Glücksatlas und Happiness Report Das Glück wohnt im Norden

Bonn · Ausgerechnet die als melancholisch geltenden Skandinavier landen im Weltglücksreport auf den vordersten Rängen. Was ist ihr Geheimnis?

 Lebensfrohe Dänen: Das Leben im Norden, hier Kopenhagen, macht wohl besonders glücklich.

Lebensfrohe Dänen: Das Leben im Norden, hier Kopenhagen, macht wohl besonders glücklich.

Foto: dpa-tmn/Francoise Hauser

Wer das Glück sucht, wird im Norden fündig. Im Weltglücksreport der Vereinten Nationen belegen skandinavische Länder regelmäßig die vorderen Plätze. Im Bericht für 2022 hält Finnland den Spitzenplatz vor Dänemark und Island. Schweden und Norwegen landen auf den Plätzen sieben und acht von insgesamt 146 Staaten, in denen die Menschen nach ihren Lebensumständen und nach ihrem subjektiven Lebensgefühl befragt wurden.

Deutschland findet sich übrigens auf Rang 14 wieder, hinter den Nachbarn Schweiz (4), Niederlande (5), Luxemburg (6) und Österreich (11), aber vor den USA (16), Großbritannien (17) und Frankreich (20). Aber auch auf nationaler Ebene sind die Menschen im Norden am glücklichsten mit ihrem Leben. „Schleswig-Holstein scheint das Glück gepachtet zu haben“, stellt der Glücksatlas 2022 fest. „Die Norddeutschen bleiben mit ihren Familien, der Arbeit und der finanziellen Situation zufriedener als das übrige Deutschland.“ Selbst bezogen auf NRW kommt der Glücksatlas zur überraschenden Erkenntnis: Nicht im lebenslustigen Rheinland, sondern im Münsterland und in Westfalen haben die Menschen eher ein Lächeln im Gesicht.

Zum eigenen Glück gehören auch Dunkelheit und Trauer

Stellt sich die Frage: Warum sind die Nordlichter so verdammt glücklich, in Deutschland, Europa, weltweit? Gelten die Skandinavier, die in ihren kalten und regnerischen Ländern über Monate kaum die Sonne sehen, nicht als wortkarg, grüblerisch und melancholisch? Und auch Schleswig-Holsteiner, Westfalen und Münsterländer stehen nicht eben im Ruf, die gutgelauntesten Deutschen zu sein.

Soviel scheint festzustehen: Die tägliche durchschnittliche Sonnenscheindauer ist kein entscheidender Faktor für das allgemeine Glücksempfinden von Menschen. „Man muss erkennen, dass es Dunkelheit, Trauer und Traurigkeit gibt, wenn man das eigene Glück erkennen und schätzen will“, erklärt die amerikanische Bestsellerautorin Siri Hustvedt in einer Doku des Senders Arte, die dem nordischen Glücksphänomen auf den Grund geht. Hustvedt sollte es wissen, sie lebte jahrelang in Norwegen.

Was einer Mehrheit der Menschen weltweit tatsächlich wichtig ist: Ausgeglichenheit, Friede, Ruhe. Das zumindest ist die Erkenntnis der Autoren des Weltglücksreports. Die meisten Menschen bevorzugten ein ruhigeres Leben im Unterschied zu einem „aufregenden Leben“. In die Wertung des Berichts fließen statistische Daten ein wie das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen eines Landes oder die Lebens­erwartung bei der Geburt. Vor allem aber greift er auf Umfrageergebnisse des Gallup World Poll zurück, in denen die Teilnehmer bewerten, wie frei sie ihre Lebensentscheidungen treffen können, wie sie Korruption in ihrem Land wahrnehmen oder wie es mit der sozialen Absicherung steht. Außerdem fragten die Interviewer nach persönlicher Lebenszufriedenheit, Ausgeglichenheit und sozialer Einbindung.

„Das Interesse an Glück und subjektivem Wohlbefinden ist deutlich größer geworden“, stellt der UN-Bericht fest. Immer mehr Wissenschaftler nähmen sich des Themas an, die Regierungen von immer mehr Ländern würden sich das Glück ihrer Bürger auf die Fahnen schreiben.

„Wir Skandinavier haben ein grundlegend höheres Grundvertrauen als Menschen in anderen Ländern“

Beschäftigt man sich mit den Faktoren, die die glücklichen Skandinavier dem Rest der Welt voraushaben, tauchen bestimmte Vokabeln immer wieder auf: Gemeinschaftssinn, enge soziale Bande, gesellschaftliche Offenheit, Einheit, Solidarität, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit. „Die Länder an der Spitze des Weltglücksberichts sind alle wohlhabende Demokratien mit funktionierenden Institutionen, in denen eine Vertrauenskultur aufgebaut werden konnte“, stellt Christian Björnskov fest, Glücksforscher an der Universität im dänischen Aarhus. „Die Forschung der vergangenen 20 Jahre zeigt, dass es auf Vertrauen, gesellschaftliche Gleichheit, auf »Hygge« und Gemeinschaftsgefühl ankommt. Diese vier Komponenten machen die Skandinavier glücklicher als andere Menschen“, sagt Björnskov in der Dokumentation „Building Happiness – Bausteine zum Glück“.

Wobei das Wort „Hygge“ ein schwer übersetzbares und spezifisch dänisches Lebensgefühl ausdrückt, in dem Gemütlichkeit, Behaglichkeit und Geborgenheit eine große Rolle spielen. Wobei Glücksforscher Björnskov noch einen weiteren Aspekt für bedeutend hält: Nicht nur das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen sei wichtig, sondern auch die Beziehungen der Menschen untereinander. „Die Art wie wir miteinander umgehen, ist von Vertrauen geprägt. Das unterscheidet uns vom Rest der Welt“, meint Björnskov. „Wir Skandinavier haben ein grundlegend höheres Grundvertrauen als Menschen in anderen Ländern.“

Erstaunlich eigentlich, dass so wenige Staaten sich das Glück und die Zufriedenheit ihrer Bürger als Ziele in ihre Verfassungen geschrieben haben. Der klassische französische Dreiklang „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ zum Beispiel beinhaltet politisch-gesellschaftliche Ziele. In Deutschland klingt das mit Einigkeit und Recht und Freiheit ganz ähnlich. Im Gegensatz dazu schrieben die Väter der amerikanischen Verfassung ihren Bürgern das „Streben nach Glück“ als individuelles Grundrecht fest.

Noch weiter geht allerdings Bhutan. Die Regierung des Mini-Königreichs im Himalaya (800.000 Einwohner) erhebt nicht nur die Wirtschaftsleistung des Landes, das Bruttosozialprodukt. In Bhutan wird auch das Bruttonationalglück bewertet, um den Wohlstand der Bürger zu messen. Gutes Regieren, nachhaltige soziale und wirtschaftliche Entwicklung, Kulturförderung und Klimaschutz – all das fließt in die Wertung ein.

Damit habe das Königreich eine „Vorreiterrolle“, lobte Bundeskanzler Olaf Scholz jüngst beim Berlin-Besuch von Bhutans Ministerpräsident Lotay Tshering. Das Königreich gab übrigens auch den Anstoß für die Herausgabe des UN-Weltglücksberichts.

Und was ist mit Deutschland? In der Selbstwahrnehmung sind wir eigentlich stets unzufrieden und gerne bereit zu nörgeln. In Umfragen zeigt sich jedoch auch immer, dass viele Menschen ihre persönliche Situation viel besser bewerten als die allgemeine Lage. Die Daten im Glücksatlas weisen jedenfalls aus, dass die Lebenszufriedenheit der Deutschen in den vergangenen fast 20 Jahren grundsätzlich zugenommen hat – mit Ausschlägen nach unten etwa durch die Finanzkrise 2009 oder die Flüchtlingskrise 2015. Dann kam Corona.

Die Pandemie und die mit ihr verbundenen Einschränkungen ließen die Werte auf ein 17-Jahres-Tief abstürzen. Im vergangenen Jahr hellte sich die Stimmung im Land zwar wieder auf, aber „neue Krisen wie die Inflation bremsen die Erholung bereits spürbar“. Ein bisschen „Hygge“ würde uns wahrscheinlich auch ganz guttun.

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