Ringvorlesung an Uni Bonn Tötung von Neugeborenen Thema an der Uni Bonn

Bonn · Am Donnerstagabend beginnt an der Universität Bonn die Ringvorlesung "Auf Leben und Tod". Der erste Teil der öffentlichen Vortrags- und Diskussionsabende beschäftigt sich mit der Tötung von Neugeborenen.

 Frauen, die ihr Neugeborenes töten, kommen laut der langjährigen Gutachterin Professorin Anke Rohde aus allen gesellschaftlichen Schichten. Soziodemografische Faktoren wie Alter oder Bildungsstatus spielen demnach eher eine untergeordnete Rolle.

Frauen, die ihr Neugeborenes töten, kommen laut der langjährigen Gutachterin Professorin Anke Rohde aus allen gesellschaftlichen Schichten. Soziodemografische Faktoren wie Alter oder Bildungsstatus spielen demnach eher eine untergeordnete Rolle.

Foto: Adobe Stock

Mindestens einmal im Jahr muss Professor Burkhard Madea ein Neugeborenes obduzieren, um zu klären, ob die Mutter das eigene Kind bei oder direkt nach der Geburt getötet hat. Dem Leiter des Instituts der Rechtsmedizin der Uni Bonn ist aus seiner langen Erfahrung ein Fall besonders eindrücklich in Erinnerung geblieben: "Vor gut 20 Jahren hat eine Krankenschwesternschülerin ihr Kind heimlich auf ihrer Arbeitsstelle - in der Klinik - auf die Welt gebracht und anschließend getötet. Niemand hatte zuvor mitbekommen, dass sie schwanger war. Dabei arbeitete sie auf der gynäkologischen Station des Krankenhauses", sagt der 61-Jährige.

Die Tötung von Neugeborenen durch ihre Mütter, den sogenannten Neonatizid, thematisiert Madea nun bei der von ihm und anderen Professoren verschiedener Fakultäten initiierten, öffentlichen Ringvorlesung "Auf Leben und Tod. Medizin - Ethik - Recht im Diskurs". Die Veranstaltungsreihe an der Uni Bonn geht mit ihrem Auftakt an diesem Donnerstag in das vierte Semester und behandelt Situationen "in denen das Leben besonders schwach und anfällig ist - vor allem also an dessen Beginn und dessen Ende", so der Rechtsmediziner. Für die Vortrags- und Diskussionsabende bringt er regelmäßig verschiedene Experten der Uni zusammen, zum Beispiel aus den Disziplinen der Rechtswissenschaften, der Medizin und der Medizin-Ethik.

Neben Madea wird unter anderem auch Professorin Anke Rohde, lange Zeit Leiterin der Gynäkologischen Psychosomatik an der Universitätsfrauenklinik Bonn und inzwischen emeritiert, am Donnerstagabend auf dem Podium sitzen. Im Zuge ihrer Gutachtertätigkeit vor Gericht hatte sie immer wieder mit Fällen von Neugeborenentötung zu tun. "Die Täterinnen kommen mitnichten immer aus zerrütteten Verhältnissen, sie kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten", sagt sie. Auch hat sie sich wissenschaftlich über viele Jahre mit der möglichen Motivlage der Frauen beschäftigt. Zusammen mit ihren Kollegen beschreibt sie, dass der Neonatizid der schlimmstmögliche Ausgang eines langen Prozesses ist. Zu diesem gehöre immer ein Negieren - also ein Verdrängen, Verleugnen oder Verheimlichen - der Schwangerschaft.

Rund 1400 negierte Schwangerschaften pro Jahr

Sie zitiert eine Studie, nach der eine von 475 Schwangerschaften bis zur 20. Woche unentdeckt bleibt, das seien für Deutschland rund 1400 negierte Schwangerschaften pro Jahr. Im gleichen Zeitraum würden etwa 20 bis 40 tote Neugeborene aufgefunden, daran hätten auch die Babyklappen nichts geändert. Eine Verdrängung führe nicht zwangsläufig zur Tötung des Kindes: Sie kenne auch viele klinische Fälle, in denen die überraschte Mutter sich sehr schnell auf ihr Kind eingestellt habe. Aber: "Wenn eine Schwangerschaft erst einmal negiert wird, scheint das Leben des Neugeborenen am »seidenen Faden« zu hängen", so Rohde. "Frauen in solchen Situationen sind nicht psychisch krank im engeren Sinne, haben aber durchaus eine Persönlichkeitsproblematik, in der Regel mit mangelnder Reife und Defiziten in der Kommunikation ihrer Probleme. Sie sind nicht in der Lage, konstruktiv nach Lösungen für ihre Probleme zu suchen", so die Psychiaterin und Psychotherapeutin weiter.

Letzteres sei auch der Grund, warum die im Jahr 2000 eingeführten Babyklappen keine Möglichkeit der Vorbeugung gegen Neonatizid seien: Sie zu nutzen, setze eine Beschäftigung mit der Schwangerschaft und eine Suche nach einer Lösung voraus - was jedoch durch die Verdrängung gerade vermieden werde. Und die 2014 eingeführte sogenannte "vertrauliche Geburt", die für eine bestimmte Gruppe ungewollt Schwangerer eine hilfreiche Einrichtung sei, erreiche diese Frauen nicht, sagt Rohde. Bei der vertraulichen Entbindung werden Mutter und Kind im Krankenhaus unter Pseudonymen geführt, und das Kind wird standesamtlich als "vertraulich geboren" gemeldet. Anschließend nimmt das Jugendamt das Baby in Obhut und kümmert sich um einen Vormund.

Neugeborenentötung kann als Mord gelten

Den rechtswissenschaftlichen Blick auf dieses schwierige Thema liefert beim Diskussionsabend Dr. Scarlett Jansen vom Kriminologischen Seminar der Uni Bonn. Sie wird unter anderem über den Paragrafen 217 alter Fassung im Strafgesetzbuch (StGB) sprechen. Bis zu seiner Aufhebung im Jahr 1998 sah er im Fall der Neugeborenentötung ein Strafmaß von einer Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in minder schweren Fällen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, vor.

Er betraf nur Mütter nichtehelicher Kinder. "Seit seiner Aufhebung ist es möglich, dass bei einer Neugeborenentötung wegen Mordes (§ 211 StGB) verurteilt wird. In Betracht kommt aber auch ein Totschlag (§ 212 StGB) oder minder schwerer Fall des Totschlags (§ 213 StGB). Dies sowie die Annahme einer etwaigen Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) sind einzelfallabhängig", erklärt Jansen, die bei der Ringvorlesung auch über mögliche Reformperspektiven bei der Gesetzgebung sprechen will. "Das Recht muss der etwaigen besonderen Konfliktlage beziehungsweise eventuell bestehenden pathologischen Störungen der Mutter und dem Schutz des Neugeborenen gerecht werden", sagt die Juristin.

Informationen zur vertraulichen Geburt: www.geburt-vertraulich.de, 0800/4040020

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