Die Entwicklung Amazoniens Zu wichtig, um zu scheitern

BONN · Wissenschaftler sprechen in Bonn über Maßnahmen zur nachhaltigen Entwicklung Amazoniens. Ihr Weckruf hat etwas Beunruhigendes, denn vor allem Brasilien nutzt die Region aus.

 Ein Holzfäller bearbeitet im Regenwald des Amazonas in Brasilien einen Urwaldriesen.

Ein Holzfäller bearbeitet im Regenwald des Amazonas in Brasilien einen Urwaldriesen.

Foto: picture alliance / Werner Rudhar

Chronik eines angekündigten Todes: Der Roman von Gabriel García Márquez erzählt, wie ein ganzes Dorf von einer bevorstehenden Gewalttat weiß, aber niemand sie verhindert, obwohl sogar die zukünftigen Täter hoffen, dass jemand sie an der Tat hindern möge. „Zu wichtig um zu scheitern: Amazonien und Lösungswege für eine nachhaltige Entwicklung“, lautete nun der Titel einer Veranstaltung im Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn, zu dem internationale Akteure aus Wissenschaft, Politik und Finanzwirtschaft im Rahmen der Weltklimakonferenz zusammengekommen sind.

Es ist nicht so, dass es der Welt an Berichten über Erkenntnissen zu Amazonien mangelt. Gerade angesichts des derzeitigem Weltklimakonferenz-Marathons wird jedem vermittelt, dass der Amazonas eine Schlüsselfunktion für die Zukunft unseres Planeten hat. Weltgrößte Artenvielfalt, irdischer CO2-Speicher und Wasserreservoir sind nur einige der Schlagworte, die mit Klimaschutz und Amazonien zusammenfallen.

Dennoch hat dieser erneute Weckruf der Wissenschaftler wie auch der teilnehmenden Nichtregierungsorganisationen etwas Beunruhigendes. Warum, wird nach der Eröffnungsrede von Geowissenschaftler Soares Filho sehr schnell klar: Sein Heimatland Brasilien etwa riskiert den Verlust aller Meilensteine zum Schutze des Tropenwaldes. Die Brücke zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Praxis und Politik schien bereits geschlagen, doch „Business as Usual“ regiere wieder die Tagesordnung, bestehende Gesetze zum Schutz der Biodiversität würden aufgeweicht, sagt Filho.

Bergbau, Öl, Gas, Agrikultur, Holz oder andere Ressourcen seien das Ziel und die Begierde legaler wie auch illegaler Geschäfte mit enger Verbindung zur politischen Ebene. Die bisherigen Fortschritte – wie die erhebliche Reduktion der Entwaldungsrate um bis zu 80 Prozent im Vergleich zu 2004 und die verbindliche Registrierung von Waldbesitz – gaben Anlass zu Hoffnung. Ein Trugschluss: Brasilien stehe auf dem Sprung, Amazonien konventionell auszunutzen statt nachhaltig zu entwickeln. Die Entwaldung nimmt wieder zu. Was ist der Hintergrund des Rückwärtsganges?

Brasilien steckt in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise. Die Finanzmittel sind knapp, allein das Budget des Umweltministeriums zur Bekämpfung illegaler Entwaldung hat bereits dieses Jahr einschneidende Kürzungen hinnehmen müssen. Die Regierung ist schwach, Korruptionsvorwürfe lähmen und ziehen fast täglich ihre Kreise bis hinauf zu alten und neuen Präsidenten. Großgrundbesitzer und ihnen nahestehende, konservative Parteien hätten einen großen Einfluss im Kongress, von dem sich Präsident Michel Temer abhängig gemacht zu haben scheine, sagt Filho.

In der großen Rezession versunken, winke das Agrobusiness mit wirtschaftlichem Aufschwung: Erschließung von Waldgebieten zu Agrarland. „Die ausgesprochene Amnestie für diejenigen, die illegal rodeten, und der Erlass der Geldstrafen sind ein fatales Signal“, betonen unisono Filho und Jan Börner vom ZEF, der sich seit Jahren mit Umwelt- und Tropenwaldpolitik befasst.

Drei der möglichen Lösungen zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung werden den vielen Zuhörern von Professor Virgilio Viana, Leiter der Amazonas Sustainable Foundation (FAS), Victor Salviati (ebenfalls FAS) und von Thais Megid von SDSN-Amazonia, einem Netzwerk, das Amazonien ebenfalls nachhaltig entwickeln möchte, vorgestellt.

Dies sind erstens: ein Toolkit zur Ausgestaltung von Kompensationszahlungen für die Bereitstellung von Umweltdienstleistungen in Lateinamerika. Als Beispiel dient das „Bolsa Floresta Programm“ mit dem bislang 40 000 Menschen, meistens arme traditionelle Bevölkerungsgruppen in Schutzgebieten auf 10,9 Millionen Hektar im brasilianischen Amazonas, für den Erhalt des Waldes entschädigt wurden. „Ein innovativer Ansatz, der eindeutig die lokalen Lebensbedingungen verbessern konnte – dessen Wirksamkeit für den Tropenwaldschutz aber noch nachgewiesen werden muss“, sagt Börner.

Zweitens: die Errichtung einer webbasierten Plattform, die nachhaltige Lösungen innerhalb der neun Anrainerstaaten des Amazonasbeckens identifiziert und alle Interessengruppen wie öffentliche Einrichtungen, Nichtregierungsorganisationen, Privatunternehmen und Wissenschaftler verbindet und Partnerschaften fördert.

Und drittens wird am 27. November eine Plattform für sogenannte „offene Massen-Online-Kurse“ zur Weiterbildung auf akademischer Ebene über Bedeutung und nachhaltige Nutzung von Ökosystemen und Biodiversität veröffentlicht.

„Wir müssen der Zeit der Absichtserklärungen ein Ende bereiten und konkrete Lösungsansätze für den Klima- und Biodiversitätsschutz mit der breiten Öffentlichkeit diskutieren“, sagt Börner und betont weiter: „Erst in einer lösungsorientierten Debatte wird klar, wie sich Kosten und Nutzen entsprechender Politikmaßnahmen auf alle Beteiligten verteilen lassen. Das interessiert jeden“.

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