Isländische Sagas auf Deutsch Die Mutter der Fantasy-Literatur

Bonn · Forscher und Studenten der Uni Bonn übersetzen isländische Sagas des 12. Jahrhunderts ins heutige Deutsch. Zielgruppe sind nicht die Fachkollegen, sondern junge Leute

 Auch die US-amerikanische Serie „Game of Thrones“ (hier eine Szene der achten Staffel) hat sich bei den alten Sagas bedient.

Auch die US-amerikanische Serie „Game of Thrones“ (hier eine Szene der achten Staffel) hat sich bei den alten Sagas bedient.

Foto: "obs/Sky Deutschland/HELEN SLOAN SMPSP/HELEN SLOAN SMPSP

Das Nibelungenlied ist bekanntlich grausamer Stoff. Doch in der höfischen Dichtung um den Drachentöter Siegfried, die Schlangengrube Burgundenhof und die blutrünstige Katastrophe bei Hunnenkönig Etzel hat der Mensch immer noch das Recht, ja die Pflicht, nach dem hochmittelalterlichen Wertesystem „tugendhaft“ zu handeln.

Dieser Ansatz der Dichtung von 1200 ist einem ihrer Vorläufer, der alt-isländischen Völsungensaga, noch fremd. Da erschlägt der schon in seinem Blut schwimmende Sigurd (Siegfried) im Sterben seinen Mörder in zwei Teile und stöhnt seiner Frau, der boshaften Gudrun (Kriemhild), zu: „Niemand kann seinem Schicksal entrinnen.“

Mord und Totschlag sind in dieser Welt unausweichlich. Ungezügelt klingt in den Sagas des 12. Jahrhunderts noch der archaische Ton der Völkerwanderungszeit an.

Die Übersetzungen sollen nicht verstaubt klingen

Dieser Grundakkord wird derzeit  in einem Projekt der Skandinavistik an der Uni Bonn festgehalten, und zwar in modernen, erfrischend unverstaubten und gut lesbaren Übersetzungen durch Master-Studenten.

Mit ihnen hat Professor Rudolf Simek gerade den ersten Band des dreiteiligen Werks „Sagas aus der Vorzeit“ herausgegeben, nämlich „Heldensagas“ wie die von den Völsungen. Im Oktober sollen die „Wikingersagas“ und „Trollsagas“ folgen. Damit liege erstmals eine vollständige moderne Neu- und teilweise Erstübersetzung isländischer  Vorzeit-Sagas vor, erläutert Simek.

Sagas seien nicht mit dem deutschen Begriff „Sagen“ zu fassen, also keine mündlich überlieferte Volksliteratur. Sie seien regelrechte historische Romane von anonymen Autoren, die ihren Vorfahren literarische Denkmäler setzen wollten.

Das Projekt ist weltweit einmalig, glauben die Macher

Das Bonner Projekt sei weltweit wahrscheinlich einmalig und zugleich „genau die richtige Lektüre für alle Fantasy-Fans“, meint Simek, Professor für Ältere Germanistik. Denn was wären etwa J.R.R. Tolkiens monumentales Werk „Der Herr der Ringe“ und sein Vorläufer „Der Hobbit“ ohne die isländischen Sagas aus dem 13. und 14. Jahrhundert? Auch die Macher der weltweit erfolgreichen Fantasy-Fernsehserie „Game of Thrones“ hätten sich bei den Sagas bedient.

Durch wiederkehrende Motive wie Mord und Totschlag, Raubzüge und Zweikämpfe, Rache und Liebe hätten die Sagas einerseits unser heutiges Bild von den Wikingern geprägt. Andererseits fänden sich hier bereits die Figuren, die längst zum Standard-Personal der Fantasy-Literatur gehören: Drachen, Werwölfe, Untote, Berserker, Trolle, Zwerge, böse zauberkundige Stiefmütter, zu Trollgestalt verzauberte Prinzessinnen.

Die Übersetzung soll „heroischen Schmalz“ vermeiden

„Es ging uns darum, eine neue moderne und vor allem gut lesbare Übersetzung zu bieten, die jeglichen heroischen Schmalz aus der Nazi-Zeit vermeidet“, sagt Simek. Dabei sei oft um einzelne Worte gerungen und stundenlang diskutiert worden: zeitgemäße Übersetzung sei echte Knochenarbeit.

Mitherausgeberin ist Valerie Broustin, Masterstudentin der Skandinavistik. Sie hat Übersetzungen und Stammbäume der Familien beigesteuert, von denen die Sagas handeln: „Diese Geschichten faszinieren mich.“

Kritischer Umgang mit den Quellen müsse sich bei der Arbeit mit akribischer Recherche verbinden. „Man muss geradezu investigativ vorgehen. Es gibt immer wieder neue Querverbindungen zu entdecken.“ Die Studentin freut natürlich auch, dass sie noch in ihrer Uni-Zeit an einer Buch-Publikation mitarbeiten kann.

In der Völsungensaga wird immer noch eine Schaufel Grausamkeit draufgelegt

Das dürfte Sarah Onkels, die im ersten Band die „Saga von den Völsungen“ schnörkellos übersetzt hat, ebenso sehen. Bis zum bitteren Ende verfolgt sie das Schicksal der hetzerischen Gudrun weiter.

Wie die Kriemhild des Nibelungenlieds wird die Witwe Sigurd-Siegfrieds an ihrer Rachsucht zugrunde gehen. In der Völsungensaga wird immer noch eine Schaufel Grausamkeit draufgelegt: Hier wird sie das Leben aller ihrer Kinder aus drei Ehen riskieren – und verlieren.

Die letzte Tochter wird ans Stadttor gebunden und von auf sie gehetzten Pferden zertrampelt. Gudruns letzte Gedanken werden Sigurd-Siegfried gelten. „Du wolltest mich aus dem Totenreich besuchen und auf mich warten“, sagt sie da. „So endet ihre Klage.“