Crashtest für die Relativitätstheorie

Michael Kramer, neuer Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie, erprobt Einsteins Lehre im Weltall

Crashtest für die Relativitätstheorie
Foto: Franz Fischer

Bonn. Professor Michael Kramer fahndet nach Extremem: "Im Universum sieht man sehr energiereiche Objekte, die einen an den Rand dessen bringen, was noch beobachtbar und erklärbar ist", sagt der neue Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn. "Ich habe Spaß daran, Grenzlinien zu überspringen." Sein Gebiet ist die Radioastronomische Fundamentalphysik.

Dahinter verbergen sich eine Art Crashtests für Einsteins Relativitätstheorie. Kramer probiert aus, ob die Gleichungen auch unter den radikalen Bedingungen des Alls noch gelten. Mit dem Parkes-Teleskop in Australien entdeckten der Astrophysiker und seine Kollegen vor sechs Jahren zwei Pulsare, die sich extrem schnell um eine gemeinsame Achse drehen. In nur 145 Minuten kreist das Paar umeinander.

Bei Pulsaren handelt es sich um schnell rotierende Neutronensterne. Wie ein Leuchtturm senden sie im Radiowellenbereich regelmäßig wiederkehrende Signale aus. Teleskope auf der Erde fangen diese Radiostrahlen auf. "Sie takten so regelmäßig wie eine sehr präzise Uhr", sagt Kramer. Die Pulsare sind nur etwa 20 Kilometer groß und 3 000 Lichtjahre von der Erde entfernt. "Sie vereinigen aber deutlich mehr Masse in sich als unsere Sonne", erläutert der Forscher.

Die Folge: Diese extrem dichten Klumpen sind wie bei einem sehr schnell kreisenden Karussell riesigen Zentrifugalkräften ausgesetzt. "Sie müssen im Innern über eine sehr große Gravitation verfügen, die sie darin hindert auseinander zu fliegen." Insgesamt sind die beiden Pulsare also ein ideales Testfeld, um die Gravitations-Theorien Einsteins an der Grenze des Möglichen zu prüfen. Laut Einstein vergeht die Zeit in Schwerefeldern langsamer.

Platziert man eine Uhr auf der Erde und eine in einem hoch fliegenden Flugzeug, ist der Zeitmesser auf der Erde langsamer. Wenn die beiden Pulsare bei ihrer kreisförmigen Tanzpartie im Weltraum sich an einem Punkt besonders nahe kommen, ist auch ihre Anziehungskraft (Gravitation) besonders groß. "Die Ankunftszeit der Radiosignale auf der Erde, die von den Pulsaren abgestrahlt werden, ist dann tatsächlich um 380 Millionstel Sekunden später", berichtet der Direktor.

Auch die von Einstein vorhergesagte Krümmung der Raumzeit durch Masse lässt sich daran beobachten: Die Radiosignale, die der eine Pulsar aussendet, werden von der Schwerkraft des anderen in einem Bogen abgelenkt. Bereits 1974 gelang an Pulsaren der indirekte Nachweis der Gravitationswellen, die von der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt werden. Sie entstehen, sobald sich ein Himmelskörper dreht. "Auch bei den Doppelpulsaren konnten wir die Effekte der Gravitationswellen beobachten", sagt Kramer.

"Weil ihnen durch diese Wellen Energie verloren geht, schrumpft die Bahn der Pulsare ein ganz kleines bisschen und und diese umkreisen sich deshalb minimal schneller." Mit ihren Teleskopen können die Radioastronomen trotz der großen Entfernung sehr präzise Messungen durchführen. "Wir können sogar feststellen, dass sich die beiden Pulsare Tag für Tag um etwa sieben Millimeter näherkommen", berichtet der Direktor.

"In etwa 85 Millionen Jahren werden sie kollidieren und nach einer riesigen Explosion Gammastrahlen aussenden." Dann werde wahrscheinlich ein Schwarzes Loch übrigbleiben. "Die Relativitätstheorie funktioniert in unserem Sonnensystem sehr gut", so Kramer. "Wir wollen jedoch testen, ob sie bei viel stärkeren Gravitationsfeldern im All zusammenbricht." Daraus könnten dann neue Erkenntnisse erwachsen, die bisher widersprüchliche Theorien zusammenbringen.

"Für die kosmologische Konstante, mit der Einstein die Gravitation als Krümmung der Raumzeit beschrieb, kommen Teilchenphysiker und Astronomen zu ganz verschiedenen Werten." Der Crashtest für die Relativitätstheorie im All wird vielleicht zeigen, an welchen Rädchen die Modelle neu justiert oder wie sie zusammengeführt werden können. Kramer ist auch für das 100 Meter große Radioteleskop des MPIfR in Effelsberg zuständig, mit dem viele Messungen durchgeführt werden.

"Die Arbeitsbedingungen am MPIfR sind hervorragend", begründet Kramer seinen Wechsel von Manchester nach Bonn. Die Region ist ihm vertraut: In Köln wurde er geboren, in Bonn hat er einen Teil seiner Ausbildung absolviert. Ihn reizt auch, eine ganz neue internationale Forschergruppe aufzubauen, die etwa 20 Mitarbeiter umfassen soll. Kramer ist außerdem an der Konzeption eines neuartigen Teleskops beteiligt: des Square Kilometre Array (SKA). Eine Kombination von etwa 20 000 Teleskopen soll in bislang unerreichter Genauigkeit Radiowellen aus dem Weltraum empfangen.

Die Teleskope werden an menschenleeren Orten der Erde errichtet, abgelegen von störenden Funkwellen der Zivilisation. "Es handelt sich dabei um das größte und empfindlichste Teleskop, das je gebaut wurde", sagt der neue Direktor. Voraussichtlich im Jahr 2012 soll mit dem Bau begonnen werden. "Wir können dann mit dem Teleskop jeden Pulsar in der Milchstraße, der in unsere Richtung zeigt, aufspüren", berichtet der Astrophysiker. Damit wird sich auch das Testfeld für die Relativitätstheorie deutlich vergrößern. "Wir leben in einer aufregenden Zeit, da viele neue Ergebnisse zu erwarten sind."

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