Die meisten waren "Mitläufer"

Die Medizinische Fakultät in Bonn während des Dritten Reiches

Bonn. "Nestbeschmutzung" - vor ein paar Jahren wäre eine Untersuchung, die das Verhalten der eigenen Universität während des Nationalsozialismus darstellt, vielleicht noch in diese Ecke gestellt worden.

Heute sieht man das anders: Professor Matthias Winiger, Rektor der Universität Bonn, würdigt das Buch des Historikers Ralf Forsbach "Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im 'Dritten Reich'" als notwendiges Forschungsprojekt und verpflichtende Auseinandersetzung mit einer zu lange verdrängten Wahrheit.

Forsbach arbeitet seit 1999 am Medizinhistorischen Institut der Universität Bonn. In seinem Buch hat er erstmals die Entwicklung einer Medizinischen Fakultät monographisch aufgezeichnet. Herausgekommen ist eine detaillierte und akribische Darstellung.

Die Liste der Verbrechen ist lang, die sich zwischen 1933 bis 1945 auch an der Medizinischen Fakultät zutrugen. In der Psychiatrie wurden Patienten zwangsweise mit Elektroschocks behandelt. In der Chirurgischen Klinik und der Frauenklinik sterilisierten die Ärzte psychisch Kranke, Homosexuelle und sogenannte Fremdarbeiter gegen ihren Willen. Zwangsarbeiterinnen mussten abtreiben.

Im Anatomischen Institut arbeitete man wie selbstverständlich mit den Leichen von hingerichteten politischen Gefangenen. Für Juden war es Glückssache, ob sie medizinisch behandelt wurden oder nicht: Sie mussten auf die Menschlichkeit der Ärzte und des Pflegepersonals hoffen. Gelegentlich wurden sie übel beschimpft.

Widerstand gegen den Rassenwahn der Nazis und ihr menschenverachtendes "Gesundheitssystem" gab es kaum. Wenn, dann regte er sich nicht gegen das alltägliche Unrecht, sondern gegen Störungen im Betriebsablauf, etwa bei Finanz- oder Personalfragen. Dann hätten einige Mediziner immerhin den Mut gefunden, umfassende Protestschreiben zu verfassen und Gegenkonzepte zu entwerfen.

Natürlich lassen sich nicht alle Fakultätsmitglieder über einen Kamm scheren. Es gab "mutige Nichtangepasste" wie Erich von Redwitz, damals Chef der Chirurgischen Klinik. Doch auch er habe Zwangssterilisierungen zugelassen. Mit Paul Martini (damals Klinikdirektor der Inneren Medizin) gab es sogar einen Repräsentanten der katholischen Opposition.

Dennoch liefern zahlreiche Mosaiksteinchen den Beleg für Forsbachs Schlussfolgerung, dass die Medizinische Fakultät der Universität Bonn während des "Dritten Reiches" kein Hort des Widerstandes war. Im Gegenteil: "In ihrer übergroßen Mehrheit arbeiteten die Bonner Mediziner Hitler nicht entgegen, sondern waren 'Durchführer' dessen, was in Berlin angeordnet wurde."

Bereits 1933 war jeder dritte Fakultätsangehörige Mitglied der NSDAP. Bis 1945 wuchs der Anteil auf knapp 70 Prozent. Bei den Studenten sah das etwas anders aus: "Bei den freien Wahlen zur 'Allgemeinen Studenten-Arbeitsgemeinschaft' (Astag) konnten die Nationalsozialisten nie wesentlich mehr als ein Viertel der Stimmen auf sich vereinen", sagt Forsbach. "Anderenorts erzielten sie oft doppelt so hohe Ergebnisse."

Dennoch habe sich nach 1933 die Mehrzahl der Studenten den neuen Verhältnissen angepasst, auch wenn einige von ihnen in Oppositions- und Widerstandsgruppen aktiv gewesen seien.

Anpassung war wohl das vorherrschende Motiv bei den Bonner Medizinern. "Es wäre möglich gewesen, sich zu weigern", sagt Forsbach etwa im Hinblick auf die Assistenzärzte. Man hätte dann zwar seine wissenschaftliche Karriere gefährdet, aber als niedergelassener Arzt durchaus seinem Beruf nachgehen können. "Wir verstehen nicht, warum das passieren konnte", sagt Professor Eduard Seidler, früher Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin der Uni Freiburg, über seine Standeskollegen.

Warum sich eine geistige Elite widerstandslos gleichschalten ließ, ein neues Gesellschaftssystem quasi über Nacht verinnerlichte und konsequent umsetzte. Die Auseinandersetzung mit diesem "monströsen und sperrigen Thema", wie Winiger es nennt, hat gerade erst angefangen.

Ralf Forsbach: Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im "Dritten Reich". Oldenbourg-Verlag, 767 Seiten, 49,80 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort