Patientenkolloquium am UKB Wenn ein Elternteil an Krebs erkrankt

Bonn · Beim nächsten Patientenkolloquium des Universitätsklinikums Bonn geht es um die Bedürfnisse der Familie, wenn ein Elternteil an Krebs erkrankt ist. Wo gibt es Unterstützung für Erwachsene und Kinder?

 Psychoonkologin Dr. Angela Klein im Gespräch: Ist ein Elternteil an Krebs erkrankt, betrifft das die ganze Familie.

Psychoonkologin Dr. Angela Klein im Gespräch: Ist ein Elternteil an Krebs erkrankt, betrifft das die ganze Familie.

Foto: Rolf Müller/UKB

Die Diagnose Krebs ist ein Schock, den jeder Mensch zunächst einmal für sich selbst verarbeiten muss. Doch der unvermeidbare nächste Schritt ist ebenso schwer, wenn nicht sogar noch schwerer: Wann und wie sage ich es meiner Familie? Wie wird sie damit fertig, wenn plötzlich nichts mehr so ist wie zuvor? Wenn der andere Elternteil sich um die Partnerin oder den Partner sorgt und zugleich versucht, den gewohnten Alltag so weit wie möglich aufrechtzuerhalten – mit all den Aufgaben, die sich beide bislang geteilt haben. Wie viel Zeit und Raum bleibt dann noch für die Bedürfnisse der Kinder, ihre Ängste und Wünsche?

Für rund bundesweit 100.000 Familien pro Jahr (Quelle: Robert Koch-Institut) stellen sich diese Fragen ganz real und konkret. „Im Medizinsystem wird viel für die Patientinnen und Patienten getan. Doch wie sieht es beim Blick auf die gesamte Familie aus? Das Thema bekommt zwar immer mehr Aufmerksamkeit, aber noch zu wenig.“ Das findet Professorin Franziska Geiser, Direktorin der Klinik für Psycho­somatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn (UKB). Gemeinsam mit Dr. Angela Klein (Leitende Psychologin der Gynäkologischen Psychosomatik, Klinik für Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie) und Kerstin Liebing (Diplom-Heilpädagogin, Familienberaterin und Paartherapeutin) wird sie beim nächsten Patientenkolloquium des UKB am Donnerstag, 19.Januar, den Fokus darauf richten, was Familien in dieser Situation am meisten belastet, was sie brauchen und wo sie Unterstützung finden.

„Oft trifft es junge berufstätige Eltern, die durch die Diagnose aus einem ausgefüllten, organisierten und mitunter auch turbulenten Alltag gerissen werden“, berichtet Klein aus ihrer psychoonkologischen Erfahrung. Um ihrem Kind oder ihren Kindern die veränderte Situation begreiflich machen, bräuchte es Ruhe und Zeit – doch was drängt, sind Fragen über Fragen: Wer versorgt die Familie während der Therapie? Wer kümmert sich um den Haushalt, um alles Organisatorische und Finanzielle, das sich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht absehen lässt? Für den Elternteil, der mit einem Mal davon in Anspruch genommen wird, ist es alles andere als leicht, das alles allein schultern zu müssen: „Wer gesund ist, muss von nun an der oder die Starke sein – das kann für die Betroffenen zur großen Belastung werden“, beschreibt Klein die Situation. „Oft geht es dem nicht erkrankten Elternteil psychisch ­­sogar schlechter als der Krebs­patientin oder dem Krebspatienten selbst“, fügt sie hinzu.

„Kinder verstehen und verkraften mehr, als viele von uns denken“

Hinzu kommt, dass Eltern ihre Kinder schützen wollen. Doch wäre es wirklich in ihrem Sinne, ihnen die schwere Erkrankung zu verheimlichen, bis deren Folgen oder die Nebenwirkungen der Therapie unübersehbar werden? Und wie groß ist der Vertrauensverlust, wenn die Kinder von außerhalb erfahren, was ihnen Vater und Mutter nicht erzählen wollen? Heimlichkeiten und ­­Tabus können fatale Folgen haben.

„Wir neigen dazu, Kinder zu unterschätzen“, fügt Geiser hinzu. „Sie verstehen und verkraften mehr, als viele von uns denken. Sie hören zu, greifen vieles auf und machen sich dazu ihre eigenen Gedanken.“ Das bestätigt auch Klein: „Kinder spüren, wenn etwas nicht mehr stimmt. Sie wollen wissen, was es ist. Die Frage lautet also nicht, ob, sondern wann und wie sie von der Krankheit erfahren sollten.“ Dies hängt natürlich auch vom Alter ab: „Schulkinder haben oft schon eine Vorstellung, was Tod und Sterben bedeuten. Gleichzeitig sind sie noch in einer »magischen Phase«, wo ihre Fantasie eine wichtige Rolle spielt“, erläutert Klein. Deshalb sei es wichtig, herauszufinden, was das Kind gerade jetzt brauche und es ausdrücklich zu ermuntern, Fragen zu stellen: Was möchtest du wissen? Wovor hast du Angst?

„Kinder reagieren auf Veränderungen sehr sensibel“, betont Klein. Umso wichtiger sei es, sie darin ernst zu nehmen. „Sie sollen wissen, dass es nicht ihre Schuld ist, wenn es Mama nicht gut geht und sie vielleicht manchmal lieber für sich bleiben will“, stellt die Psychoonkologin klar. „Ein Grundsatz lautet: Nicht alles, was ich weiß, muss ich auch sagen – aber das, was ich sage, muss wahr sein. Das bedeutet, das Wort »Krebs« konkret auszusprechen.“ Auch die Frage „Musst du sterben?“ ist erlaubt. Die Antwort darauf könnte sein, den Jetzt-Zustand zu beschreiben: Warum man gerade Angst hat oder traurig ist. Und dem Kind / den Kindern auch eine Per­spektive zu nennen: „Jetzt geht es mir gerade nicht gut – morgen wird es bestimmt wieder besser.“

Ebenso wichtig sei es, zu akzeptieren, wenn ein Kind gerade nicht reden möchte. Das Gespräch sollte stets ein Angebot sein, kein Zwang. Kinder müssen auch Kinder bleiben dürfen und sollten nicht in die Rolle pflegender oder helfender Erwachsener gedrängt werden. Auch wenn sie sich selbst verantwortlich fühlen – sie brauchen einfach ein Stück Normalität abseits der Erkrankung.

„Eine besondere Herausforderung ist die Situation für Heranwachsende“, erklärt Liebing. „Eigentlich hat bei ihnen der Prozess der Abnabelung bereits eingesetzt. Gleichaltrige werden zu Vertrauenspersonen, neue Erfahrungen rücken in den Mittelpunkt. Und mit einem Mal bringt die Erkrankung von Mutter oder Vater all das aus dem Gleichgewicht. Die Jugendlichen werden wie mit einem Ruck in die Familie zurückgezogen.“ Daraus entsteht ein innerer Konflikt, von dessen Tiefe und Tragweite die Eltern oftmals nichts erfahren. „Gibt es eine andere Vertrauensperson – in der Verwandtschaft, im Freundeskreis der Eltern, vielleicht auch eine Lehrerin oder ein Lehrer –, ist dies schon viel wert“, sagt Liebing. Aus ihrer Tätigkeit als Familien-Scout (siehe Text unten) weiß sie, dass oft gerade ein Außenstehender ein geeigneter Gesprächspartner sein kann – um sich frei von der Seele zu reden, was man gegenüber den Eltern oder Menschen, die sie kennen, so lieber nicht ausdrücken möchte.

Dass es im sozialen Umfeld Berührungsängste gibt, ist aus Sicht Liebings nicht ungewöhnlich. „Die meisten Menschen sind solidarisch, mitfühlend und wollen helfen. Doch oft stehen dem Hemmungen im Weg.“ Ein erster Schritt ist möglicherweise, anstelle der vagen Frage „Kann ich irgendetwas für dich tun?“ selbst die Initiative zu ergreifen und einen konkreten Vorschlag zu machen: zum Beispiel etwas zu kochen, mit den Kindern etwas zu unternehmen, den Hund auszuführen oder sich um den Garten kümmern – vielleicht einfach nur etwas von dem abzunehmen, was ohnehin gerade viel zu kurz kommt. Viele ­­Familien würden sich oft mehr konkrete Unterstützung dieser Art wünschen, sind aber nicht selten unsicher, wie sie das initiieren können. Zudem fehlt oft die Kraft, sich darum nun auch noch zu kümmern.

„50 Prozent der Betroffenen wissen sogar, dass es Unterstützungsangebote gibt, aber nur ein Viertel nimmt sie in Anspruch“, resümiert Geiser. Grund dafür mag eine gewisse Scheu (zum Beispiel vor dem Kontakt mit der Jugendhilfe) sein.

„Oder sie wollen sich die Hilfe lieber für später aufsparen, da es ihnen jetzt ja noch vergleichsweise gut gehe“, beschreibt Klein. Doch sinnvoller als der Versuch, alles allein zu bewältigen, sei es, Schritt für Schritt voranzugehen – mit professioneller Hilfe, die sich eben nicht wie eine Gefälligkeit verbraucht, wenn sie genutzt wird, sondern die man immer wieder bekommt – oder sie gelegentlich auch verschieben oder ablehnen kann, ohne jemanden vor den Kopf zu stoßen. Abschließend fasst Geiser zusammen: „Entscheidend für die psychische Gesundheit der Kinder ist bei all dem letztlich nicht die Schwere der elterlichen Erkrankung, sondern die Art und Weise, wie die Familie mit dieser existenziellen Krise umgeht.“

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