Wo sind die Studenten hin? Zurück nach Hause

Bonn · Vor der Krise in der WG, seit der Krise wieder im heimischen Kinderzimmer: Unsere Autorin hat sich im Bekanntenkreis umgehört, wo Studenten die Corona-Zeit verbringen

 Fast wie früher: Viele Studenten haben während der Corona-Krise wieder ihre „Jugendzimmer“ bezogen.

Fast wie früher: Viele Studenten haben während der Corona-Krise wieder ihre „Jugendzimmer“ bezogen.

Foto: Beznika - stock.adobe.com/Beznika/Adobe Stock

Denke ich an Bonn im Frühjahr, dann denke ich an die Kirschblüte, an den Hofgarten, die Kastanienalleen, die wieder üppig grün werden. Den Botanischen Garten, der nicht mehr so trostlos anmutet wie im Winter. Und natürlich an viele Menschen draußen, zum Beispiel auf dem Hofgarten, vor allem junge Leute, Studenten. Überschlagen machen sie etwa ein Siebtel der Bonner aus – nicht gerade wenig.

Wer in den vergangenen Wochen in Bonn unterwegs war, mag sich durchaus gefragt haben: Wo sind die Studenten? An buntes Treiben draußen war nicht zu denken, die Bibliotheken waren lange geschlossen, normale Vorlesungen nicht möglich. Wenn alles online passiert, ist man örtlich flexibel. Corona brachte eine Art „Weihnachtseffekt“ – junge Leute fuhren heim, WGs waren verwaist, Wohnungen leer, Geschwister wieder bei ihren Eltern.

Was da passiert ist, lohnt sich, näher zu betrachten: Nicht die Angst vor Corona hat die Jungen nach Hause getrieben, sondern womöglich die Angst vor der Isolation, der Wunsch, bei der Familie zu sein, für die sonst viel zu wenig Zeit bleibt. Natürlich auch ein Mangel an Alternativen: Partys, Veranstaltungen, alles abgesagt, Freunde treffen kaum möglich und der Studentenjob oft seit März gekündigt.

Die meisten wissen durchaus, dass es noch viel schlimmer sein könnte

Die meisten müssen deshalb nicht ihr Studium abbrechen oder ihre Wohnung aufgeben. Sie wissen, dass es viel schlimmer sein könnte; dass ältere oder gesundheitlich gefährdete Menschen sterben können, dass sie ihre gesamte Existenz hätten verlieren können, hätten sie nicht „nur“ gekellnert, sondern wären mit dem Studium bereits fertig und selbstständig.

Da ist die Bekannte, die ihr Studium als Fitnesstrainerin finanziert hat, die Freundin, die an ihrer Masterarbeit schreibt und eigentlich nur Probleme hatte, an geeignete Literatur zu kommen, aber sonst ohnehin nicht in der Uni gewesen wäre.

Dann die Freundin, die gerade ihren ersten Job angetreten hat und nun seit bald drei Monaten in Kurzarbeit ist und nicht weiß, wann und wie es weitergehen soll, und ihre Mitbewohnerin, die täglich für ihr juristisches Staatsexamen paukt – anders kann man das nicht nennen –, die täglich an Repetitorien online teilnimmt und auch nicht viel mehr Freizeit hat als zuvor.

Und schließlich ihre Schulfreundin, die im Ausland studiert und zu Beginn der Pandemie bei ihrem Verlobten in dessen afrikanischer Heimat war und sich fragen musste: bleiben und auf unbestimmte Zeit nicht wieder nach Europa zurückkehren – oder nach Hause fliegen und den Partner auf Monate nicht wiedersehen können?

Corona brachte eine Art „Weihnachtseffekt“

Ganz unterschiedliche Geschichten, aber eins haben sie gemeinsam: Die jungen Leute sind alle zu ihren Eltern gezogen, leben zum Teil wieder in ihren Kinderzimmern, essen mehrmals täglich mit ihrer Familie, den Geschwistern, die noch zu Hause leben oder ebenfalls zurückgekommen sind. Eben wie an Weihnachten.

Was bei meinen Bekannten anders ist als in vielen Beziehungen: Sie haben weniger Streit, denn sie haben die Wahl, alleine oder mit höchstens einem anderen Mitbewohner in der Bonner Wohnung zu bleiben, oder den Trubel zu Hause vorzuziehen, Kompromisse einzugehen. Alleine ist spätestens nach einer Woche Isolation niemand mehr gerne, Anrufe mit Bildtelefon können die Gemeinschaft nicht ersetzen.

Dafür entsteht eine neue Gemeinschaft zu Hause: mit den Eltern und den zum Teil schon erwachsenen Geschwistern, die man sonst oft nur noch zu Familienfeiern sieht. Geschwister motivieren sich gegenseitig, viele haben noch nie so viel Sport gemacht wie zu Corona-Zeiten. Gepuzzelt, gespielt, Fotos angeschaut, Musik gemacht haben sie.

Wer fernab der Heimat lebt, den hat der Lockdown besonders hart getroffen

Doch wer alleine und fernab der Eltern lebt, keine Geschwister hat, wer womöglich kranke Eltern oder Angehörige hat, die schlichtweg Angst haben, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren, für den sind die vergangenen Wochen lang geworden, zu lang. Austauschstudenten etwa, die (noch) kein Deutsch sprechen, hat der vorübergehende Lockdown besonders hart getroffen.

Im Gespräch mit einem Professor der Alanus Hochschule war zu hören, dass Einsamkeit für manche Studenten eine Rolle gespielt hat; ihre Projekte waren zum Teil gar nicht mehr oder nur schwer durchzuführen, denn die Ateliers mussten wochenlang geschlossen werden. Für einige Studenten verlängert sich ihr Studium dadurch zwangsläufig.

Diejenigen, die an den Unis ihre Abschlussarbeiten schreiben, haben auch nicht durchweg eine Fristverlängerung erhalten; nun, mit offenen Bibliotheken, rückt die Frist näher. Sie alle erhoffen sich, dass sich die Lage normalisiert, dass sie wieder arbeiten können, Erfahrungen sammeln, Menschen begegnen können, in die Uni gehen dürfen – das, was das Studentenleben ausmacht.

Es liegt ein Semester hinter uns, anders als alle zuvor

Es liegt ein Semester hinter den Studenten, das so ganz anders war als alle davor; das zwar online irgendwie stattgefunden hat, aber irgendwie auch nicht. Und das viele Studenten ihren Familien näher gebracht, sie zum Innehalten gezwungen hat, manche aber auch hat ängstlich oder einsam werden lassen. Dieses Sommersemester 2020 geht jetzt zu Ende. Was danach kommt, weiß keiner. Was bleibt, ist die Hoffnung auf etwas Normalität und bei vielen auch der Wunsch, wieder eigenständig zu sein, so zu leben, wie es junge Erwachsene wollen und müssen.

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