Zweiter deutscher Preisträger Goldmedaille für Bonner Mathematiker Peter Scholze

Bonn/Rio de Janeiro · Die Vorhersagen haben sich bewahrheitet: Der Bonner Mathematiker Peter Scholze hat die Fields-Medaille erhalten, den weltweit bedeutendsten Fachpreis seiner Disziplin. Der 30-Jährige ist erst der zweite deutsche Preisträger überhaupt.

Die Nachricht aus Rio de Janeiro elektrisiert nicht nur die Fachwelt, sondern auch die Laien: Die Fields-Medaille, der "inoffizielle Nobelpreis für Mathematik", geht nach Deutschland - an den erst 30 Jahre jungen Professor Peter Scholze vom "Hausdorff-Zentrum für Mathematik" der Universität Bonn. Damit ist eingetreten, was Fachkreise schon lange ahnten ( der General-Anzeiger berichtete).

Erst zum zweiten Mal in der 82-jährigen Geschichte der Auszeichnung erhält somit ein deutscher Forscher die weltweit renommierteste Auszeichnung der Mathematik; erstmals überhaupt geht sie an einen Deutschen, der auch in Deutschland arbeitet (Gerd Faltings, Medaillist von 1986, wirkte damals in Berkeley, USA).

Außer an Scholze hat die IMU drei weitere Fields-Medaillen vergeben. Die Preisträger sind der Brite Caucher Birkar, 39 (Uni Cambridge), der Italiener Alessio Figalli, 34 (ETH Zürich) und der Australier Akshay Venkatesh, 36 (Uni Stanford).

Der in Dresden geborene Scholze besuchte das auf Naturwissenschaften spezialisierte Heinrich-Hertz-Gymnasium in Berlin (ein anderer prominenter Absolvent war 1966 Gregor Gysi); als Schüler errang er drei Mal Gold und ein Mal Silber in der Mathematik-Olympiade. Schon in seiner Masterarbeit an der Uni Bonn von 2010 vereinfachte er den überaus komplizierten "Harris-Taylor"-Beweis von 288 auf 37 Seiten.

Doktorarbeit zu "Perfektoiden Räumen"

In seiner Doktorarbeit (51 Seiten, nur 33 Literaturhinweise) folgte ein Jahr später das zweite Meisterstück: Er entwickelte die "Perfektoiden Räume". Diese Arbeit bewegt sich im Grenzbereich zwischen Zahlentheorie und Geometrie - zwei Teilgebieten der Mathematik, die lange Zeit als völlig unvereinbar galten. Scholzes neue Technik erleichtert den Übergang zwischen beiden. Details anzugeben, ist unmöglich. Schon der Versuch gerät etwa so, als müsse man vom Zehn-Meter-Turm zielgenau in ein Wasserglas springen, komme aber erst gar nicht rauf, weil die Leiter mit Seife bestrichen ist.

Kostprobe aus einschlägigen Texten gefällig? Die Perfektoiden Räume sind gedacht, "um De Lignes weight-monodromy-Vermutung über p-adischen Körpern zu beweisen, indem man sie auf den Fall lokaler Körper von gleicher Charakteristik reduziert". Sie helfen aber zum Beispiel auch dabei, "Gerd Faltings' almost-purity-Theorem allgemeine Form zu verleihen" oder "neue Resultate in der p-adischen Hodge-Theorie zu erzielen". Alles klar?

Laien haben aber keinen Grund zu verzweifeln: Auch die allermeisten Fachleute verstehen da nur noch Bahnhof. Einführungsseminare (für Profis!) dauern drei Tage. Und dass eine Sache keiner versteht, muss nicht bedeuten, dass sie der Menschheit nie nützlich sein wird. Gerade die Mathematik ist voll von sehr abstrakten Dingen mit sehr konkretem Nutzen.

Professor nennt ihn "ein Jahrhunderttalent"

Beispiel: Weil minus mal minus plus ergibt, ist das Quadrat einer negativen Zahl immer eine positive. Und weil die Wurzel einer Zahl die "Rückgängigmachung des Quadrates" ist, kann es so etwas wie die Wurzel aus einer negativen Zahl eigentlich gar nicht geben. Der Mathematiker Leonhard Euler (1707-1783) jedoch kümmerte sich nicht darum: Er fand heraus, dass sich mit einer erdachten "Wurzel aus minus eins" wunderbar arbeiten lässt, nannte sie "i" und erfand so ebenfalls eine völlig neue Mathematik - die "imaginären" Zahlen.

Der "gesunde" (soll heißen: träge) Verstand schaltet sich bei so etwas ab. Um so wichtiger ist, sich nicht immer auf ihn zu verlassen: Ohne diese "imaginären" Zahlen würde alle heutige Elektrotechnik nicht funktionieren. Und auch die Zahlentheorie ist nicht so abgehoben, wie es auf den ersten Blick aussieht: Eines ihrer Teilgebiete (die Primfaktorzerlegung) ist die Grundlage wichtiger Verschlüsselungstechniken fürs Internet.

Jung, revolutionär, erfolgreich - Scholzes Vita hat alle Zutaten, die heutzutage einen Wissenschafts-Popstar ausmachen. "Wenn es so etwas gäbe, gewönne er zweifellos den Wettbewerb um den Titel des bekanntesten Mathematikers der Welt", sagt sein Fachkollege Michael Harris (einer der beiden, deren Beweis Scholze auf zwölf Prozent eindampfte). "Ein Jahrhunderttalent" nennt ihn Professor Karl-Theodor Sturm, Koordinator des Hausdorff-Zentrums. "Er gehört zu den genialsten Wissenschaftlern seiner Zeit", sagt Uni-Rektor Professor Michael Hoch. Und Scholzes Bonner Doktorvater Professor Michael Rapoport sagt: "So einen Mathematiker wie ihn gibt es nur alle paar Jahrzehnte mal auf der ganzen Welt."

Mit dem größten Erfolg von allen könnte Peter Scholze also jetzt die Arbeit einstellen und fortan von Talkshow zu Talkshow hüpfen. Oder er könnte sich einen Sachbuchautor suchen, der seine Forschung zum populärwissenschaftlichen Bestseller verarbeitet (wie es der britische Journalist Simon Singh tat, als Fast-Fields-Medaillist Andrew Wiles den "Großen Fermatschen Satz" gelöst hatte, ein 350 Jahre altes Mathe-Rätsel).

Beeindruckende Arbeitsweise

Für solche Sachen zeigt Scholze keinerlei Interesse. Von Weltstar-Allüre keine Spur: Kollegen beschreiben ihn als freundlich, großzügig, bodenständig, immer ansprechbar. "Es war sehr einfach, mit ihm zu diskutieren", berichtet sein Mitdoktorand Eugen Hellmann, heute Professor an der Universität Münster. "Er war immer so empathisch, dass er gut einschätzen konnte, was der andere jetzt versteht und was nicht. Er hat einem nie das Gefühl gegeben, dass er auf einer anderen Stufe stehe oder besser sei."

Besonders beeindruckend an Scholzes Arbeitsweise: Er macht nie Notizen, schon als Student nicht. Mitschreiben lenke vom Denken ab, sagt er; alle Arbeit erfolgt im Kopf. Auch deshalb betrachtet ihn die Fachwelt mit "einer Mischung aus schaudernder Ehrfurcht, Angst und Berauschtheit" (so formulierte es der US-Mathematiker Bhargav Bhatt).

Gewinner des Leibniz-Preises

Die Fields-Medaille ist der Höhepunkt einer ganzen Reihe bedeutender Preise, mit denen ihn die Community bereits überschüttet hat: So gab es 2014 den Research Award ("für bahnbrechende Leistungen in der Mathematik") des Clay Mathematics Institute in Cambridge (Massachusetts) und 2016 den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft, den renommiertesten Forschungspreis der Bundesrepublik.

Inzwischen ist Scholze Mitglied in vier Akademien der Wissenschaften (der Berlin-Brandenburger, der Mainzer, der Nordrhein-Westfälischen und der "Leopoldina" in Halle). Weltzentren der Mathematik wie das MIT oder die Unis Princeton und Harvard warben um ihn. Er blieb in Bonn - und will es auch bleiben: "Die Rahmenbedingungen sind großartig und die internationale Atmosphäre sehr inspirierend."

15.000 Kanada-Dollar als Prämie

Im persönlichen Gespräch ( siehe Interview) wirkt der junge Bonner Mathematiker, als sei ihm der ganze Rummel um seine Person unangenehm. "Ich hoffe, dass sich durch den Preis in meinem Leben nicht viel ändert", sagt er: "Ich will einfach mit meiner Forschung weitermachen und mich gar nicht groß aus dem Konzept bringen lassen."

Was er mit der Fields-Prämie von 15.000 Kanada-Dollar anfängt (nach gestrigem Stand 9878 Euro), weiß er noch nicht: "Mal schauen. Bis jetzt ist nur eine Flasche Champagner geplant." Dass es ihm um die Sache geht statt um Ruhm oder Geld, zeigte sich zuletzt, als Mark Zuckerbergs "Breakthrough"-Stiftung ihm vor zwei Jahren ihren Preis "New Horizons in Mathematics" zusprach. Es winkten 100.000 US-Dollar. Scholze lehnte ab.

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