Wenn Ukrainer studieren wollen Vor diesen Hürden stehen Geflüchtete auf dem Weg in den Hörsaal

Bonn/Rhein-Sieg-Kreis · Studienwillige aus dem Ausland treffen oft auf ein Regeldickicht. Besonders herausgefordert sind aktuell vor allem Flüchtlinge aus der Ukraine - auch in Bonn und der Region.

Die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg hat einen Notfallfonds für Studierende und Studieninteressierte aus der Ukraine aufgelegt.

Die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg hat einen Notfallfonds für Studierende und Studieninteressierte aus der Ukraine aufgelegt.

Foto: Martin Schulz

Kristina aus Kiew (Name von der Redaktion geändert) ist seit dem Frühjahr Gaststudentin („Free Mover“) an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS), im Fach International Business. Vorerst zumindest. Das war nach einem zwischenstaatlichen Übereinkommen möglich, weil sie zu Hause schon ein Jahr lang studiert hatte.

Leistungen, die sie jetzt erzielt, können auf ihren Studiengang in der Heimat angerechnet werden, demnächst möglicherweise auch auf ein Regelstudium hierzulande. Die Gasthochschule unterstüzt Kristina zunächst mit einem besonderen Notfallstipendium, sagt Hochschulsprecherin Daniela Greulich.

Neben der Gaststudentin lernen an der Hochschule weitere 30 Studienbewerber aus der Ukraine, die erst noch die Unterrichtssprachen Deutsch oder Englisch pauken müssen. Die meisten sind Frauen: Denn männliche Ukrainer im wehrfähigen Alter von 18 bis 60 Jahren dürfen ihr Land nicht verlassen.

Die „Nationale Akademische Kontaktstelle Ukraine“, eine amtliche Webseite, empfiehlt den Studierwilligen, sich direkt bei den Hochschulen zu informieren. Allein an der Uni Bonn taten das in fünf Monaten schon 1000 Interessierte telefonisch, per Mail oder im persönlichen Gespräch vor Ort, an der H-BRS fast 300.

Das ukrainische Abitur reicht für ein Studium in Deutschland nicht aus

Tatsächlich kann sich der Studienwunsch im Regeldickicht verhaken: Häufig sind Studiengänge lokal zulassungsbeschränkt, wie International Business in Sankt Augustin. Über die individuelle Zulassung entscheiden dann auch von Fach zu Fach unterschiedliche Auswahlkriterien – mit einer besonderen Hürde für alle Nicht-EU-Ausländer, ob auf der Flucht oder mit üblichem Studentenvisum: Für sie sind nur sieben Prozent der Studienplätze vorgesehen. Wer als Flüchtling einen davon erhält, hat Anspruch auf Bafög. In der Ukraine selbst gibt es ein solches Studiengehalt nicht, sondern allenfalls ein Stipendium.

Ukrainer unter 18 haben höchstens das dortige Abitur, das es nach Klasse 11 gibt und das für ein Studium in Deutschland nicht reicht. Vladyslaw, der jetzt bei seiner Tante in Bonn wohnt, überlegt, ein Online-Studium zu Hause in Lwiw aufzunehmen und gleichzeitig kostenlose Deutschkurse am Rhein zu besuchen.

Um zu sparen, hat NRW seine einst 1200 Kollegplätze ersatzlos gestrichen

Ähnlich wie Kristina könnte er sich nach einem Studienjahr hierzulande als Gaststudent oder gleich um einen regulären Studienplatz bewerben. Eine andere Möglichkeit wäre, die deutsche Hochschulreife in einer „Feststellungsprüfung“ nachzuweisen. Darauf bereiten 40 staatliche Studienkollegs in einem Jahr Präsenzunterricht vor, gebührenfrei. Dafür stellen die Bundesländer rund 5000 Kollegplätze zur Verfügung, Flüchtlingen aus aller Welt sowie Bewerbern mit regulärem Studentenvisum.

Die Kollegs sind überlaufen, zumal Nordrhein-Westfalen seine 1200 Plätze vor gut zehn Jahren aus Kostengründen ersatzlos gestrichen hat. Die Aufnahme entscheidet sich nach Tests über Vorwissen in der erwünschten Fachrichtung und über die Deutschkenntnisse, egal woher jemand stammt. Wer da Pech hat, kann sein Glück auch an privaten Studienkollegs suchen, für Gebühren von einigen Tausend Euro. In Bonn gibt’s vier – freilich nichts für Vladyslaw, wie seine Tante kopfschüttelnd bemerkt.

Studienkollegs waren ursprünglich, vor rund 70 Jahren, als Brücke für politische Flüchtlinge gedacht. Heute heißt die Losung „internationale Studierende“. Dabei geht es um die größten Talente im globalen Wetttbewerb.

Das Leitbild hat der damalige Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz NRW, Volker Ronge, schon vor anderthalb Jahrzehnten so formuliert: „Wir lassen ausländische Studienbewerber nicht mehr einfach kommen oder uns gar von den Kollegs schicken; wir suchen sie selber aus, möglichst auf Grund direkter Beziehungen mit internationalen Partnerhochschulen.“ Die Fluchtbewegungen seit 2015 haben bisher offenbar zu keinem nachhaltigen Umdenken geführt.

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