Seltene Bücher zur Medizingeschichte in der Universitätsbibliothek Blut, Schmerz und Schönheit

BONN · Mit Handschuhen packt Michael Herkenhoff manche Bücher nur ungern an. "Dann fehlt mir das Gefühl für das Papier, ich kann es nicht so vorsichtig anpacken und es so vielleicht beschädigen", sagt er. Manch einen der Besucher der historischen Büchervorstellungen, die er regelmäßig mit seinem Kollegen Hans-Dieter Blum in der Bonner Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) macht, wundert das.

 "Man lebt durch den Geist, alles andere ist sterblich": Zwei Holzschnitte aus dem fast 500 Jahre alten Medizin-Atlas "De humani corporis fabrica libri septem" von Andreas Vesalius.

"Man lebt durch den Geist, alles andere ist sterblich": Zwei Holzschnitte aus dem fast 500 Jahre alten Medizin-Atlas "De humani corporis fabrica libri septem" von Andreas Vesalius.

Foto: Nicolas Ottersbach

Vor allem, wenn es ein Werk wie "De humani corporis fabrica libri septem" (Sieben Bücher über den Bau des menschlichen Körpers) von Andreas Vesalius aus dem Jahre 1543 ist. Das Buch des in Brüssel geborenen Anatomen gilt heute als eines der bedeutendsten Bücher der Neuzeit.

Nicht nur, weil Vesalius damit die moderne Anatomie begründete - sondern auch, weil der Körperatlas mit seinen mehr als 200 Holzschnitten ein Glanzstück der Buchkunst ist. "Vesalius löste sich von den festen Vorstellungen der damaligen Zeit und untersuchte alles neu", sagt Herkenhoff. Er und Blum sind keine Mediziner, dafür können sie das Buch als solches beurteilen. Und das ist einmalig: Das Exemplar, seit 1893 im Besitz der Universitätsbibliothek, enthält eine persönliche Widmung von Vesalius aus dem Jahre 1548.

Laut der Schrift auf der Innenseite des Einbands aus schweinslederüberzogenem Holz ist es ein Geschenk an "Stephanus Lagus" aus Esslingen. "Von dem, was wir über Vesalius' Lebenslauf wissen, hat er sich wahrscheinlich dort aufgehalten", sagt Herkenhoff. Als Sohn eines Leibapothekers des Kaisers Karl V. studierte Vesalius Medizin in Paris und erhielt im Alter von nur 23 Jahren seine Professur im norditalienischen Padua. An den Anatomie-Werken seiner Zeit fielen ihm durch eigene akkurate Sektionsarbeit an Leichen viele Irrtümer auf. Durch seine "Fabrica" wollte er sie berichtigen, was ihn zu einem Reformer machte.

"Die Holzschnitte, die in Basel gedruckt wurden, sind nicht nur detailreich, sondern echte Kunst", findet Herkenhoff. Da lehnt ein Skelett mit verschränkten Beinen in Denkerpose an einem Altar mit der Inschrift "Vivitur in genio, caetera mortis erunt": Man lebt durch den Geist, alles andere ist sterblich. Wie in einem Daumenkino löst Vesalius auf unzähligen Seiten Muskelschicht für Muskelschicht vom Körper und nummeriert jede anatomische Feinheit, die dann wiederum im Text ausführlich erklärt wird. "Er wollte so genau wie möglich beschreiben", sagt Herkenhoff.

Die Fabrica ist laut Hans-Dieter Blum ein "hoch wertvolles Buch", mit einem unschätzbaren kulturellen und materiellen Wert, weshalb es speziell gelagert wird. Auch wenn es fast 500 Jahre alt ist, wird es noch Jahrhunderte halten. "Das kann man nicht mit dem heutigen Druck vergleichen, das ist für die Ewigkeit gemacht", sagt Blum. Zwar wurde es auf ein paar Seiten schon einmal ausgebessert, der Großteil ist aber noch im Originalzustand. Experten wie Blum und Herkenhoff können das sogar hören: "Die Seiten haben beim Blättern ihren eigenen Sound", so Blum.

Dieses Erlebnis, ein so altes Buch nicht nur in einer Vitrine hinter Glas zu sehen, wollen die beiden jedem ermöglichen. Seit 2010 stellen sie Werke aus der ULB zu unterschiedlichen Themen vor. Kosmologie, Zoologie, Reisebücher und Enzyklopädien waren schon dran. Diesmal (am kommenden Sonntag, 31. Mai) geht es unter dem Motto "Blut, Schmerz und Schönheit" um den medizinischen Altbestand. Darunter ist nicht nur das Werk des Vesalius, sondern auch eine mittelalterliche Handschrift, viele Drucke aus dem 16. bis 18. Jahrhundert und "Inkunabeln": Diese "Wiegendrucke" stammen aus der allerersten Frühzeit des Buchdrucks von 1454 bis 1500.

Buchvorstellung "Blut, Schmerz und Schönheit": Sonntag, 31. Mai, 11 Uhr. ULB-Handschriftenlesesaal, Adenauerallee 39-41. Eintritt frei

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