Initiative Tierwohl Sechs Euro für ein Ringelschwänzchen

Bonn · Seit vergangenem Jahr ist die Welt der Siegel im Lebensmittelsektor um ein weiteres reicher geworden: Die Initiative Tierwohl. Experten stellten diese im baen-café vor und redeten über ethische Fragen in der Landwirtschaft.

Was klingt, als würden Tierschützer oder Bioläden eine neue Kampagne starten, ist ein Verbund von Landwirten, Schlachtbetrieben und Einzelhandelsketten. Wer bei real, Aldi, Kaiser's, Kaufland, Rewe, Edeka, Penny, Lidl, Netto oder Wasgau entsprechendes Fleisch kauft, unterstützt damit seit 2015 die Initiative.

Konkret bedeutet dies, dass die Supermärkte und Discounter für jedes verkaufte Kilogramm Schweine- oder Geflügelfleisch 4 Cent in einen Fonds einzahlen. Mit den 225 Millionen Euro, die bis 2017 zusammenkommen sollen, können die teilnehmenden Bauern die Lebensqualität ihrer Tiere verbessern.

Aber was genau bedeutet der Begriff Tierwohl? Damit hat sich gestern Dr. Dirk Lanzerath, Geschäftsführer des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften aus Bonn, beschäftigt.

Im Rahmen des baen-cafés, einer gemeinsamen Veranstaltungsreihe des Bonner Agrar- und Ernährungs-Netzwerkes (baen), des Center of Integrated Dairy Research und der Stadt Bonn, sprach Lanzerath im Münster-Carré über ethische Fragen in der Landwirtschaft. „Die Ethik ist besonders gefragt, wenn durch neue technische Möglichkeiten natürliche Grenzen verschoben werden. Ein Beispiel dafür ist die Gentechnik“, sagt er.

Wenn man männliche Küken zu Tausenden direkt nach dem Schlüpfen tötet, widerspricht das unserer Vorstellung von Moral. Aber warum wehren sich viele Verbraucher gegen den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung? Das stärkste Argument gegen Medikamente im Stall ist die Angst davor, dass resistente Keime entstehen könnten – ein Beispiel dafür, dass es nicht in erster Linie um das Wohlergehen der Tiere geht.

„Eine Gruppe ist nur am Umgang mit Tieren interessiert, weil ihr Essen – in dem Falle das Fleisch – ihr Leben und ihre Lebensqualität beeinflusst“, sagt Lanzerath. „Auf der anderen Seite stehen Menschen, die eine direkte Verpflichtung den Tieren gegenüber spüren, weil viele von ihnen ähnliche Eigenschaften haben wie wir; auch sie empfinden Schmerzen.“

Zu den Vorstellungen der Verbraucher hat Oliver Thelen, stellvertretender Geschäftsführer der QS-Qualität und Sicherheit, genaue Zahlen. „60 Prozent der Verbraucher halten artgerechte Tierhaltung für wichtig. Aber 98 Prozent des Schweine- und Geflügelfleisches stammen immer noch aus konventioneller Erzeugung“, sagt er.

Als Gesellschafter der Initiative Tierwohl stellt Thelen verschiedene Maßnahmen vor, mit denen die teilnehmenden Landwirte für mehr Wohlbefinden bei ihren Tieren sorgen können. „All unsere Kriterien liegen über den gesetzlichen Vorgaben“, betont er. Neben einigen verpflichtenden Entscheidungen, wie zum Beispiel, dass die Tiere 10 Prozent mehr Platz bekommen, können sich Betriebe aus sogenannten Wahlkriterien jene aussuchen, „die am besten zu ihnen passen“.

Der Großteil der Landwirte hat sich nicht für Auslauf oder Tageslichteinfall entschieden, sondern für Kriterien wie „organisches Beschäftigungsmaterial“. Neben einem Pauschalbetrag erhalten die Landwirte Prämien – beispielsweise sechs Euro für jedes Ferkel, das sein Ringelschwänzchen behalten darf.

Ob die „Initiative Tierwohl“ tatsächlich dazu beiträgt, dass die Tiere aus den teilnehmenden Betrieben ein gutes Leben haben, soll ab 2018 überprüft werden. Dabei beschränkt man sich darauf, nach der Schlachtung den Zustand der Tiere zu melden. Wie man genau herausfinden soll, ob es Tieren gut geht, ist allerdings fraglich. Aus ethischer Sicht ist sich Lanzerath in einem Punkt aber sicher: „Tiere sollten weder instrumentalisiert noch vermenschlicht werden.“

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