Das ABC der Menschheit in Wort und Bild

Flugblätter und Fotos dokumentieren im Wissenschaftszentrum "Macht der Sprache" - Besucher des Motorschiffs "Wissenschaft" können am Rheinufer testen, wie zeitgemäß ihr Deutsch eigentlich ist

  Sprache ist mehr als Worte:  Dieses Foto ist auch im Wissenschaftszentrum zu sehen. Foto: Kovacevic

Sprache ist mehr als Worte: Dieses Foto ist auch im Wissenschaftszentrum zu sehen. Foto: Kovacevic

Bonn. Damen unter den Rock zu gucken, ist unverschämt. Zumal es sich um eine Adlige aus dem 17. Jahrhundert handelt. Und der indiskrete Blick in ihrem Fall wahrlich nichts Gutes verheißt: Verbirgt sich unter dem wallenden Stoff doch ein menschliches Gerippe. Ein typisches Motiv für die Zeit des Barock mit dem Nebeneinander von Erhabenheit und Würde auf der einen und dem Hinweis auf die Sterblichkeit des Menschen auf der anderen Seite.

Und während sich das Gesicht eines Edelmannes beim Umdrehen in einen Totenschädel verwandelt, frönen andernorts zwei Ehebrecher im Weinfass hemmungslos ihrer Lust. Um sie in flagranti zu erwischen, mussten ihre Zeitgenossen um 1610 nur ein Stück des Flugblattes verstohlen beiseite klappen.

Die Besucher der Wanderausstellung "Aufgedeckt und rumgedreht - Bewegte Geschichten auf fliegenden Blättern" des Hermann von Helmholtz-Zentrums für Kulturtechnik der Humboldt-Universität zu Berlin, die vom 16. August bis zum 21. September im Wissenschaftszentrum Bonn zu sehen ist, brauchen sich ihrer Neugier nicht mehr zu schämen.

Schließlich geht es um Flugblätter: die "Magazine" der frühen Neuzeit, kurz nach Erfindung der "Schwarzen Kunst" durch Johannes Gutenberg. Ein loses Blatt - sensationsheischend oder hintergründig, kritisch, erotisch oder oft genug auch satirisch, verbunden mit der Aufforderung, den Dingen auf den Grund zu gehen und sich nicht vom schönen Schein täuschen zu lassen.

Nachdenken über den ersten Blick hinaus: Dazu laden auch die drei Fotografien ein, die jetzt beim Wettbewerb des Goethe-Instituts "Die Macht der Sprache im Bild" ausgezeichnet wurden. Eine zeitgemäße Ausdrucksform, die dabei gleichzeitig auf eindrucksvolle Weise auch zeitlos ist. Wie die Telefonzelle im Dschungel, aufgenommen von Constanza Hevia, 21 Jahre aus Santiago.

Platz zwei ging an den 24-jährigen Briten Timothy Leek, der mit "Rebecca + Kyriakos" auf verstörende Art und Weise die Sprachlosigkeit eines jungen Paares dokumentiert. Sieger des Wettbewerbs wurde Alaoui Moulay Youssef, ein 26-jähriger Grundschullehrer aus Marokko, dessen "somewhere ... boys" mit blanken Füßen auf felsigem Boden spielen. "Teamgeist" hätte er es ebenso nennen können, denn die eingeschworene Umarmung der drei Jungs erinnert spontan an die Fußball-WM 2006 und ruft ohne ein Wort die dazu passenden Gefühle wach.

Insgesamt 3 247 Fotos haben Profis und Amateure aus 46 Ländern bei dem Internationalen Wettbewerb des Goethe-Instituts eingeschickt. Neben den drei prämierten Arbeiten wählte die Jury weitere 60 Bilder für eine Ausstellung aus.

Das Wissenschaftszentrum zeigt sie vom 17. August bis zum 17. September, parallel zu den Flugblättern und abgestimmt auf den Terminplan der "MS Wissenschaft", die am Samstag und Sonntag, 18. und 19. August, an der Bonner Rheinpromande (KD-Anleger am Brassertufer) vor Anker liegt und sich zum Wissenschaftsjahr 2007 "ABC der Menschheit" dem Thema "Sprache und Kommunikation" verschrieben hat. "Sprache ist mehr als Worte" heißt jeweils von 10 bis 19 Uhr das Motto an Bord.

Die Exponate der gleichnamigen Ausstellung stammen von der Fraunhofer-Gesellschaft, der Leibniz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und erstmals auch von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Außerdem haben sich Universitäten aus Aachen, Berlin, Dresden und Hamburg an dem Programm beteiligt. Dabei erwartet die Besucher neben einer Zeitreise durch die Geschichte des gesprochenen und manchmal auch unausgesprochenen Wortes vom 9. Jahrhundert über die Zeit Martin Luthers bis zur Gegenwart auch ein ungewöhnlicher Selbstversuch.

"Wie modern ist Ihr Deutsch?" lautet die Frage. Anhand verschiedener Sätze kann jeder beurteilen, für wie zeitgemäß er diese hält und bekommt am Ende des Tests eine Rückmeldung, zu welcher Sprach-Gruppe er selbst zählt: konservativ, eher progressiv oder sehr progressiv? Selten verwendete Wörter - ob alt oder neu - sind willkommen. Die schönsten "Mitbringsel" werden regelmäßig gekürt.

Dass Sprache mehr ist als Worte, zeigt Professorin Helen Leuninger vom Institut für Kognitive Linguistik der Universität Frankfurt am 12. September mit ihrem Vortrag "Sprechen, wie einem die Hände gewachsen sind" im Wissenschaftszentrum. Seit mehr als zehn Jahren kämpft die Sprachwissenschaftlerin für die Anerkennung der Gebärdensprache als eigene Sprache. So haben Gehörlose in Hessen seit 1998 das Recht auf einen Dolmetscher, der ihnen beispielsweise bei der Ausbildung zur Seite steht.

Für Leuninger ist ihr Engagement für die Gebärdensprache nicht nur ein wissenschaftliches, sondern auch ein politisches Anliegen. Die Verständigung zwischen Hörenden und Gehörlosen zu fördern und zugleich die Ursachen von Fehlleistungen der Sprache im menschlichen Gehirn zu erforschen - das hat sich die 62-Jährige zum Ziel gesetzt. Gemeinsam mit der gehörlosen Kollegin Daniela Happ wird Helen Leuninger ihren Zuhörern in Bonn zeigen, dass sich der Nachteil der im Vergleich zum Mund langsameren Hände durch den Einsatz der Augen und des ganzen Körpers relativieren lässt und wie in diesem Falle neben gedruckten Worten und Bildern auch Blicke sprechen lernen.

Wissenschaftszentrum Bonn, Ahrstraße 45, Öffnungszeiten: montags bis freitags 8 bis 19 Uhr.

Weitere Informationen zu den einzelnen Ausstellungen unter www.wzbonn.de und www.ms-wissenschaft.de. Vortrag zur Gebärdensprache am Mittwoch, 12. September, 19 Uhr

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