen der Hebammenwissenschaft (siehe Text unten).

Diese Entwicklung hat sich seit der Antike vollzogen, mit immer wieder neuen Herausforderungen, um diesem im Laufe der Zeit immer anspruchsvoller gewordenen Beruf gerecht werden zu können und dabei auch aktiv und vernehmbar die Interessen und Bedürfnisse der schwangeren und gebärenden Frauen zu vertreten. Probleme bereiten heute der Personalmangel in den Kliniken, hohe Versicherungskosten für die außerklinischen und freiberuflichen Hebammen und die damit verbundenen Schwierigkeiten der Schwangeren, eine Hebamme für sich zu finden.

Hebamme für die Mutter und das Baby

Die Geburt im Krankenhaus ist mit 98 Prozent heute in Deutschland der Regelfall. So werden die Frauen meist von mehreren Hebammen betreut, außerklinisch und im Kreißsaal. Gemeinsam ist ihnen aber, sich als Lotsin und Ansprechpartnerin für „ihre Frauen“ zu verstehen: um sie mit Besuchen zu Hause und mit Kursen auf die Geburt vorzubereiten, sie zu begleiten und um die Lücke zwischen der meist sehr frühen Klinikentlassung und der ersten Zeit allein mit dem Baby zu schließen.

Diese sogenannte „aufsuchende Wochenbettbetreuung“ ist seit 30 Jahren Teil der gesetzlich versicherten Leistungen und trägt der Tatsache Rechnung, dass es nach der Geburt einen umfangreichen Betreuungs- und Beratungsbedarf gibt. So kann gemeinsam eingeübte Routine mehr Selbstvertrauen im Umgang mit dem Neugeborenen vermitteln und die Bindung zwischen Mutter und Kind weiter stärken.

Denn die Erwartungshaltung an Schwangerschaft, Geburt und Muttersein (sowohl die eigenen als auch die von außen herangetragenen) führen oft zu Verunsicherung der werdenden Mütter (und Väter). Eine Hebamme kann dem Kraft ihres Wissens, ihrer Erfahrung, ihres professionellen Einfühlungsvermögens und individuellen Verständnisses für die jeweilige Situation entgegensteuern. Denn die standardisierte und bis in alle Details planbare Idealgeburt nach Schema F gibt es nicht. Sie kann jederzeit vom Erwarteten abweichen, ohne deshalb schon als kritisch eingestuft werden zu müssen. Sowohl mentale Bedürfnisse als auch medizinische Gegebenheiten können sich von Minute zu Minute ändern.

„Nicht jede Intervention, wie beispielsweise ein Wehentropf zur Beschleunigung der Geburt, muss sein“

Zur historischen Entwicklung der Geburtshilfe gehört allerdings auch die seit Mitte des 20. Jahrhunderts etablierte Vorstellung, dass eine Entbindung mit ihren potenziellen Risiken für Frau und Kind in jedem Fall ärztlicher Kontrolle und Intervention bedürfe. Das können Wehenmittel sein, die die Geburt beschleunigen, relaxierende Schmerzmittel wie die in Nähe des Rückenmarks injizierte Periduralanästhesie (PDA) oder von Fall zu Fall auch ein Kaiserschnitt. „Sowohl das Verständnis einer »guten Geburt«, die Möglichkeiten der Medizin und auch demografische und soziologische Entwicklungen spiegeln sich in einer veränderten Geburtshilfe wieder. Nicht jede Intervention, wie beispielsweise ein Wehentropf zur Beschleunigung der Geburt, muss sein“, so Semmler.

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) bräuchten mehr als 70 Prozent der Frauen keine solche Intervention. Und in manchen Fällen kann sich dies für die Betroffenen sogar traumatisch auswirken. Die Angst, den Schmerzen allein ausgeliefert zu sein und nicht zu verstehen, was warum um sie herum geschieht (oder auch nicht), erhöht den Stress- und Angstpegel und verstärkt damit auch den Schmerz. Auch Hebammen haben diese Entwicklung sehr kritisch beobachtet und aus diesem Impuls heraus 2003 ein Modell entwickelt, das eine intensive Geburtsbetreuung unter ihrer Leitung in einer Geburtsklinik ermöglicht. Die Voraussetzung: Die Frau muss gesund und die Schwangerschaft unkompliziert sein. Ärzte bleiben bei der Entbindung im Hintergrund und kommen nur bei Komplikationen dazu. Am UKB gibt es einen solchen von Hebammen geleiteten Kreißsaal seit 2009. Bei zehn möglichen Geburten pro Monat ist die Nachfrage allerdings deutlich höher.

„Viele glauben noch immer, solange die Hebamme allein entbindet, sei alles gut; komme aber ein Arzt dazu, verlaufe die Geburt schlecht“, beschreibt Strizek ein tradiertes Denkmuster. Das sei zwar prinzipiell nicht falsch und aus der Angst vor Komplikationen durchaus verständlich. „Doch eine solch strikte Trennung entspricht nicht unserem Alltag in der Klinik mit dem Ziel, eine Balance zwischen medizinischer Notwendigkeit und einer bewussten, als selbstbestimmt erlebten Geburt zu ermöglichen.“ Das kann, wie alle Expertinnen des Kolloquiums betonen, nur gemeinsam gelingen, wenn alle Hände sozusagen ineinandergreifen. Jeder für sich allein oder alle zusammen? Darauf gibt es für Strizek, Semmler und Schönhardt eine ganz klare Antwort.

Frühgeburt und Kinderwunschbehandlung

„Schwangerschaft und Geburt werden heute von Anfang an durch mehrere Personen betreut und begleitet: angefangen von der gynäkologischen Praxis für die erforderlichen Vorsorgeuntersuchungen, über uns als Klinik für Geburtshilfe und pränatale Medizin, die falls erforderlich auch Neonatologen hinzuziehen kann, bis zu den Kinderkrankenschwestern auf Station“ zählt Strizek auf. „Wir behandeln hier als überregionales Zentrum der Maximalversorgung natürlich auch die medizinisch komplexeren Fälle. Das können schwierige Schwangerschaften durch Komplikationen bei der Mutter wie beispielsweise Präeklampsie sein [frühere, heute veraltete Bezeichnung „Schwangerschaftsvergiftung“, Anm. d. Red.], Frühgeburtlichkeit, Mehrlingsgeburten und die Kinderwunschbehandlung.“ Das bedeute aber deshalb nicht, die Hebammen von medizinisch notwendigen Entscheidungen auszuschließen.

Im Gegenteil: „Wir verfügen über genug Wissen und Erfahrung, um einzuschätzen zu können, bei wem ärztliches Eingreifen eventuell nötig sein wird und bei wem voraussichtlich nicht“, erläutert Semmler. „Und unser Ziel kann es nur sein, möglichst vorausschauend zusammenzuarbeiten.“ Wo verlaufen die Grenzen zwischen Physiologie und Pathologie? Das einzuschätzen, ist Aufgaben der Hebammen. „Wichtig bei allem ist aber auch, sich bewusst zu sein, dass jede Geburt individuell verläuft“, zieht Semmler abschließend Bilanz.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Mit der Lizenz zum Durchkämpfen
Judo-Olympionikin und Mathe-Professorin Laura Vargas Koch Mit der Lizenz zum Durchkämpfen
Zum Thema
Aus dem Ressort
Musizieren auf einer Wellenlänge
Neue Bonner Uni-Dirigentin Rebekka Zastrow Musizieren auf einer Wellenlänge