Uni Bonn und die Türkei „Wissenschaft lebt vom freien Geist“

BONN · Die Zustände in der Türkei haben Auswirkungen auf die wissenschaftlichen Beziehungen. Auch an der Universität Bonn ist das veränderte Verhältnis zu spüren.

 Pro-Erdogan-Demo am 31. Juli in Köln: Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema der Freiheitsrechte in der Türkei ist derzeit kaum möglich.

Pro-Erdogan-Demo am 31. Juli in Köln: Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema der Freiheitsrechte in der Türkei ist derzeit kaum möglich.

Foto: picture alliance / dpa

Seit dem Putschversuch in der Türkei fordert die türkische Regierung Wissenschaftler zur Rückkehr in die Türkei auf. Das Verhältnis zu ausländischen Wissenschaftlern ist angespannt. Türkische Forscher berichten von abgehörten Telefonen und E-Mail-Überwachungen. Inwieweit die Forschung in der Türkei noch unabhängig ist, bleibt fraglich. Auch an der Universität Bonn ist das veränderte Verhältnis zu spüren.

Laut Schätzungen des Welcome Centers der Universität Bonn waren bis zum Putschversuch „etwa fünf“ türkische Gastwissenschaftler an der Universität tätig. Mit dem Problem befasst hat sich Mahir Tokatlı, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für politische Wissenschaft und Soziologie: Sein Forschungsschwerpunkt liegt derzeit auf dem türkischen Regierungssystem.

„Mir ist derzeit von einem Fall bekannt, in dem ein türkischer Gastdozent der Rückkehraufforderung gefolgt ist und die Universität Bonn verlassen hat“, sagt Tokatlı. Er berichtet aber auch von zwei Erasmus-Studenten, welche ebenfalls eine Aufforderung zur Rückkehr in die Türkei erhalten haben.

Betroffene schweigen jedoch häufig zu dem Thema, sie wollen auf keinen Fall mit den Medien über die derzeitige Situation sprechen. Zu groß sei die Angst vor einer „Brandmarkung“, wie Tokatlı es ausdrücklich nennt: „Wer dem Rückruf nicht nachkommt, wird als Vaterlandsverräter gebrandmarkt.“ Wissenschaftler, die nicht zurückkehren, müssen Konsequenzen befürchten, sagt er. Ihnen drohe die Verhaftung. Ebenso könne es sein, dass sie ihre Forschung nicht mehr weiterführen können oder ihnen die Finanzierungen gestrichen würden.

Mahir Tokatlı befürchtet des weiteren, dass die Unabhängigkeit der Forschung in der Türkei nicht mehr gegeben ist. „Die Wissenschaft lebt vom freien Geist“, sagt Tokatlı – doch dieser freie Geist sei in der Türkei derzeit eingeschränkt. Die Forschung sei von den Launen des Staatspräsidenten Erdogan abhängig. Aus kritischen Presseberichten ist zu hören, dass Forscher in der Türkei auch überwacht werden – Anhänger der Gülen-Bewegung sollen so ausfindig gemacht werden. Staatspräsident Erdogan sieht diese als Anstifter des Putsches an.

Mahir Tokatlı glaubt, dass besonders in den geisteswissenschaftlichen Forschungsgebieten Kooperationen der Universität Bonn mit türkischen Hochschulen leiden könnten. „Das Verhältnis ist stark angespannt, es besteht eine leichte Angst vor Kooperationen. Wie stark gefährdet die Zusammenarbeit ist, kann man jedoch schlecht sagen.“ In den naturwissenschaftlichen Fächern sieht Tokatlı jedoch weniger Probleme. Auch laufende Projekte seien wenig gefährdet.

Tokatlı kann allerdings von einer größeren Skepsis bei den Studierenden sprechen: Nach den Anschlägen in der Türkei und dem Putschversuch sei bei Bonner Studenten ein weitaus geringeres Interesse an einem Erasmus-Semester in der Türkei vorhanden. Trotzdem liefe die Zusammenarbeit mit türkischen Universitäten weiterhin. Demnächst werden auch wieder Studenten der Universität Bonn für ein Erasmus-Semester in die Türkei gehen.

Es sind jedoch nicht nur türkische Forscher betroffen. Auch türkischstämmige Wissenschaftler würden verbal angegriffen. Mahir Tokatlı ist in Deutschland geboren; seit er 16 ist, besitzt er die deutsche Staatsbürgerschaft. Trotzdem wird auch er angefeindet: „Vor einem Vortrag an einer Universität wurde ich auf Facebook als “Putschbefürworter„ beschimpft und beleidigt, obwohl ich mich nicht dazu geäußert hatte“, berichtet er.

Es fände eine „Konfliktverlagerung“ statt. Als Wissenschaftler käme man nicht darum herum: Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Türkei sei momentan kaum möglich, da es auch in Deutschland viele Erdogan-Befürworter gebe.

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