Patientenkolloquium am 21. Juli 2022 UKB informiert zu Gesundheitsvorsorge und Hygiene
Bonn · Beim nächsten Patientenkolloquium des Bonner Universitätsklinikums geht es darum, wie sich durch die Erhebung und den Austausch von Daten die Ausbreitung von Infektionen erkennen und stoppen lässt.
Vor drei, vier Jahren noch mag der Gedanke an eine Pandemie für die meisten Menschen „beruhigend“ weit entfernt gewesen sein. Zwar hatte es 2002/2003 eine neue rätselhafte Atemwegserkrankung namens SARS gegeben. Aber das Ganze spielte sich doch hauptsächlich in Asien ab, oder? Zudem verschwand dieses Virus so plötzlich, wie es aufgetreten war – zumindest scheinbar. Heute hingegen, wo (fast) jeder den Unterschied zwischen einer OP- und einer FFP2-Maske kennt, sich selbst testet und auf seinem Smartphone den Nachweis der Impfung gegen Sars-CoV-2 stets griffbereit hat, erscheint einem diese „Naivität“ schon selbst grotesk.
Dass Hygiene ein unverzichtbarer Baustein der öffentlichen Gesundheitsvorsorge ist, dürfte demnach kaum noch jemand bestreiten. Die Corona-Pandemie hat das allgemeine Bewusstsein dafür, dass wir auch in unserer hoch technisierten Welt von potenziell (lebens)bedrohlichen Krankheitserregern umgeben sind, geschärft. Und sie hat gezeigt, wie vor allem Informationstechnik dazu genutzt werden kann, um die Gefahren für die regionale, nationale und globale Bevölkerung so weit wie möglich einzudämmen.
Doch welche Daten müssen dazu erhoben werden und wie kommen sie auf schnellstem Wege dorthin, wo sie erforderlich sind, um gefährliche Viren oder auch Bakterien so früh wie möglich zu identifizieren, um Infektionsketten zu durchbrechen und Vorsichtsmaßnahmen zu treffen? Genau darum geht es beim nächsten Patientenkolloquium des Universitätsklinikums Bonn (UKB) am Donnerstag, 21. Juli, von 18 bis 19.30 Uhr: diesmal als Hybridveranstaltung – sowohl im Hörsaal des Biomedizinischen Zentrums I (Gebäude B 13) als auch über das Konferenzportal Zoom. Experten an diesem Abend sind Professor Nico T. Mutters, Direktor des Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit am UKB, und Privatdozent Dr. Sven Zenker, Leiter der Stabsstelle Medizinisch-Wissenschaftliche Technologieentwicklung und -koordination (MWTek).
Das Abwasser kann Aufschluss über Infektionen geben
„Beim Kolloquium werden wir einige der neuen Methodiken zeigen“, erklärt Mutters einleitend. Dazu gehören mikrogeografische Analysen und automatisierte Surveillance (systematische und kontinuierliche Überwachung von Erkrankungen und Sterberaten in der Bevölkerung) sowie die Steuerung von Bettenkapazitäten und Patiententransfers. In seinem Spezialgebiet „Transmissionsdynamik“ erforscht Mutters, wo, wie und mit welcher Geschwindigkeit sich beispielsweise multiresistente Erreger (MRE) ausbreiten. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie initiierte Forschungsprojekte wie das Abwassermonitoring könnten in Zukunft auch dabei helfen, auf eine mindestens ebenso große globale Bedrohung wie die Corona-Pandemie zu reagieren.
„Unser Ziel ist, die Quelle der Infektion zu finden und die Ausbreitung zu stoppen. Es geht darum, durch unser wachsendes Wissen über die Verbreitungsmuster schließlich vor die Welle zu kommen und präventiv handeln zu können“, sagt Mutters. Die Ausbreitung von Erregern im Gesundheitswesen beispielsweise folgt den Patientenströmen und den ihnen zugrunde liegenden Netzwerkstrukturen. Damit sind Bewegungs- und Kontaktmuster in der Bevölkerung gemeint, nicht-digitale soziale Netze und Faktoren wie beispielsweise der Wohnort, die das Ausbreitungsgeschehen maßgeblich beeinflussen. „Diese Strukturen müssen wir kennen und analysieren“, betont Mutters. „Digitalisierung und moderne IT-Verfahren können die dabei nötigen Schritte massiv vereinfachen, sie beschleunigen und machen sie zum Teil überhaupt erst möglich.“
So wurde mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) Anfang April 2020 das Netzwerk Universitätsmedizin (kurz: NUM) gegründet. Dessen Aufgabe ist es, Ergebnisse aus klinischer Versorgung und Forschung in eine Krisenbewältigungsstrategie für diese und künftige Pandemien zu führen. Das am UKB entwickelte und schon seit der Frühphase der Pandemie durch diverse Universitätskliniken genutzte NUM-Dashboard soll in aktuellen, durch Zenker koordinierten Vorhaben unter anderem um Frühkennung und vertiefte Bewertung von Infektionsmustern und -netzwerken sowie intensivmedizinische Vorhersagemodelle ergänzt werden.
Meist sind Hausärzte die Ersten, die Auffälligkeiten entdecken
Wichtig ist aus Sicht von Mutters aber auch die Vernetzung mit niedergelassenen Allgemeinmedizinern über das Institut für Hausarztmedizin am UKB. „Sie sind meist die Ersten, die bei ihren Patienten Auffälligkeiten feststellen, die womöglich auf eine sich anbahnende Epidemie hinweisen.“ Doch wem nützt dieses Wissen, wenn jeder isoliert für sich agiert? „Es gibt eine hohe Dynamik im ambulanten Bereich“, betont Mutters.
Der Schlüssel liegt im Datenaustausch. Die Grundlagen dafür schafft am UKB die von Zenker geleitete Stabsstelle (MWTek). „Wenn wir Daten auf Knopfdruck zur Verfügung stellen können, die sonst aufwendig von Hand erfasst werden müssen, unterstützen wir damit das Durchbrechen von Infektionsketten und die Prävention und entlasten dabei zugleich auch das medizinische Personal“, sagt er. „Denn Dokumentationspflichten beanspruchen schon jetzt sehr viel Zeit“, beschreibt Zenker das Problem, das er sowohl als Anästhesist und Intensivmediziner als auch in seiner Funktion als IT-Fachmann kennt. Zu seinem 30-köpfigen Team in der Stabsstelle zählen neben Informatikern auch unterschiedlich spezialisierte Fachärztinnen und Fachärzte sowie Fachpflegekräfte. „Mediziner brauchen kein spezielles IT-Wissen – mein Team analysiert die medizinischen und wissenschaftlichen Anforderungen und begleitet deren technische Umsetzung. Besonders anspruchsvolle Lösungen entwickeln wir auch selbst. Dieses interdisziplinäre Konzept hat sich sehr bewährt und wird an anderen Universitätskliniken nachgeahmt.“
Ein Thema dabei ist auch der Datenschutz. „Nicht alle Daten lassen sich vollständig anonymisiert nutzen, wenn wichtige medizinisch-wissenschaftliche Fragen vernünftig beantwortet werden sollen“, sagt Zenker. Um solche Forschung zu ermöglichen, gibt es eine unter UKB-Koordination entwickelte, bundesweit einheitliche datenschutzkonforme Patientendatenspende (Broad Consent), über deren Möglichkeiten und Grenzen Zenker beim Kolloquium informiert.
Um digitale Innovationen in der Medizin schneller zur Marktreife zu bringen und Ausgründungen aus Hochschulen zu erleichtern, haben die Medizinische Fakultät und das Transfercenter enaCom der Universität Bonn daher den „Bonn Hub for Algorithmic Innovation in Medicine“ (BoHAIMe) am UKB ins Leben gerufen. Die Landesregierung unterstützt dieses Portal mit rund 1,8 Millionen Euro. Im BoHAIMe werden Projektideen aus dem medizinischen Umfeld durch Zenkers Team von Beginn an begleitet, um eine schnelle Anwendung und Ausgründung zu ermöglichen.
Der Begriff Preparedness steht für forschungsbasierte Maßnahmen, die angesichts potenzieller Katastrophen ergriffen werden. „Und IT ist für uns als Hygieniker ein wichtiges und sehr effektives Instrument, um diese Preparedness nach vorn zu bringen“, fasst Mutters zusammen. Das gilt nach wie vor für die Corona-Pandemie und auch weit darüber hinaus.