Angst vor dem Karriere-Knick nach Familiengründung

Viele Wissenschaftler verzichten wegen unsicherer Berufsperspektiven auf Kinder

Angst vor dem Karriere-Knick nach Familiengründung
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Bonn. (sj) Die Ergebnisse sind ernüchternd: Wegen der unsicheren Karrieren schrecken in der Wissenschaft viele vor einer Familiengründung zurück.

Das besagt die Studie "Balancierung von Wissenschaft und Elternschaft", die vom Bonner Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung erstellt wurde. Die Ergebnisse werden derzeit bei einer Tagung im Wissenschaftszentrum diskutiert.

"70 Prozent der kinderlosen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wünschen sich Nachwuchs", sagt Studienleiterin Inken Lind. Bemerkenswert sei, dass diese Gruppe hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sogar noch deutlich skeptischer ist als Forscher mit Kindern.

"Aber auch ein sehr hoher Anteil der Eltern glaubt, dass man mit Kindern weniger Karrierechancen hat." Das liege an den "zunehmend prekären Bedingungen" in der Wissenschaft. "Vor allem jüngere Frauen und Männer hoppen von einem befristeten Vertrag zum nächsten", berichtet die Studienleiterin.

Linktipp: Weitere Informationen finden Sie unter: www.cews.org/statistikDie Tendenz zur Selbstausbeutung steige: Zunehmend gebe es nur Teilzeitstellen bei voller Beschäftigung. "Es fehlen Perspektiven und Existenzsicherheit als Voraussetzungen für eine Familiengründung", sagt Lind.

Aber auch persönliche Faktoren beeinflussen demnach die Familiengründung: Eine Voraussetzung sei eine stabile und zufriedenstellende Partnerschaft, die Unterstützung seitens des Partners oder der Partnerin.

Von negativen Folgen für den Beruf sehen sich vor allem Mütter betroffen, doch auch Väter teilen zunehmend diese Erfahrung. "Wer sich als Mann intensiver um seine Familie kümmern möchte, macht die gleichen Erfahrungen wie Frauen: Viele fühlen sich von ihren Vorgesetzten und Kollegen nicht mehr ernst genommen", so die Studienleiterin.

In der Wissenschaft werde Präsenz und Mobilität erwartet. "Das sind Kriterien, die Eltern schwerer erfüllen können als Singles." Trotz aller Schwierigkeiten sei jedoch festzustellen, dass es auch in der Wissenschaft familienfreundliche Nischen gibt, die häufig durch einzelne Vorgesetzte geprägt werden.

Insgesamt zeigten Befragungen aber, dass Mütter und familienorientierte Väter auf Dauer nur in der Wissenschaft bleiben, wenn sie sehr stark wissenschaftlich motiviert sind und eine hohe Belastbarkeit haben.

Die Studienleiterin sieht aber durchaus Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen zu verbessern: "Vorgesetzte sollten Handlungsspielräume nutzen, um die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie zu erleichtern." Es gehe vor allem darum zu signalisieren, dass Eltern im Team willkommen sind. Altersgrenzen sollten relativiert sowie Mobilitäts- und Verfügbarkeitsansprüche abgemildert werden.

"Schließlich soll in der Wissenschaft die persönliche Leistung zählen und nicht die Dauer der Anwesenheit." Frauen hätten es in der Wissenschaft noch immer schwerer, auch weil sie öfter als ihre gleichqualifizierten männlichen Kollegen kürzer befristete oder schlechter ausgestattete Stellen bekommen.

Deswegen steige die Wahrscheinlichkeit, dass sie der Wissenschaft den Rücken kehren. "Das verstärkt wiederum den Eindruck, dass Frauen unzuverlässiger sind", sagt Lind. "Hier dreht sich das System im Kreis."

Eltern sei ihr Beruf häufig sehr wichtig und Wissenschaftlerinnen mit Kindern hätten eine sehr hohe Berufsmotivation. Umgekehrt seien Kinderlose mit Kinderwunsch häufig sehr unzufrieden - weil ihnen ein wichtiger Aspekt in ihrem Leben fehle. "Die Frage ist, ob sich die Wissenschaft auf Dauer dieses Unzufriedenheitspotenzial leisten will", sagt Lind.

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