Bonner Forscher untersucht rätselhafte Tausendfüßler

Björn von Reumont suchte bei Höhlen-Tauchgängen in Mexiko nach rätselhaften Ruderfüßlern

Bonner Forscher untersucht rätselhafte Tausendfüßler
Foto: Barbara Frommann

Bonn. Der Körper ist farblos und ähnelt einem Tausendfüßler, der Kopf erinnert dagegen an einen Krebs. Die nur wenige Millimeter kleinen Tiere geben Rätsel auf.

Sie leben in entlegenen Bereichen von Unterwasserhöhlen: dort, wo Salzwasser aus dem Meer und versickerndes Regenwasser zusammentreffen - und das schon sehr, sehr lange.

Seit rund 400 Millionen Jahren kommen sie auf der Erde vor, wurden aber erst vor 30 Jahren entdeckt. Die seltsamen Tiere haben keine Augen, die brauchen sie in der Dunkelheit der Höhlen auch nicht. Mit ihren Schwimmbeinen bewegen sie sich durch das Wasser.

Diese "Ruderfüßler" (wissenschaftlich: Remipedia) könnten das fehlende Glied in der Beweiskette sein, wie Wassertiere das Land eroberten. "Wir vermuten, dass es sich bei den Ruderfüßlern, um die letzten im Wasser lebenden Tausendfüßler handelt", sagt Professor Wolfgang Wägele, Direktor des Forschungsmuseums Koenig in Bonn.

Entdeckung der Remipedia Es war reiner Zufall: Die Hobbytaucherin Jill Yager machte 1979 in einer Unterwasserhöhle auf den Bahamas einen sensationellen Fund. Sie entdeckte eine unbekannte, wenige Millimeter kleine Tierart - einen Ruderfüßler.

Heute ist Yager wegen dieser Entdeckung und nachfolgenden wissenschaftlichen Arbeiten als Zoologin in Ohio/USA beschäftigt. Bislang sind 18 Arten dieser neuen Tierklasse bekannt. Sie leben von kleineren Krebsen und kommen auf den Bahamas, der Halbinsel Yucatan und auf Lanzarote vor.

Vor 400 Millionen Jahren gab es einen einzigen Urkontinent, der später in die heutigen Kontinente zerbrochen ist - die Ruderfüßler reisten als Passagiere mit.Morphologische Studien zeigen, dass die Remipedia im Bau des Gehirns, der Beine, des Rumpfes und der Muskulatur den Tausendfüßlern sehr ähnlich sind. Die Wissenschaftler leiten aus diesen Befunden ab, dass es einmal Meerestiere gegeben haben muss, die wie Tausendfüßler aussahen und zur Gruppe der Krebse gehörten.

Sie hielten sich im Flachwasser auf und gingen vor mehr als 400 Millionen Jahren dazu über, ihre Nahrung auch manchmal an Land zu suchen - ähnlich wie es heute Krabben tun. Daraus könnten auf dem Land lebende Tausendfüßler und schließlich die ersten Insekten entstanden sein, die noch keine Flügel hatten und auf sechs Beinen herumkrabbelten.

"Wenn wir das nachweisen könnten, wäre es eine Sensation", sagt Wägele. "Die Lehrbücher müssten dann umgeschrieben werden." Genaueres soll nun der Blick ins Erbgut bringen. Björn von Reumont, Doktorand am Museum Koenig, war vor einigen Monaten in Mexiko unterwegs, um in den Unterwasserhöhlen von Yucatan in der Nähe von Tulum Ruderfüßler zu fangen, die nun molekularbiologisch untersucht werden sollen.

Ermöglicht hat seine Yucatan-Expedition eine Spende der Volksbank Bonn-Rhein-Sieg in Höhe von 4 000 Euro, die die Alexander-Koenig-Gesellschaft eingeworben hat. "Öffentliche Mittel standen für diese Forschungsreise nicht zur Verfügung", sagt Uwe Schäkel, Präsident der Fördergesellschaft.

Die Wissenschaftler extrahieren nun die Erbsubstanz dieser Tiere, die anschließend im Max-Planck-Institut für Molekulargenetik in Berlin sequenziert wird. "Wir wollen die Verwandtschaft der Remipedia einordnen", sagt Reumont.

Mit den Sequenzdaten errechnen die Bonner dann Stammbäume, die die nächsten Verwandten der Ruderfüßler offenbaren. "Eine große Stärke in meinem Promotionsprojekt ist die Kooperation mit zahlreichen anderen Gruppen", sagt von Reumont. Er arbeitet unter anderem mit Wissenschaftlern aus Hamburg, Hannover und auch den USA zusammen.

Professor Tom Iliffe von der Texas A & M Universität in Galveston half von Reumont bei den Tauchgängen. "Höhlentauchen ist ein gefährliches Unterfangen", berichtet der Bonner Biologe. Die Höhlen sind dunkel, das Wasser ist selbst mit Taschenlampen noch trübe und im Notfall ist ein direktes Auftauchen kaum möglich.

Die Wissenschaftler sichern sich mit einer Orientierungsleine, dem "Ariadnefaden", der auch dem Helden in der griechischen Mythologie den Weg aus dem Labyrinth wies. Einmal riss von Reumont dieser Faden - mit seinem erfahrenen Taucherkollegen konnte er aber noch aus der Höhle finden.

Bei einem sehr langen Tauchgang ging ihm die Luft in den Taucherflaschen aus. In letzter Minute konnte er sich in eine Luftblase unter dem Höhlengewölbe retten. Ein Problem waren auch die Krokodile, die am tümpelartigen Höhleneingang herumlungerten.

"Vor denen hatte ich sehr großen Respekt", räumt von Reumont ein. "Glücklicherweise sind sie uns nicht in die Höhlen gefolgt." Nun hat der Doktorand nicht mehr mit Krokodilen, sondern in erster Linie mit DNA-Analysen und Computerberechnungen zu tun.

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