Diskussion um Rückgabe von Kunst Streit um Bronzen in Bonn wird zum Wissenschaftskrimi

Bonn · Der Fall zweier Tierbronzen aus Afrika in der Bonner Amerika-Sammlung entwickelt sich zum Wissenschaftskrimi. Plakative Rückgabeforderungen treffen auf die Fallstricke einer komplexen Realität.

 Um eine Bronzefigur im Museum König gibt es eine Diskussion um Rückgabeforderungen.

Um eine Bronzefigur im Museum König gibt es eine Diskussion um Rückgabeforderungen.

Foto: Benjamin Westhoff

Er ist gerade ein Dutzend Zentimeter hoch und für einen stolzen Gockel bei genauerer Betrachtung eigentlich ziemlich flachbrüstig. Trotzdem hält ein Bronzehahn aus dem ehemaligen Königreich Benin in Westafrika seit geraumer Zeit Wissenschaftler aus dem Institut für Archäologie und Kulturanthropologie der Universität Bonn um Professorin Karoline Noack und Dr. Daniel Graña-Behrens in Atem. Das Sammelstück aus dem Bestand der Bonner Amerikas-Sammlung (BASA) in der Oxford-Straße ist zum Exempel geworden, wie vielschichtig sich die aktuelle Diskussion um die Rückführung sogenannter „Beutekunst“ aus Kulturen außerhalb Europas im Einzelfall tatsächlich gestaltet.

Um den spinnt sich mittlerweile ein echter Wissenschaftskrimi. Die Geschichte beginnt, wenn nicht noch früher, so spätestens im Jahr 1884 in Berlin. Dorthin hat Reichskanzler Otto von Bismarck alle in Afrika engagierten Mächte zur Kongo-Konferenz geladen; es geht unter anderem um die Handelsfreiheit an den Flüssen Kongo und Niger.

 Das Objekt der Betrachtung: Professorin Karoline Noack und Dr. Daniel Graña-Behrens von der Uni Bonn nehmen die Bronzefigur ins Visier.

Das Objekt der Betrachtung: Professorin Karoline Noack und Dr. Daniel Graña-Behrens von der Uni Bonn nehmen die Bronzefigur ins Visier.

Foto: Martin Wein

Faktisch bildet die Schlussakte die Grundlage für die koloniale Aufteilung des Kontinents. Dabei wird auch das Verbot des Sklavenhandels festgeschrieben – und Großbritannien nutzt dieses Ansinnen als Vorwand für Kolonialkriege gegen einheimische Reiche wie Benin. Dessen Territorium rund um Benin City bildet heute die Provinz Edo in Nigeria, hat mit dem heutigen westafrikanischen Staat Benin also nichts zu tun.

Unter militärischem Druck schließt der König von Benin 1892 einen Freihandelsvertrag mit den Briten. Trotzdem verlangt er weiter Zölle. Daraufhin schicken die Engländer fünf Jahre später 1200 gut ausgerüstete Soldaten zu einer blutigen Strafexpedition und nehmen das Reich ein. Dabei plündern sie auch den Königspalast und nehmen Tausende wertvolle Bronzetafeln und -skulpturen mit nach London. Was nicht im Britischen Museum landet, wird meistbietend versteigert.

Soweit die Vorgeschichte. Ein gutes halbes Jahrhundert später reist Franz Josef Micha, ein Mitarbeiter des Bonner Seminars für Völkerkunde, in die britische Hauptstadt. Im Auftrag seines Arbeitgebers und mit Geldern der Deutschen Forschungsgemeinschaft soll er Objekte aus verschiedenen Kulturen und Zeitepochen als Anschauungsmaterial für Bonner Studierende ankaufen. Die heutige Amerikas-Sammlung mit archäologischen und ethnographischen Objekten ist damals noch global orientiert. Bei dem Antiquitätenhändler Thomas wird Micha fündig. Hier kauft er zwei Objekte aus Bronze.

Jahrzehnte später werden sie als Hähne aus dem Königspalast in Benin City katalogisiert. Weil die Plünderung von 1897 ein wichtiges Ereignis in der Kolonialgeschichte Afrikas darstellt, geht man ganz selbstverständlich davon aus, dass auch diese Tierfiguren wohl aus der damals gesammelten Beute stammen.

2010 gewinnt das Thema an Brisanz. Betroffene Museen aus Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden, Österreich und Schweden gründen mit der Regierung Nigerias, dem dortigen Nationalmuseum und Vertretern des bis heute bestehenden Königshofs von Benin die „Benin Dialogue Group“ (BDG). Diese soll zentral Umfang, Wünsche und Modalitäten einer möglichen Rückgabe von Beutekunst klären. „Selbst bei ausgewiesener Beutekunst kann man die Stücke ja nicht einfach in ein Paket packen und wegschicken“, sagt BASA-Leiterin Noack. Oftmals müsse nach den vielen Jahrhunderten zunächst erkundet werden, wer überhaupt die rechtmäßigen Besitzer sind. „Wir wollen mit einer Rückgabe nicht noch weitere Konflikte schüren“, betont Noack.

Auch in Benin gehen die Vorstellungen zwischen dem Königshof, dem Nationalmuseum und der Regierung der Provinz Edo weit auseinander, was mit den Kunstwerken passieren soll. Erst nach Jahren des Dialogs einigt man sich 2019 grundsätzlich auf den Bau eines neuen Museums in Benin City, das die Kunstwerke womöglich bereits 2021 aufnehmen soll. Nachdem in Bonn die Master-Studentin Lena Steffens die Geschichte der beiden Bronze-Hähne und ihrer Herkunft erstmals umfänglicher aufgearbeitet hat, verkündet der GA im August 2019, die Stücke würden an Nigeria übereignet – leider etwas voreilig, wie sich zeigt.

Tatsächlich aber holen Noack und Graña-Behrens sich Rat bei einer ausgemachten Expertin. Silvia Dolz ist Kustodin der Afrika-Sammlungen am Museum für Völkerkunde in Dresden und Mitglied der BDG. Die Anfrage der Bonner Völkerkundler, die Objekte in den Katalog möglicher Rückführungsstücke aufzunehmen, unterstützt Dolz nicht: Diese seien „völlig unbedeutend im Verhältnis des Gesamtkonvoluts“, urteilt sie.

Und die Expertin bringt die bisherigen Ergebnisse der Provenienz-Forschung ins Wanken. Der Königshof von Benin habe nach der britischen Plünderung fortbestanden und für die Ausschmückung von Palastaltären bei den zahlreichen Mitgliedern der höfischen Bronzegießergilde neue Stücke in Auftrag gegeben. Dazu gehörten bis zu 50 Zentimeter große Messinghähne „als stolzes Symbol einer wehrhaften Königsmutter“, berichtet Dolz.

Kleinere Stücke, die auf den Altären keine Verwendung fanden, seien nach 1914 häufig regulär verkauft worden, um die Unkosten zu decken. So könnte es gut sein, dass die beiden Bonner Bronzen gar nicht geraubt, sondern später in voller Absicht verkauft wurden. Dann wären sie keine Beutekunst, sondern gewöhnliche Handelsware. „Ich denke fast, dass Benin das [die Hähne, Anmerkung der Redaktion] nicht restituiert haben möchte“, glaubt Dolz. Und auch in einer weiteren Hinsicht bringt sie die Bonner Forscher auf einen neuen Weg. Womöglich ist die Figur, die die Universität derzeit in der Ausstellung „Objektwelten als Kosmos“ im Museum Koenig zeigt, in Wahrheit gar kein Hahn – sondern eine Henne.

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