Forschungszentrum Auf direktem Weg dorthin, wo es brennt

BONN · Ganz nah: Im Reinraum des Forschungszentrums Caesar arbeitet eine Gruppe an Sensorsystemen.

 Der Reinraum ist der tägliche Arbeitsplatz für die Ingenieure der Gruppe Mikrosystemtechnologie. Das Licht, aus dem die blauen Anteile herausgefiltert sind, schafft Bedingungen wie in einer Dunkelkammer.

Der Reinraum ist der tägliche Arbeitsplatz für die Ingenieure der Gruppe Mikrosystemtechnologie. Das Licht, aus dem die blauen Anteile herausgefiltert sind, schafft Bedingungen wie in einer Dunkelkammer.

Foto: Andrea Künstle

Die Natur überlässt nichts dem Zufall. Ein Satz, der simpel klingt und dessen Faszination man sich doch schwerlich entziehen kann. Denn was sich durch die Evolution in Jahrmillionen vollzogen hat, einer ständigen Optimierung folgend, erfüllt bis heute - meist ganz unauffällig und oft noch unentdeckt - seinen Zweck. So wie die besondere Ausstattung des Schwarzen Kiefernprachtkäfers (Melanophila acuminata), die allerdings kein Geheimnis ist: nicht mehr.

Ein Blick in die Vergangenheit hat bei der Aufklärung geholfen. 1924 kam es im kalifornischen Coalinga zu einem der verheerenden Waldbrände wie sie derzeit auch auf den Kanaren wüten. Rund 80 Kilometer legte der Käfer seinerzeit zurück, um zur Feuerquelle zu kommen. Mit gutem Grund, denn diese Art legt ihre Larven in verbranntem Holz ab. Sie ernähren sich davon. Wie aber steuert der Käfer, und wie kann der Mensch sich dessen Technik zunutze machen?

Vor allem die letzte Frage beschäftigt Manfred Lacher, technologischer Leiter der Gruppe Mikrosystemtechnologie am Forschungszentrum Caesar, und den Wissenschaftler Siegfried Steltenkamp. Arbeitsplatz der beiden und ihres Teams ist der Reinraum: eine in sich abgeschlossene Welt, in der die Konzentration luftgetragener Teilchen so gering wie nötig gehalten wird. Da der Mensch, der diesen Raum betritt, von Natur aus die größte Quelle für Partikel und andere Verschmutzungen ist, trägt er spezielle Anzüge, Kopfhauben und Überzieher für die Schuhe.

Beim Rundgang durch die Räume - angesichts der Ausstattung dort und dessen, wozu sie dient - ist die oben beschriebene Faszination beinahe mit Händen zu greifen. Die Möglichkeiten, die der Reinraum der Mikrosystemtechnologie bietet, lassen auch Manfred Lacher noch immer ins Schwärmen geraten. "Es ist schon sehr praktisch, dass bei Caesar Grundlagenforschung und Technologie unter einem Dach zusammenkommen", ergänzt Stefan Hartmann, Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Understatement pur, mit Blick auf die Präzisionsarbeit, die es erfordert, das Design der Natur zu erforschen und zu "kopieren".

Um zum Prachtkäfer zurückzukommen: Die Umgebung, die er zur Arterhaltung braucht, ist der des Reinraums genau entgegengesetzt. Verbrannte Erde sozusagen. Nichtsdestotrotz zieht es ihn dorthin. Verantwortlich dafür ist ein Infrarot-Sinnesorgan auf der Unterseite seines schwarzen Körpers. Rund 70 Rezeptoren stecken auf jeder Seite; dicht gepackt und in einer grubenförmigen Vertiefung. Unter dem Rasterelektronenmikroskop sehen sie ein wenig wie Äpfel oder Tomaten aus; mit einem hoch entwickelten Innenleben allerdings.

Die Infrarot-Strahlung wird in der Zelle absorbiert und führt dort zu einer Druckerhöhung. Der erhöhte Druck wiederum löst eine mikromechanische Reaktion aus; gemessen von einer mechanosensitiven Sinneszelle, dessen Membran sich deformiert. Nanokanäle sorgen für einen kontinuierlichen Druckausgleich. Steigt der Druck jedoch plötzlich und stark an, ist das für den Käfer sozusagen die "Startfreigabe" in Richtung Waldbrand. Diese Funktion technisch umzusetzen, ist die Aufgabe des Teams. Mit dem Ziel, einen Sensor zu entwickeln, der sich als Branddetektor verwenden lässt. Erste Versuche, so Lacher, seien vielversprechend. Bis ein Prototyp vorliegt, könne es noch rund zehn Jahre dauern.

Etwas mehr Geduld müssen die Forscher bis zur Serienreife des "Mausgehirnsteckers" beweisen. "Es geht darum, Zellen optisch an- und auszuschalten", erläutert Lacher. Die Vision sei, eines Tages mit einer elektronischen Spitze Impulse, die einen epileptischen Anfall auslösen, elektrisch zu messen und optisch zu unterdrücken, ohne dass das für den Betroffenen spürbar wäre.

Zukunftsmusik? "Natürlich ist es das", fügt Lacher hinzu. Aber ohne Visionen wären die Tüftelei und die gelegentlichen Rückschläge nicht die Herausforderung, die sie sind. Und was die Zielstrebigkeit betrifft, hat die Gruppe - im übertragenen Sinne - einiges mit Melanophila acuminata gemein.

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