Interview mit Bonner Völkerrechtler Wem gehört das Meer?

Bonn · Der Bonner Völkerrechtler Stefan Talmon erforscht die Regeln der Rohstoffnutzung in Ozeanen. Wer ihm zuhört, erkennt schnell: eine recht komplexe Materie.

Ein Ort, so magisch anziehend wie kommerziell begehrt: Das Meer, hier an der Küste Albaniens, wird von vielen auch als Quelle von gewinnbringenden Rohstoffen betrachtet.

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Küstenstaaten forderten internationale Verträge, die UN legte 1982 mit dem Seerechtsübereinkommen endgültige Regelungen fest. Doch was passiert, wenn mehrere Staaten ein und dasselbe Gebiet beanspruchen? Im Interview gibt Professor Stefan Talmon, Direktor des Instituts für Völkerrecht an der Universität Bonn, Antworten auf die Fragen von Hannah Winter.

Herr Talmon, was genau hat das Völkerrecht eigentlich mit dem Seerecht zu tun?

Stefan Talmon: Das Seerecht ist ein Teil des Völkerrechts. Es ist allerdings eine Spezialmaterie. Je weiter Sie von der Küste weg sind, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Sie sich mit Seerecht beschäftigen. Überraschenderweise sitzen in Deutschland die größten Experten weit entfernt von der Küste.

Nun gibt es ja im Seerecht die Unterscheidung zwischen der Ausschließlichen Wirtschaftszone und dem Festlandsockel. Wo genau liegt der Unterschied?

Talmon: Unter der Ausschließlichen Wirtschaftszone, AWZ genannt, versteht man die Wassersäule über dem Meeresboden. Der Festlandsockel betrifft den Meeresboden und den Meeresuntergrund. AWZ und Festlandsockel sind insofern identisch, dass beide 200 Seemeilen breit sind und der Staat dort das Recht zur Ausbeutung von Ressourcen hat. Darüber hinaus kann der Festlandsockel aber noch weiter gehen: Man unterscheidet den geologischen und den juristischen Festlandsockel. Der juristische Festlandsockel gibt jedem Küstenstaat, unabhängig von der Geologie, einen 200 Seemeilen breiten Festlandsockel. Die Staaten, die darüber hinaus nachweisen können, dass sich ihr Landgebiet noch weiter ins Meer hinaus verlängert, können auch mehr als 200 Seemeilen beanspruchen. Das Völkerrecht sagt, dass jeder Küstenstaat Anspruch auf so einen Festlandsockel hat, unabhängig davon, ob er Partei des UN-Seerechtsabkommen ist oder nicht.

Das Seerechtsabkommen ist über 30 Jahre alt. Müsste man es nicht an neueste wissenschaftliche Erkenntnisse anpassen? Schließlich wurde der Meeresboden erst in den letzten Jahren wirklich erforscht …

Talmon: Nein, ich sehe hier keinen rechtlichen Aktualisierungsbedarf. Denn die bestehenden Regeln sind allgemein und legen nur fest, welche Daten die Staaten vorlegen müssen, damit ihr Anspruch auf den Festlandsockel jenseits 200 Seemeilen anerkannt wird. Der wissenschaftliche Fortschritt bietet lediglich die Möglichkeit, die Daten einfacher und präziser zu beschaffen. Ganz abgesehen davon: Die UN-Seerechtskonvention ist das Ergebnis von neun Jahren Verhandlung. Wenn das Abkommen noch einmal verhandelt werden sollte, würde man sicherlich zu keinem Ergebnis mehr kommen.

Wenn mehrere Staaten aber nun dasselbe Gebiet beanspruchen, ist es doch unwahrscheinlich, dass alle die gleichen Messergebnisse liefern. Was macht die zuständige Festlandsockelbegrenzungskommission CLCS denn mit so einem großen Berg verschiedener Daten?

Talmon: Die CLCS kann letztendlich nur überprüfen, wie plausibel diese Daten sind. Sie kann nicht selbst Daten erheben und muss daher die vorgelegten Daten bewerten. Ihre Aufgabe ist es, auf der Grundlage der allgemeinen wissenschaftlichen Kenntnisse eine Empfehlung auszusprechen.

Nun klingt eine Empfehlung nicht unbedingt nach einer endgültigen Entscheidung …

Talmon: Es liegt im Ermessen des Staates, ob er aufgrund dieser Empfehlung seinen Festlandsockel endgültig festlegt. Tut er das aber, dann ist diese Entscheidung für alle Parteien der UN-Seerechts-konvention bindend. Staaten wie die USA, die nicht Vertragsparteien sind, könnten die Entscheidung und die vorgelegten Daten infrage stellen. Aber hier stellt sich ein ganz allgemeines Problem des Völkerrechts: Was passiert, wenn Staaten diese Daten anzweifeln? Es gibt kein Gericht, vor welchem man die Empfehlung der CLCS oder die Festlegung der äußeren Festlandsockelgrenze überprüfen lassen kann.

Wenn einem Staat ein Festland-sockel zugesprochen wird – welche Rechte hat er dann auf diesem?

Talmon: Sowohl auf dem Festlandsockel als auch in der AWZ haben die Staaten eine begrenzte Kompetenz zur Ausbeutung der Ressourcen. Darunter fallen beispielsweise das ausschließliche Fischereirecht oder das Recht, Öl und Gas fördern. Es handelt sich dabei nicht um Staatsgebiet. Die Befugnisse über diese Gebiete haben beispielsweise keinerlei Auswirkung auf die Freiheit der Schifffahrt.

Es geht bei den Entscheidungen ja auch um eine Menge Geld. Wenn mehrere Staaten ein Gebiet beanspruchen, birgt das doch ein großes Konfliktpotenzial. Was macht die Kommission in solchen Fällen?