5 000 Meter tief: Im Reich der Finsternis

Das Bonner Forschungsmuseum Koenig beteiligt sich an zwei Expeditionen zur Erkundung der Tiefsee - Das Leben auf dem Grund der Ozeane ist kaum erforscht

  Die "Polarstern":  Der Forschungseisbrecher ist zurzeit in der Antarktis unterwegs. Wissenschaftler an Bord untersuchen die Lebenswelt der Tiefsee.

Die "Polarstern": Der Forschungseisbrecher ist zurzeit in der Antarktis unterwegs. Wissenschaftler an Bord untersuchen die Lebenswelt der Tiefsee.

Foto: Museum Koenig

Bonn. Sie bedeckt mehr als die Hälfte der Erdoberfläche, ist für den Menschen aber fast noch unzugänglicher als der Weltraum: die Tiefsee. 4 000 bis 5 000 Meter unter dem Meeresspiegel herrscht totale Finsternis, die Temperatur beträgt nur wenige Grad Celsius und der Druck steigt auf rund 500 bar - das 250-fache eines Autoreifens.

Doch vielfältiges Leben regt sich - etwa in Form winziger Krebse und Asseln. "Der Mond ist besser erkundet als die Tiefsee", berichtet Professor J. Wolfgang Wägele, Direktor des Zoologischen Forschungsinstituts und Museums Alexander Koenig in Bonn.

Derzeit befindet sich ein internationales Forscherteam gleich auf zwei Expeditionen, an denen Mitarbeiter Wägeles beteiligt sind. Am 26. Januar nahm der Eisbrecher "Polarstern" von Kapstadt (Südafrika) aus Kurs auf die Antarktis. Vor wenigen Tagen startete auch das zweite deutsche Forschungsschiff, die "Meteor", vom selben Hafen Richtung Norden mit den Kapverdischen Inseln als Ziel.

Zweck der mehrwöchigen Unternehmungen: Die Tierwelt auf dem Grunde der Ozeane zu erkunden. "Wir sind beim allerersten Schritt - der Bestandsaufnahme", sagt Wägele. "Frühere Beprobungen der Tiefsee haben ergeben, dass rund 80 bis 90 Prozent der gefundenen Tierarten unbekannt sind." Bisher liegen aber nur wenige Stichproben aus kleinen Gebieten vor. "Das ist etwa so, als wollte man anhand von zwei Tassen Schlick auf die Lebewelt des Bodensees rückschließen", umschreibt der Zoologe die unzulängliche Datenlage. Mithilfe der beiden Forschungsschiffe erhalten die Forscher jetzt detaillierte Daten über große Flächen von der Antarktis bis zum Äquator. Die erforderlichen Tiefen sind mit Standardtauchbooten nicht zu erreichen. "Und selbst wenn, die Tiere würden wir nicht sehen, weil sie vor den Geräten fliehen würden."

Die Wissenschaftler behelfen sich anders: Das Fanggerät für Tiefseetiere - der "Epibenthosschlitten" - wurde von Nils Brenke, einem Mitarbeiter Wägeles, konstruiert.

Es wird über ein zehn Kilometer langes Kabel bis 6 000 Meter in die Tiefsee herabgelassen und wie ein Schlitten hinter dem Schiff hergezogen. Darin verfangen sich dann Schlamm und die darin enthaltenen Organismen. Die Probenahme ist zeitaufwändig: Rund vier Stunden dauert allein das Hinunterlassen des Geräts, dann wird etwa 20 Minuten beprobt, und das Hochziehen erfordert ebenfalls wieder mehrere Stunden.

Wie es auf dem Meeresgrund in rund 5 000 Meter Tiefe aussieht, davon haben die Forscher eine grobe Vorstellung: Auf Hunderten von Quadratkilometern eine mit feinem Schlamm bedeckte Ebene - ohne Strukturen. Denn für irgendwelches Geröll sind die Kontinentalränder zu weit weg. Tierleichen und abgestorbene Algen rieseln aus den oberen Ozeanschichten auf den Tiefseegrund und versinken im Schlamm. Dort werden sie von meist nur Bruchteile von Millimetern bis Zentimeter großen Lebewesen gefressen, die meist blind und farblos sind. Im Reich der Finsternis braucht man keine Farbe.

Manche der Tiere erinnern an kleine Spinnen, Zecken oder Tausendfüßler. Manche haben Paddel an den Hinterbeinen, mit denen sie sich vermutlich auch im Schlamm vergraben. Andere erinnern an kleine Sternchen, wieder andere sind mit Stacheln bewehrt - wahrscheinlich um sich vor Fressfeinden zu schützen. "Wir wissen nur nicht wie diese Feinde aussehen", merkt Wägele an.

So öde und eintönig diese riesigen Tiefseeebenen auch erscheinen, so wichtig sind sie für den Nährstoffkreislauf des Planeten. Denn sie verwandeln die Substanzen, die die Flüsse in die Meere spülen, zurück in Nährstoffe, die mit den Meeresströmungen nach oben getrieben werden. "Wo solches Tiefenwasser an die Oberfläche kommt, befinden sich auch die ergiebigsten Fischgründe", sagt der Direktor.

Denn die Nährstoffe führen zur Algenblüte und damit zu einer reich gedeckten Tafel für die Fische - etwa vor den Küsten Perus, Namibias oder Nordspaniens. "Würde es die Abbauorganismen in der Tiefsee nicht geben, käme früher oder später der Nährstoffkreislauf zum Erliegen", meint Wägele. Doch dieses Ökosystem sei unter anderem durch das Versenken von Bohrplattformen und Müll bedroht.

Für die Forscher an Bord der beiden Schiffe heißt es zunächst einmal: Möglichst viele Daten erheben. Deshalb läuft die Arbeit 24 Stunden am Tag, auf mehrere Schichten verteilt. "In der Antarktis kann es an Deck sehr ungemütlich sein: minus 20 Grad Celsius, Orkan und Regen", beschreibt Wägele, der selbst mehrmals an Bord der Polarstern war, die harten Bedingungen. Es ist auch nicht gerade leicht, bei heftigem Seegang die geborgenen Tiefseeproben zu waschen, zu sieben und zu konservieren. "Mit einer Hand hält man sich am Tisch fest und versucht mit der anderen, die Probe nicht überschwappen zu lassen", berichtet der Direktor. Von Traumschiff-Atmosphäre und Party-Stimmung also keine Spur: "Meist sind die Leute nach wenigen Tagen erschöpft und fallen nach der Arbeit sofort in die Koje."

Doch für die Wissenschaft nehmen sie das gerne in Kauf. Wägele: "Wenn man die Proben sichtet, bekommt man jeden Tag etwas Neues zu sehen."

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