Bonner Forschung zu Nervenzellen Stress schädigt Bewegungszentren im Gehirn

Bonn · Eine aktuelle Studie der Universität Bonn zeigt, dass Mäuse unter Druck einen Teil ihrer Synapsen verlieren. Die Erkenntnisse lassen sich vielleicht für eine frühzeitigere Diagnostik und verbesserte Therapie stressbedingter Erkrankungen, wie der Depression, nutzen.

 Im Labor des physiologischen Instituts der Uni Bonn: Professor Valentin Stein und Dr. Anne-Kathrin Gellner.

Im Labor des physiologischen Instituts der Uni Bonn: Professor Valentin Stein und Dr. Anne-Kathrin Gellner.

Foto: Volker Lannert / Uni Bonn

Bluthochdruck, Gefäßerkrankungen, Kopfschmerzen, Magenbeschwerden, Durchfall oder Verstopfung, innere Unruhe und vieles mehr: Die Liste möglicher Folgen von andauerndem Stress ist lang und könnte nun noch ergänzt werden; und zwar um die Schädigung der Bewegungszentren im Gehirn – zumindest bei Mäusen. Zu dem Schluss kommt eine aktuelle Studie der Uni Bonn.

Demnach verlieren die Neurone von Nagern nach Stress einen Teil ihrer Kontakte zu anderen Nervenzellen. Zudem entwickeln die Tiere motorische Defizite. Die Ergebnisse der Studie lassen sich vielleicht für eine frühzeitigere Diagnostik und verbesserte Therapie stressbedingter Erkrankungen, wie der Depression, nutzen.

Ausgangspunkt des Ganzen: Chronisch gestresste Menschen zeigen zuweilen Auffälligkeiten in ihrem Bewegungsvermögen, etwa eine schlechtere feinmotorische Kontrolle. Wie es zu diesen Symptomen kommt, wurde bislang aber noch kaum untersucht. „Wir sind dieser Frage in unserer Studie nachgegangen“, erklärt Professor Valentin Stein vom Institut für Physiologie II der Uni Bonn. Die Forscher nutzten Mäuse als Versuchstiere, von denen sie einen Teil für einige Tage einer stressigen Situation aussetzten. Mit einer speziellen Mikroskopie-Methode machten sie derweil Aufnahmen vom Gehirn der Nager. Dabei konzentrierten sie sich auf Teile der Hirnrinde, die für die motorische Steuerung und das Erlernen neuer Bewegungen zuständig sind.  „Mit unserem Verfahren ist es möglich, ein und dasselbe Neuron zu verschiedenen Zeitpunkten zu beobachten“, sagt Dr. Anne-Kathrin Gellner, die als Ärztin in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Uniklinikums Bonn arbeitet. „Wir können daher sehen, ob und wie es sich durch den Stress verändert.“

Die Wissenschaftler stießen dabei tatsächlich auf eine Auffälligkeit: Nach der stressigen Situation verloren die untersuchten Neurone einen Teil ihrer Synapsen – das sind die Kontakte zu anderen Nervenzellen. Bei Lernvorgängen bilden sich in der Regel neue Synapsen, oder bestehende werden gestärkt. Die gestressten Nager verloren stattdessen aber bis zu 15 Prozent ihrer Kontakte. Gleichzeitig entwickelten die Tiere motorische Lerndefizite. So sollten sie versuchen, mit einer Pfote ein Futterkügelchen zu greifen und in ihr Maul zu befördern. In freier Wildbahn nutzen Mäuse dazu beide Pfoten; sie mussten die Fähigkeit also neu lernen. Die nicht gestresste Kontrollgruppe kam nach fünf Tagen auf eine Erfolgsquote von 30 Prozent. Die gestressten Nager schafften es aber nur bei jedem zehnten Versuch, das Futter zu nehmen.

Manche Mäuse entwickelten nach einigen Tagen Stress kaum Auffälligkeiten – sie gelten als resilient. Erstaunlicherweise hatten diese robusten Tiere ähnlich große Schwierigkeiten wie ihre empfindlicheren Artgenossen, das einhändige Greifen zu lernen. „Möglicherweise eignen sich motorische Tests daher sehr gut, um stressbedingte Störungen wie etwa eine Depression zu erkennen, bevor sich andere Symptome zeigen“, hofft Stein.

Auch bei resilienten Tieren ging die Zahl der Synapsen nach dem Stressereignis zurück. Anders als bei ihren stressempfindlichen Artgenossen erholten sich die betroffenen Neurone jedoch wieder: Nach anderthalb Wochen war die Zahl der Synapsen wieder ähnlich hoch wie vor dem Stress und vergleichbar mit der Menge bei den nicht gestressten Kontrolltieren. „Dennoch kann es gut sein, dass psychische Belastungen auch bei ihnen dauerhafte Spuren hinterlassen, wenn sie zu lang oder zu häufig erfolgen“, befürchtet Stein.

Die Forschenden haben auch Hinweise darauf, wodurch der Verlust der Synapsen ausgelöst wird: Im Gehirn der Nager waren bestimmte Immunzellen aktiviert, die Mikroglia. Sie zählen zu den sogenannten Fresszellen und können etwa Krankheitserreger oder defekte Zellen verdauen. Möglicherweise werden sie durch Stress „scharf geschaltet“ und machen sich dann über die Kontaktstellen her. Die Arbeitsgruppe untersuchte zudem die Flüssigkeit, die Gehirn und Rückenmark umspült. Dabei fand sie bestimmte Proteine, die sich dort normalerweise bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer nachweisen lassen. „Wir glauben daher, dass stressbedingte psychiatrische Erkrankungen wie die Depression auch mit dem Abbau von Nervenzellen einhergehen“, sagt Dr. Gellner. „Dauerhafter Stress, dem zunehmend auch Kinder ausgesetzt sind, kann demnach möglicherweise gravierende Schäden im Gehirn anrichten.“ 

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