Der Mini-Computer als "Schlaf-Tagebuch"

Jeder vierte Mensch klagt über seelisch bedingte Schlafstörungen - Bonner Wissenschaftler starten Forschungsprojekt zur "Primären Insomnie"

Bonn. Napoleon Bonaparte und John Fitzgerald Kennedy kamen mit drei Stunden pro Nacht gut aus. Wer aber kein Weltreich zu führen hat, kann unter mangelndem Schlaf sehr leiden: 24 Prozent aller Menschen weltweit klagen irgendwann im Laufe ihres Lebens über "Primäre Insomnie", seelisch bedingte Schlafstörungen über einen längeren Zeitraum. Psychologen der Universität Bonn wollen diesen Menschen jetzt helfen - bei einem großangelegten Forschungsprojekt, das in diesen Tagen startet.

Federführend ist Professor Berndt Oskar Scholz, Direktor des Psychologischen Instituts der Uni Bonn. Wer sich ihm anvertraut, darf zunächst Abschied von etlichen falschen Volksweisheiten nehmen - etwa, dass Angst um seine Gesundheit haben müsse, wer schlecht schläft. "Körper und Gehirn holen sich Schlaf, wenn sie ihn wirklich brauchen", so Scholz. Ein weiterer Fehler, den viele machen: Sie gehen möglichst früh ins Bett, um mehr Schlaf zu bekommen - und übersehen dabei, dass der Schlafbedarf des Menschen im Alter immer geringer wird.

Mit speziellen "Schlafregeln" wollen Scholz und sein Team ihre Patienten von solchem schlafschädlichen Verhalten abbringen. "Das Bett ist zum Schlafen da", sagt eine - nicht zum Lesen, Fernsehen oder gar Aktenstudium. Auch "Schlafbeschleuniger" wie Alkohol oder Tabletten sind tabu: Der Schlaf kommt zwar, gleicht aber dumpfer Bewusstlosigkeit ohne Erholungswirkung.

Kontraproduktiv ist auch, sich schlaflos hin- und herzuwälzen: Wer nicht einschlafen kann oder wach wird, sollte im Wohnzimmer lesen oder leise Musik hören, bis er müde wird.

Das System hinter allen Regeln: Die Seele muss Decken, Kissen und Matratze mit Ruhe und Entspannung verbinden. Hat der Körper sich erst an die Erfahrung "Bett gleich Unruhe" gewöhnt, kriecht die Nervosität automatisch mit in die Federn - eine Ursache dafür, dass viele Menschen im fremden Urlaubsbett besser schlafen als zu Hause.

In Einzelgesprächen wollen die Psychologen zudem aufdecken, ob die Probleme, die viele Menschen nachts nicht schlafen lassen - Geldmangel, Angst vor Arbeitslosigkeit oder vor Krieg - nicht an tieferen Ursachen liegen: etwa daran, dass der Patient glaubt, ohne Reichtümer für seine Mitmenschen unattraktiv zu sein.

"Kognitiv-behavioural" heißt diese Methode in der Sprache der Psychologen: Die Patienten sollen ihr für sich selbst schädliches Verhalten erkennen und ändern. Damit allein ist es aber nicht getan: Zweites Standbein des Bonner Schlafprojekts ist die "Hypno-Therapie". Dazu bekommt jeder Teilnehmer einen Satz CDs mit speziell für das Projekt komponierter, sanfter Musik oder von Scholz entwickelten Texten mit nach Hause.

Die Musik hilft ihm, sich zu entspannen und einzuschlafen - die Texte, sich unterbewusst ihren Problemen zu stellen und vielleicht zu bewältigen.

Wissenschaftlich überwacht wird das Projekt von Scholz'' Mitarbeitern Ralf Dohrenbusch und Frank Kaspers. Drei Psychologen des Instituts hilft es zudem beim Erwerb des Doktorgrades: Ralph Tempel betreut die klinisch-therapeutischen Aspekte, Raimund Köhne analysiert das anfallende Datenmaterial, Harald Mohr kontrolliert die körperlichen Reaktionen der Patienten.

Auch die Patienten selbst machen mit: Sie bekommen Mini-Computer als "Schlaf-Tagebücher". In denen sollen sie abends unter anderem notieren, wann sie ins Bett gehen. Am Morgen will das Gerät dann wissen, wie lange sie geschlafen zu haben glauben und wann ungefähr sie zwischendurch wach gelegen haben. Die Schlafforschung kennt Methoden, aus solchen Angaben die tatsächliche Schlafzeit des Patienten zu errechnen - und die ist meist viel größer, als der Patient meint.

Ob die Schlaf suchenden Menschen mit solchen Methoden tatsächlich langsam in Morpheus'' Arme zurückgeführt werden können, ist für Scholz'' Team keine Frage: "Wir wissen, dass es funktioniert."

Wissenschaftliches Neuland betreten die Psychologen aber mit den CDs für Zuhause und mit der Zahl der Patienten: Die Studie ist für "mindestens 60" ausgelegt.

Die wichtigste Neuerung sei, dass es keinen ärztlichen Zwang und keinen festen Zeitplan gibt. Jeder Teilnehmer kann seine CDs auflegen, wann er will, und dank der Computerprotokolle seiner Schlaf- und Wachzeiten den Fortschritt der Therapie selbst überwachen. Der Mensch werde damit vom Patienten (Latein für "Leidender") zum "Aktienten" (Handelnden). "Er darf nicht nur mitspielen, er muss", sagt Scholz. "Sonst kann er ja weiter seine Tabletten nehmen."

Weitere Informationen unter Telefon (02 28) 73 40 79 oder Fax (02 28) 73 40 67.

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