Bonner Forscher untersuchen grenzenlose Wanderungen in Asien

Menschen überschreiten ständig Grenzen: auf der Suche nach Arbeit, auf der Flucht vor Konflikten oder aber, um Verwandte zu besuchen. Dieser Fakt kommt häufig in der Wissenschaft zu kurz.

Bonner Forscher untersuchen grenzenlose Wanderungen in Asien
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Bonn. Menschen überschreiten ständig Grenzen: auf der Suche nach Arbeit, auf der Flucht vor Konflikten oder aber, um Verwandte zu besuchen. Dieser Fakt kommt häufig in der Wissenschaft zu kurz.

"Die bisherige regionalwissenschaftliche Forschung macht immer an kulturellen oder staatlichen Grenzen halt", sagt Conrad Schetter vom Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn (ZEF). Das Brennglas der Forscher richtet sich also etwa auf Südostasien, Lateinamerika oder Westafrika.

"Dieser Ansatz bildet aber weder die Lebenswelten der Menschen ab, noch kann von einer einheitlichen Kultur innerhalb der Grenzen die Rede sein", ist Schetter überzeugt. "Wir wollen diesen Forschungsansatz aufbrechen, indem wir den Menschen und ihren Netzwerken folgen."

So steht die Mobilität von Menschen, Ideen und Gütern im Vordergrund des neuen Kompetenznetzwerks "Crossroads Asia", an dem sich neben dem ZEF die Abteilung für Islamwissenschaft der Bonner Universität sowie sieben weitere Hochschulen beteiligen. Das Bundesforschungsministerium stellt dafür in den nächsten vier Jahren rund vier Millionen Euro zur Verfügung, von denen knapp 1,6 Millionen Euro nach Bonn fließen.

Die Untersuchungsregion umfasst das Gebiet, das sich von Ostiran bis Westchina und vom Aralsee bis Nordindien erstreckt. "Unsere Forschung beschäftigt sich beispielsweise mit Heirats- oder Migrationsnetzwerken, die in Kabul ihren Ausgang nehmen und dann etwa in Neu Delhi oder in Bonn enden können", berichtet Schetter. In Afghanistan werden von westlichen Mächten Milliarden Euro für den Aufbau staatlicher Strukturen ausgegeben.

"Dabei wird vergessen, dass der Staat in den Köpfen der Menschen häufig überhaupt keine Rolle spielt", sagt der Wissenschaftler. "Täglich passieren etwa 30 000 bis 40 000 Menschen die Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan - und scheren sich nicht um diese Staatsgrenze." Mit dem Projekt soll herausgefunden werden, was die "Leitplanken" für die Lebenswelten der Menschen sind.

"Für Afghanistan wäre sicherlich eine besser angepasste politische Strategie, wenn sich diese an den Weltsichten der Menschen und nicht an der abstrakten Vorstellung der Staatsbildung ausrichten würde", sagt Schetter. Aufbauarbeit in Afghanistan mache nur Sinn, wenn man die ganze Region in den Blick nimmt. Millionen Afghanen lebten und arbeiteten etwa in der Golfregion. In Tadschikistan und Kirgistan herrschten ganz ähnliche Verhältnisse.

Dort arbeiten laut Schetter rund 20 Prozent der Männer in Russland. "Ohne transnationale Netzwerke ist ein Überleben in Crossroads Asia überhaupt nicht mehr denkbar", ist der Forscher überzeugt. "Genau diese Netzwerke wollen wir untersuchen."

Die Forscher interessiert, wie sich über religiöse Netzwerke Islamvorstellungen aus Nordindien nach Zentralasien oder vom Persischen Golf nach Afghanistan verbreiten. Weitere Themen sind, wie etwa durch Bildung Entwicklungsprozesse angestoßen werden und welche Auswirkungen Mobilität in Konflikten wie etwa in Belutschistan oder Kaschmir einnimmt.

"Schließlich versuchen wir, über historische Forschung zu zeigen, dass die hohe Mobilität, die wir gegenwärtig in der Region beobachten können, bereits in vorkolonialer Zeit bestand", sagt Schetter. "Wir bekommen durch Crossroads Asia ein tieferes Verständnis dafür, wie Gesellschaften in dieser Region Asiens denken und handeln."

Ein Beispiel dafür sei die Frage, warum Afghanen gleichzeitig mit der Nato und mit den Taliban kooperieren. "Es geht darum, dass man sinnvoller in der Region agieren kann, wenn man die Menschen versteht", sagt Schetter. "Mit unserer Forschung eröffnen wir vollkommen neue Wege, wie dies gelingen kann."

Die ProjektpartnerAn dem Netzwerk "Crossroads Asia" sind die Freie Universität Berlin, die Humboldt-Uni Berlin, die Unis Köln, München und Tübingen sowie die Abteilung für Islamwissenschaft und das Zentrum für Entwicklungsforschung der Uni Bonn beteiligt, wo auch die Geschäftsstelle angesiedelt ist.

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