Veranstaltung der Uniklinik Bonn Uniklinik veranstaltet Kolloquium zum Thema Hirnmetastasen

Bonn · Beim nächsten Patientenkolloquium des Universitätsklinikums Bonn (UKB) geht es um die Behandlung von Hirnmetastasen. Neue Therapien und Techniken können die Lebenserwartung von Betroffenen deutlich erhöhen.

  MRT-Aufnahmen  einer Hirnmetastase aus dem Urothel,dem Gewebe, das die ableitenden Harnwege auskleidet.

MRT-Aufnahmen einer Hirnmetastase aus dem Urothel,dem Gewebe, das die ableitenden Harnwege auskleidet.

Foto: Alexander Radbruch

Für Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen ist dies eine erschreckende, im ersten Augenblick niederschmetternde Diagnose: Hirnmetastasen. Durch die bereits bestehende Erkrankung ohnehin schon körperlich und seelisch belastet, löst die Vorstellung, dass sich der Krebs nun auch im Kopf festgesetzt hat, neue und zum Teil massive Ängste aus. Nicht nur, dass das Auftreten von Tochtergeschwülsten im Gehirn die noch verbleibende Lebenserwartung plötzlich auf wenige Monate begrenzt. Wie schmerzhaft soll diese letzte Zeit zudem werden?

Zwar ist die Prognose bei Hirnmetastasen nach wie vor nicht mit den Überlebensraten vieler anderer Krebserkrankungen zu vergleichen. „Doch durch intensive Forschung, durch Hochleistungstechnik und neue wirksame Therapien haben wir inzwischen sehr große Fortschritte erzielt. So sprechen wir heute nicht mehr nur von Monaten, sondern sogar oftmals von lebenswerten Jahren, die wir auch Patientinnen und Patienten mit Hirnmetastasen ermöglichen können“, sagt Professor Yon-Dschun Ko, Ärztlicher Direktor des Johanniter-Krankenhauses Bonn, das in Kooperation mit dem  mit dem CIO Bonn (Universitätsklinikum Bonn, UKB) das regionale und überregionale Netzwerk für die optimale Behandlung von Krebspatienten aufgebaut hat.

Ko wird beim Patientenkolloquium des UKB am Donnerstag, 16. Dezember (18 bis 20 Uhr als öffentliche Zoom-Konferenz), systemische Behandlungen wie Chemotherapie, Immuntherapie und die auf bestimmte biologische und zelltypische Eigenarten des Krebsgewebes abzielende Targeted Therapy zur Kontrolle des Primärtumors vorstellen. Über die Optionen, die Metastasen im Kopf auf operativem Weg zu entfernen, spricht Professor Hartmut Vatter, Direktor der Klinik für Neurochirurgie. Professor Frank Anton Giordano, Direktor der Klinik für Strahlentherapie und Radio­onkologie, erklärt das Potenzial und die Anwendungen der Radioonkologie (siehe Text unten). Wie mithilfe exakter Diagnostik die Therapie genau dort wirken kann, wo sie muss und gleichzeitig umliegendes gesundes Gewebe schont, wird Professor Alexander Radbruch (Direktor der Klinik für Neuroradiologie) erläutern.

„Bei Patienten mit Lungenkrebs kommt es in 30 Prozent der Fälle zu Hirnmetastasen“

Um die Entstehung von Hirnmetasen zu verstehen, hilft die von dem englischen Chirurgen Stephen Paget 1889 aufgestellte Seed-and-Soil-Theorie ( seed = ‚Saat‘, soil = ‚Ackerboden‘). „Sie besagt, dass Tumorzellen über das Gefäßsystem verteilt werden, sich aber nur dort zu Metastasen entwickeln können, wo sie besonders günstige Bedingungen zur Ansiedlung finden“, beschreibt Vatter. „Bei Patienten mit Lungenkrebs kommt es in 30 Prozent der Fälle zu Hirnmetastasen“, fügt Ko hinzu. „Dies ist die mit Abstand höchste Rate, gefolgt von Mammakarzinomen (Brustkrebs), die bei zehn Prozent der Patientinnen und Patienten ins Gehirn streuen, und den Melanomen (Schwarzer Hautkrebs), wo dies ebenfalls häufiger vorkommt.“ Grundsätzlich, so Ko, könne kein Tumor davon ausgeschlossen werden. „Aber speziell bei Lungenkrebs ist es wichtig, dies durch regelmäßige prophylaktische Aufnahmen des Kopfes im Magneresonanztomografen (MRT) im Blick zu behalten, um frühzeitig reagieren zu können.“

Grundsätzlich gilt das auch für Betroffene mit Brust- oder Hautkrebs, ansonsten werde symptom­orientiert ­kontrolliert. „Das MRT ist dabei Goldstandard“, betont Radbruch. Falls diese Untersuchung nicht möglich ist – zum Beispiel wegen eines nicht-MRT-tauglichen Schrittmachers –, wird eine Computertomografie (CT) gemacht. Sie ist in diesem Fall zwar dem MRT unterlegen, spielt dafür aber später eine wichtige Rolle in der Vorbereitung der Strahlentherapie, weil sie Daten zu unterschiedlichen Dichten des Gehirns liefert und diese Daten direkt in das Bestrahlungsgerät eingespeist werden können.

Ein operativer Eingriff ist nicht immer notwendig

Grundsätzlich sieht das Therapiekonzept vor, Hirnmetastasen radioonkologisch zu behandeln oder – im Fall weniger vereinzelter Absiedlungen – auch radiochirurgisch zu beseitigen, bevor die Patientin oder der Patient systemisch weiter versorgt wird. Die Bestrahlung sollte, abhängig von der Zahl der Metastasen, punktuell und zielgenau sein und so wenig gesundes Gewebe belasten wie möglich. Eine schrittweise Bestrahlung des gesamten Kopfes – jahrzehntelang die einzige Option zur Behandlung von Hirnmetastasen – stellt heute eher die Ausnahme dar.

Für einen operativen Eingriff gibt es, so Vatter, zwei Indikationen: „Wenn das Gewebe in der Bildgebung nicht zweifelsfrei zu klassifizieren ist oder wenn eine Metastase schon eine kritische Größe erreicht hat.“ Der Neurochirurg beschreibt das Problem dabei wie folgt: „Der Platz unter der Schädeldecke ist von Natur aus begrenzt, und jede Erhöhung des Hirndrucks kann dort gravierende Folgen haben.“ Ein Steigen des Hirndrucks ist für die Betroffenen selbst spürbar; am stärksten im Liegen. So kann morgendliche Übelkeit bei bestehender Krebserkrankung ein erstes ­­Symptom von Hirnmetastasen sein. „Weitere Alarmsignale sind beispielsweise Halbseitenlähmungen und Sehstörungen, je nachdem, wo die Metastase wächst“, ergänzt Vatter. Zusätzlich zu Radiochirurgie, Radiotherapie und Neurochirurgie rückt zunehmend auch eine weitere Behandlungsmöglichkeit ins Blickfeld: „Es gibt inzwischen Medikamente, die die zum Schutz des Gehirns vor im Körper zirkulierenden Toxinen (Giftstoffen) bestehende Blut-Hirn-Schranke überwinden und auch auf die Metastasen im Kopf zielen können“, fügt Ko hinzu.

Erster Schritt vor jeder Behandlung ist die Fallanalyse und Festlegung der Strategie im Tumorboard, an dem Experten aller Disziplinen teilnehmen, um gemeinsam die essenziellen Fragen zu beantworten: Wie viele Metastasen gibt es, und in welcher Hirnregion sind sie angesiedelt? Wie sehen die Eigenschaften des Primärtumors aus? Ist er besonders aggressiv oder weist er spezielle molekulare Zellstrukturen auf, die man sich bei einer darauf abzielenden Therapie zunutze machen könnte? Gerade bei bereits bestehendem Hirndruck ist rasche Abhilfe der Neurochirurgie nötig, da sowohl die Strahlentherapie als auch Medikamente Zeit brauchen, um Wirkung zu zeigen.

Die Abstimmung zwischen den Experten spielt auch dann eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Entwicklung der Metastasen unter Therapie zu beobachten und zu beurteilen. Raumfordernde Effekte können auch durch Entzündung und Verdickung des Gewebes entstanden sein. Aufschluss darüber gibt die Neuroradiologie: „Die entscheidende Frage für uns ist: Handelt es sich um einen ‚falschen’ Progress (‚Pseudoprogress’) oder wächst die Metastase weiter“, schildert Radbruch. Ein Anschwellen nach Bestrahlung wird oft ­­beobachtet und kann ein Zeichen für ein Therapieansprechen sein. „Abgetötetes oder nekrotisches Gewebe unterscheidet sich von Tumorzellen vor allem dadurch, dass dort keine Gefäßneubildungen (‚Angiogenese’) mehr zu sehen ist.“ Die Bewertung solcher Bilder ist in jedem Fall komplex und setzt entsprechende Erfahrung voraus.

Während die bereits zur Verfügung stehenden Therapien stetig weiterentwickelt werden, gibt es auch neue Ansätze zur Behandlung von Hirnmetastasen wie den Einsatz Magnetresonanz(MR)-gesteuerten und hoch fokussierten Ultraschalls (MRgFUS) mit bis zu 1024 Sendern. Dies ist jedoch noch im Forschungsstadium.

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