Patientenkolloquium am 21. April Uniklinikum Bonn berät zu Multipler Sklerose

Bonn · Beim nächsten Patientenkolloquium des Universitätsklinikums Bonn geht es an diesem Donnerstag um Ursachen, Diagnostik und Therapie der Multiplen Sklerose. Mit der Erkrankung ist heute ein weitgehend normales Leben möglich.

 Am 21. April findet das nächste Patientenkolloquium der Uniklinik Bonn statt. Das Thema ist Multiple Sklerose.

Am 21. April findet das nächste Patientenkolloquium der Uniklinik Bonn statt. Das Thema ist Multiple Sklerose.

Foto: Meike Böschemeyer

Sie trifft das Zentrale Nervensystem (ZNS) und wird mit Blick auf die Bandbreite ihrer Symptome auch die „Krankheit mit den 1000 Gesichtern“ genannt. Sie lässt sich bislang nicht heilen, aber vor allem bei frühzeitiger Diagnose häufig gut behandeln. Die Ätiologie der Multiplen Sklerose (MS) – die Ursache ihrer Entstehung – ist nach wie vor nicht endgültig geklärt und somit eine der Herausforderungen für künftige medizinische Forschung. Doch die Vorstellung, dass ein Leben mit MS für die Betroffenen zwangsläufig im Rollstuhl ende, gehört der Vergangenheit an.

Der zusammengesetzte Name leitet sich erstens aus der Krankheitsaktivität an mehreren entzündlichen Herden innerhalb der weißen Substanz in Gehirn und Rückenmark und zweitens aus der dortigen Narbenbildung ab. Er stammt noch aus dem 19. Jahrhundert, als Multiple Sklerose erstmals als eigenständige Krankheit beschrieben wurde. „Tatsächlich trifft er so heute gar nicht mehr zu“, erklärt Professor Thomas Klockgether, Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Bonn (UKB). „Denn er bezeichnet einen sehr weit fortgeschrittenen Krankheitszustand, wie er früher bei Autopsien an verstorbenen MS-Patientinnen und -Patienten zu sehen war.“

Doch die chronisch entzündlichen Prozesse, die zu den späteren Narben führen, lassen sich zum Stehen bringen oder zumindest lange hinauszögern. Symptome wie Gehbehinderungen und andere motorische Probleme, Taubheitsgefühle, Schwindel, Sehstörungen, das Fatigue-Syndrom und Depressivität sind kein unabwendbares Schicksal. „Unser Ziel ist die Freiheit von Krankheitsaktivität, um dadurch Mobilität und Lebensqualität bis ins hohe Alter zu ermöglichen“, sagt Dr. Julian Zimmermann, Oberarzt der Klinik für Neurologie. „Therapeutisch ist in den vergangenen Jahrzehnten viel getan worden, und das Bild der MS hat sich dadurch grundlegend geändert: Früher war das Leben der Patientinnen und Patienten auf die Erkrankung ausgerichtet. Heute können sie berufstätig sein und Familien gründen“, fügt seine Kollegin Dr. Louisa Nitsch hinzu.

Um die Ursachen der MS, um Diagnostik und das Potenzial einer individualisierten Therapie geht es am Donnerstag, 21. April, von 18 bis 20 Uhr beim nächsten Patientenkolloquium des UKB (als öffentliche Zoom-Konferenz). Klockgether, Zimmermann und Nitsch skizzieren, was bei der Erkrankung geschieht und wie sich ihr Verlauf günstig beeinflussen lässt.

Die Ursachen für Multiple Sklerose sind vielfältig

Die Nervenzellen – allein im Gehirn sind es rund 86 Milliarden – leiten Reize weiter wie elektrische Kabel den Strom. Und gleich Stromkabeln sind auch sie isoliert. Diese Schicht heißt ­­Myelinscheide. Sie verhindert Leckströme und beschleunigt die Weiterleitung der ­­Signale. Doch bei MS werden genau diese Prozesse ­­gestört, weil Zellen des Immunsystems bestimmte Oberflächenstrukturen der Myelin­scheide fälschlicherweise als körperfremd betrachten und angreifen. Alarmiert durch Botenstoffe, die Zytokine, strömen Entzündungszellen über die Blut-Hirn-Schranke in das ZNS ein, wo sie die Myelinschicht beschädigen und abbauen. Multiple Sklerose zeigt damit die charakteristischen Merkmale einer Autoimmun­erkrankung und ist wie alle Erkrankungen dieser Gruppe multifaktoriell.

Das heißt, es kommen mehrere Ursachen zusammen: zum Beispiel ein durch genetische Disposition erhöhtes Risiko, eine gestörte Bakterienbesiedlung des Darms sowie andere Umwelteinflüsse wie Adipositas oder Rauchen. Und es gibt inzwischen stichhaltige Anhaltspunkte dafür, dass das weit verbreitete Epstein-Barr-Virus ein entscheidender Auslösefaktor von Multipler Sklerose sein könnte.

 Die Experten des Kolloquiums: Professor Thomas Klockgether, Dr. Louisa Nitsch und Dr. Julian Zimmermann (von links).

Die Experten des Kolloquiums: Professor Thomas Klockgether, Dr. Louisa Nitsch und Dr. Julian Zimmermann (von links).

Foto: UKB

„Multiple Sklerose ist eine Erkrankung des frühen Erwachsenenalters, die meist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr erstmals auftritt“, erläutert Klockgether. „Frauen sind deutlich häufiger von MS betroffen als Männer. Das Verhältnis liegt insgesamt bei 2:1.“ Bundesweit sind gegenwärtig zwischen 220.000 und 250.000 Menschen an Multiple Sklerose erkrankt, das entspricht rund 1000 Betroffenen im Bonner Stadtgebiet. Und die Prävalenz nimmt zu. „Ursache dafür ist aber nicht eine steigende Zahl von Neuerkrankungen, sondern eine immer frühere Diagnosestellung und eine Normalisierung der Lebenserwartung von MS-Patientinnen und Patienten“, sagt Klockgether.

Bei Verdacht auf MS, zunächst Ausschluss von anderen Krankheiten

Grundsätzlich gibt es bei Multipler Sklerose zwei Verlaufstypen: einen schubförmigen bei mehr als 80 Prozent der Betroffenen sowie einen chronisch-voranschreitenden, primär progredienten. Häufig geht ein anfangs schubweiser Verlauf in einen chronisch-voranschreitenden über und wird dann als sekundär progredient bezeichnet. „Die Anzahl der Schübe in den ersten beiden Krankheitsjahren gibt einen wichtigen Hinweis auf einen möglichen schweren Verlauf der MS. Bei zum Beispiel drei Schüben in der frühen Erkrankungsphase ist das Risiko dafür erhöht“, sagt Nitsch. Ob und inwieweit sich die Symptome in den krankheitsfreien Phasen zurückbilden, ist individuell sehr unterschiedlich. „So kann die Myelinschicht wieder repariert werden“, ergänzt Klockgether. „Sie hat dann aber nicht mehr dieselbe Qualität wie die ursprüngliche Ummantelung.“

Liegt ein Verdacht auf MS vor, gilt es zunächst, andere Erkrankungen auszuschließen. Zur Differenzialdiagnose dienen unter anderem Blutuntersuchungen, denn Blutbild, Leber- und Nierenwerte sowie klassische Entzündungsmarker verändern sich unter Multipler Sklerose nicht. „Während früher einige Ärzte den Patientinnen und Patienten gegenüber den Namen dieser Krankheit tunlichst vermieden haben, gehen wir heute offen damit um“, hebt Klockgether hervor.

Die Expertinnen und Experten des UKB geben hilfreiche Antworten

Zum diagnostischen Untersuchungsablauf zählen die Magnetresonanztomografie (MRT) sowie eine Untersuchung des Liquor cerebrospinalis. Das Nervenwasser wird durch eine Lumbalpunktion aus dem Rückenmarkskanal entnommen. Typischerweise finden sich darin vermehrt bestimmte Eiweißkörper. Auf den MRT-Bildern sind bei Patienten mit Multipler Sklerose bereits im Frühstadium entzündliche Veränderungen feststellbar. Der Einsatz von Kontrastmitteln ermöglicht den Neurologen auch, zwischen alten und frischen Herden zu unterscheiden.

„Eine optimierte Therapie können und wollen wir gemeinsam mit Patienten finden“, betont Zimmermann. „Es gibt heute eine Vielzahl in ihrer Wirkungsweise ganz unterschiedlicher Medikamente.“ Welche davon infrage kommen, hängt von der Art der Erkrankung ab. Interferone (immunstimulierende Proteine, die auch vom Körper selbst gebildet werden) zum Beispiel sind seit den 1990er Jahren im Einsatz und gehören als Basistherapie der schubförmigen MS zu den Medikamenten, die sehr früh eingesetzt werden können. Die Basistherapeutika verlangsamen das Fortschreiten der Erkrankung, vermindern die Frequenz der Schübe und deren Schweregrad. Bei B-Zell-gerichteten-Therapien kommen monoklonale Antikörper zum Einsatz, um die B-Lymphozyten aus dem Körper zu entfernen, die entscheidend zu den entzündlichen Prozessen mit beitragen. Mit einer solchen Therapie können auch hochaktive Krankheitsverläufe erfolgreich behandelt werden. Im akuten Schub wird auch heute noch immer Cortison verordnet, um seine Dauer zu verkürzen. Treten im Verlauf der MS neue Herde auf, kann dies ein Grund sein, die Medikamente umzustellen.

„Inzwischen wissen wir, dass die Medikamente, mit denen wir MS-Patientinnen und -Patienten seit 20 Jahren behandeln, auch langfristig wirken“, zieht Klockgether Bilanz. „Die neuen Medikamente sind effektiver geworden. Doch auch sie haben Nebenwirkungen, die durchaus schwerwiegend sein können.“ Die Lebensqualität der MS-Betroffenen hat sich während der vergangenen 30 Jahren deutlich verbessert. Die Medikamente, ob in Form einer Injektion (Spritze), Infusion oder oral (Tablette) sind ein wichtiger Baustein. Begleitende Behandlungen wie zum Beispiel Ergo- und Physiotherapie und der jeweilige Lebensstil (Rauchen, Bewegung), spielen aber eine ebenso wichtige Rolle im persönlichen Umgang mit der Erkrankung.

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