Bonner Sinologe sucht nach dem frühen China

Viele Umzugskisten waren mit Büchern zu füllen, als der Lyriker, Essayist, Sinologe und Übersetzer Professor Wolfgang Kubin Anfang März an der Bonner Universität in Ruhestand ging. Doch der Bonner sprüht im "Ruhestand" vor Schaffenskraft.

Bonner Sinologe sucht nach dem frühen China
Foto: Volker Lannert

Bonn. Viele Umzugskisten waren mit Büchern zu füllen, als der Lyriker, Essayist, Sinologe und Übersetzer Professor Wolfgang Kubin Anfang März an der Bonner Universität in Ruhestand ging. Es ist ein umfangreiches und großes Werk, auf das der 65-Jährige nun zurückblicken kann.

Die Rückschau ist aber zu kurz gegriffen. Kubin hat in seiner Schaffenskraft nicht nachgelassen. Er spielt auch immer noch Fußball, läuft Halbmarathon und fährt täglich von Holzlar mit dem Rad zur Uni. Sein Tagesablauf vor der Pensionierung war: Um 5.30 Uhr aufstehen, eine Dreiviertelstunde schreiben, Frühstück für die Familie machen, dann an die Uni und wissenschaftlich arbeiten, heimkommen, kochen, Hausaufgabenbetreuung für die vier Kinder und am Abend die nächsten Vorlesungen vorbereiten.

Das Prinzip des Übens Professor Wolfgang Kubin hält beim Dies academicus am Mittwoch, 25. Mai, an der Universität Bonn einen Vortrag über Konfuzius und das Prinzip des Übens. Dabei setzt er sich auch mit der "Tigermutter" Amy Chua auseinander, die mit ihren "chinesischen" Erziehungsmethoden für Schlagzeilen sorgte."Bis vor Kurzem war das so", berichtet Kubin. "Jetzt unterrichte ich nur noch zwei Semesterwochenstunden und habe mehr Zeit zum Übersetzen und Aufsätze schreiben." Weiterhin gönnt sich der Bonner Professor aber nur vier oder fünf Stunden Schlaf. Morgens ab halbsechs schreibt der Sinologe auf Deutsch - am liebsten Gedichte, Erzählungen, Novellen und Essays.

"Inzwischen werde ich aber gebeten, immer mehr auf Chinesisch zu verfassen - etwa Essays für Zeitschriften in Taiwan", berichtet Kubin. Kürzlich erschien einer mit dem Titel "Wäsche waschen". "Er berichtet über meine Erfahrung während der Kulturrevolution, wo ich von Hand Wäsche waschen lernte", sagt der Wissenschaftler. "Seitdem mache ich fast alles selber."

Kubin studierte neben Chinesisch noch Philosophie und Germanistik in Bochum. 1974/75 war er ein Jahr mit einem DAAD-Stipendium in China und lernte dort die Landessprache.

Körperliche Arbeit gehörte damals zu den Pflichten. "Ich hatte die Ernte einzubringen und arbeitete auch in einer Maschinenbankfabrik", erzählt der Professor. "Das waren wichtige Erfahrungen." Kubin interessierte das moderne Chinesisch eigentlich nicht. Er hatte aber gerade promoviert, sein Doktorvater legte ihm die Chinareise nahe. "Ich habe auf seinen Rat gehört", sagt er. "Vor Ort habe ich versucht, das China-Bild zu finden, das ich aus Büchern gewonnen hatte."

Im traumhaft schönen Sommerpalast in Peking habe er es gefunden. Von der Kulturrevolution habe er nicht viel mitbekommen. Gleich nach seiner Heimkehr unterrichtete er an der Uni Bochum und dann an der Freien Universität in Berlin modernes Chinesisch. "Das habe ich auch an der Universität Bonn von 1985 bis 1995 gemacht - im Studiengang Übersetzen", berichtet Kubin. "Damit bin ich von meinen Träumen ins Land der Wirklichkeit aufgebrochen."

Er wollte nicht für den Rest seines Lebens nur das moderne China vermitteln, sondern zu seinen klassischen Wurzeln zurückkehren. "Mich hat immer die Frage nach dem richtigen Leben beschäftigt", berichtet Kubin. "Ich hatte das Gefühl, dass ich diese Frage durch die chinesischen Philosophen der Antike beantwortet bekomme." Außerdem begeisterte ihn die chinesische Lyrik, da er seit seinem 16. Lebensjahr Gedichte schreibt.

1995 trat Kubin die Nachfolge von Professor Rolf Trauzettel an. "Damit waren mehr Freiheiten verbunden", sagt er. In den vergangenen 15 Jahren brachte er mit Kollegen die Geschichte der chinesischen Literatur in zehn Bänden heraus. "Darunter befindet sich nur ein einziger Band über das 20. Jahrhundert", stellt Kubin fest. Dieses Werk ist sehr anerkannt, wurde sogar ins Chinesische übersetzt und steht dort auf der Bestsellerliste der Sachbücher. Kritik daran aus China ficht den Bonner Sinologen nicht an.

"Allerdings hat der Verlag in der chinesischen Ausgabe etwa 20 Prozent meiner Theorie zensiert", ärgert sich Kubin. "Das habe ich erst vor einem Jahr zufällig festgestellt." Er habe in den zensierten Abschnitten versucht, eine Geschichte des chinesischen Geistes im 20. Jahrhundert zu zeichnen, und setzt sich sehr kritisch mit dem Maoismus auseinander. "Mein Protest nutzte nichts - das Buch verkauft sich sehr gut", sagt der Bonner Professor. "Das Werk ist entschärft, aber es ist immer noch viel Munition darin."

Sehr anregend findet Kubin an der Universität Bonn die Anglisten, Romanisten, Germanisten und Philosophen. "Ich bin nicht nur auf die Sinologie konzentriert, sondern pflege auch nach wie vor meine philosophischen und germanistischen Interessen - und schreibe auch darüber", berichtet er. "Dadurch kommt auch das Mehr an Arbeit zustande." Besser laufen hätte können, genug Zeit für das Training zu haben, um einen vollen Marathon zu laufen, meint er. Aber dafür sei er immer zu eingespannt gewesen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort