Patientenkolloquium am 17. Februar UKB berät zum Thema Sucht und Drogenkonsum
Bonn · Beim nächsten Patientenkolloquium des Universitätsklinikums Bonn geht es am 17. Februar um alte und neue Drogen, darum, wie das Internet den Markt verändert hat und wie sich der Drogenkonsum auf die Psyche auswirkt.
Der Griff zu Substanzen, deren Wirkung als entspannend, anregend oder bewusstseinserweiternd empfunden wird, reicht bis in unsere Vor- und Frühgeschichte zurück, wäre demnach also als etwas ganz Menschliches anzusehen. Doch woran liegt es, wenn manche damit so umgehen, dass es ihr Leben kaum beeinträchtigt, während viele andere abhängig werden (mit all den damit verbundenen Problemen und gesundheitlichen Schäden) oder sogar daran sterben? Wie verändert sich die Psyche durch den Konsum, direkt, kurz- oder langfristig, auf Dauer? Wie können sich Betroffene von ihrer Sucht befreien oder zumindest damit (über-)leben? Und wie lassen sich andererseits psychedelische Substanzen zur Heilung von psychiatrischen Krankheitsbildern einsetzen?
Um Fragen wie diese geht es beim nächsten Patientenkolloquium des Universitätsklinikums Bonn (UKB) am Donnerstag, 17. Februar – wieder als öffentliche Zoom-Konferenz, von 18 bis 20 Uhr. Professorin Alexandra Philipsen (Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie), Dr. Henrik Rohner (Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie) und Sven Wasserthal, (wissenschaftlicher Mitarbeiter der Sektion Medizinische Psychologie) sprechen an diesem Abend über alte und neue Drogen, wie das Internet den Markt verändert hat, welche Herausforderungen moderne Suchtmedizin stellt und welche Hilfe es für Betroffene auf dem Campus Venusberg gibt.
Zur Universitätsmedizin gehört auch die Behandlung von Suchterkrankungen
„Traditionell hat unsere Klinik den Suchtbereich schon immer abgedeckt“, erklärt Philipsen einleitend. Verbunden mit dem Umzug der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie ins 2018 eröffnete Neurozentrum (NPP) waren seinerzeit auch grundsätzliche Überlegungen zur Zukunft der Station für Schwerstabhängige. „So haben wird die Anzahl unserer Plätze von 14 auf 18 erweitert“, fügt Philipsen hinzu. Denn die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit stoffgebundenen Suchterkrankungen (Abhängigkeit von Alkohol, Heroin, Kokain, Amphetaminen sowie multiplen Abhängigkeiten von mehreren Stoffen) gehöre auch zur Universitätsmedizin.
Die Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am UKB ist auf die Erforschung der ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung) im Erwachsenenalter spezialisiert. „Die Zusammenhänge zwischen ADHS und einer potenziell erhöhten Anfälligkeit für Suchterkrankungen zu untersuchen, ist ein Schwerpunkt, den wir weiter ausbauen möchten“, ergänzt Philipsen. „Es ist auch aus diesem Grund wichtig, die Diagnose ADHS im Erwachsenenalter früh zu stellen, um möglichst vor der Entstehung einer möglichen Abhängigkeit gegensteuern zu können.“
Doch wo und wie kommen Menschen mit Substanzen in Kontakt, die über traditionell frei verfügbare Suchtmittel wie Alkohol hinausgehen? Und wie könnte sich eine Legalisierung von Cannabis (siehe Text unten) auswirken? Fest steht: „Das Internet hat den Markt massiv verändert“, konstatiert Wasserthal. „Amphetamine kann man heute online bestellen. Und obwohl manche das vielleicht für sauberer und ungefährlicher halten als ihren Stoff auf der Straße in der szenetypischen Umgebung zu kaufen, entziehen sich auch diese Substanzen letztlich den üblichen Kontrollmöglichkeiten“, warnt Wasserthal.
Manche möchten mit Drogen feiern, andere kommen nicht mehr davon los
Der klinische Psychologe ist seit 2017 wissenschaftlicher Mitarbeiter und gehört zum Team in der Früherkennungsambulanz für Psychosen (FEP) am UKB. Er weiß aus seiner beruflichen Erfahrung, dass Drogenkonsum das Risiko, eine Psychose zu entwickeln, erhöhen kann – wenn auch nicht bei jedem in gleichem Maße. Weitere Faktoren sind zum Beispiel eine genetische Disposition (Veranlagung) und das jeweils konkrete Motiv, zu Drogen zu greifen. „Da gibt es jemanden, der auf einer Party nur mal abfeiern möchte, und einen anderen, der versucht, unter Drogen am normalen Leben teilzuhaben, seine sozialen Ängste zu überwinden. Der Konsum scheint das zu ermöglichen – für eine Weile.“
Doch die Wahrnehmung und das Denken können sich unter der Suchterkrankung verändern. „Symptome einer sich daraus entwickelnden Psychose können das Hören von Geräuschen oder Stimmen sein; auch das Gefühl, beobachtet oder in seinen Gedanken fremdbestimmt zu werden. Es treten vermehrt Ängste auf, die- oder derjenige zieht sich mehr und mehr von seiner Umwelt zurück“, beschreibt Wasserthal.
Konzentrationsprobleme, ein Mangel an Anteilnahme und an Interessen werden von anderen oftmals früher registriert. „Es sind oft Angehörige – Eltern, Partner oder Freunde –, die sich an uns wenden“, sagt Wasserthal. „Psychosen verändern die Wahrnehmung der Erkrankten. Deshalb spielt die Fremdanamnese auch eine wichtige Rolle. Entscheidend ist aber, dass die oder der Betroffene selbst zu uns in die Sprechstunde kommt. Wichtig ist, das früh zu tun, und nicht erst, wenn sich eine Psychose bereits zum Vollbild entwickelt hat.“
Denn in einem Vorstadium – einem erhöhten Psychose-Risiko – sind die Chancen einer wirksamen Therapie noch entsprechend größer. Voraussichtlich ab September 2022 soll es am UKB auch ein ambulantes Therapieprogramm für Patientinnen und Patienten mit erhöhtem Psychose-Risiko geben.
Wie wirkt sich Drogenkonsum auf das Gehirn junger Menschen aus?
Das Durchschnittsalter der Patientinnen und Patienten in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie liegt, so Wasserthal, bei Mitte 40. „Das heißt, es gibt bei uns auch jüngere Menschen und viele von ihnen mit Problemen der Hyperaktivität und emotionalen Instabilität.“ Ein Schwerpunkt liegt im jungen Erwachsenenbereich, wo Suchterkrankungen besonders häufig erstmals in Erscheinung treten. Ein Alter, in dem die Ausreifung des Gehirns oft noch nicht abgeschlossen ist und Stoffe wie Heroin, Kokain, Amphetamine oder auch Cannabis dessen Strukturen verändern können. Spezifische Botenstoffe, die das Suchtverhalten steuern, spielen dabei eine entscheidende Rolle.
„Die Folgen dieser Veränderungen sind nicht absehbar“, erklärt Henrik Rohner. Er ist seit Ende 2019 Oberarzt im Akutbereich der Psychiatrie und leitet seit Mai 2020 die Entgiftungsstation und die Diamorphinambulanz in der Bonner Innenstadt. „Die Notfallsuchtmedizin hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen“, stellt er fest. „Wobei ein mit unserem vergleichbares Angebot für schwerst Suchtkranke auch nicht ohne Weiteres im universitätsklinischem Bereich zu finden ist.“ Vor allem die Diamorphinambulanz in Zusammenarbeit mit Caritas und Diakonie werde seit vielen Jahren dankbar angenommen.
Die Aufnahme in dieses Programm unterliegt allerdings einigen Auflagen. Die bis zu 60 Patientinnen und Patienten, die daran teilnehmen können, müssen mindestens 23 Jahre alt sein, in Bonn wohnen und eine schwere körperliche und auch psychische Erkrankung haben. Das können HIV oder Diabetes sein, Depressionen, Schizophrenie oder bipolare Störungen. Sie spritzen sich unter ärztlicher Aufsicht Heroin – für sie die einzige Möglichkeit, mit ihrer Sucht überhaupt noch zurecht zu kommen. Denn das Gehirn eines schwerst Abhängigen ist längst nur noch auf Konsum programmiert – und der Druck, um die dafür nötigen Mengen zu beschaffen, verschärft die körperliche und psychische Verelendung dieser Suchtkranken.
„Wir konnten durch dieses Programm wahrscheinlich auch Todesfälle verhindern“, sagt Rohner. Er leitet die „Station Freud“ mit suchtmedizinischem Schwerpunkt. Sie besteht am UKB seit 15 Jahren. „Wir haben hier einen Akutbereich für suchtassoziierte Notfälle – zum Beispiel bei Suizidgedanken im Rahmen einer Alkoholabhängigkeit.“ Ein weiterer Schwerpunkt der Station ist die Behandlung von Menschen mit einer „Doppeldiagnose“. Denn Abhängigkeit geht häufig zeitgleich mit weiteren Erkrankungen einher, etwa Psychosen, Depressionen, Störungen der Impulskontrolle oder auch ADHS.
Ein weiteres Problem: Die Corona-Pandemie habe die Situation für Suchtkranke und Menschen mit psychischen Störungen weiter verschärft. „Es kommen mittlerweile in hoher Frequenz Patientinnen und Patienten zu uns, die früher länger ohne Suchtmittel durchgehalten haben“, beobachtet Rohner. Und hofft nun gemeinsam mit Sven Wasserthal und Professorin Alexandra Philipsen für die Patientinnen und Patienten auf bald hellere Tage.