Friedensforschung Eine Edition zum Westfälischen Frieden ist Kern der Wissenschaft

BONN · Die Friedensverhandlungen nach einem Krieg, der in einem bis dahin unbekannten Ausmaß Tod und Zerstörung über Mitteleuropa, speziell über das Heilige Römische Reich deutscher Nation gebracht hatte, waren zäh und langwierig.

Quellenstudium: Maria-Elisabeth Brunnert und Maximilian Lanzinner mit einem Band der "Acta Pacis Westphalicae".

Quellenstudium: Maria-Elisabeth Brunnert und Maximilian Lanzinner mit einem Band der "Acta Pacis Westphalicae".

Foto: Vogel

Wie schwierig im Einzelnen und wie erfolgreich jede Seite ihre Position behaupten konnte, "darüber kann die Forschung erst jetzt wissenschaftlich gültig arbeiten", erklärt Maximilian Lanzinner, Professor am Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn und Experte für die Frühe Neuzeit.

Möglich gemacht hat dies ein fundamentales Editionswerk, an dem Historiker der Bonner Uni um Professor Konrad Repgen von 1957 an tätig waren: Seit 2011 steht der letzte von 48 Bänden der "Acta Pacis Westphalicae" im Regal des Historischen Seminars an der Konviktstraße. Insgesamt 32.000 Seiten, auf denen Korrespondenzen und Protokolle aus europäischen Archiven gesammelt, transkribiert und kommentiert wurden, ergänzt Maria-Elisabeth Brunnert, Geschäftsführerin der Arbeitsstelle der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte.

Die Arbeiten zu den Acta Pacis Westphalicae sind in vielfacher Hinsicht eine Pionierleistung, die in die Zukunft weist. Da man am Historischen Seminar derweil über einen großen Fundus an "Material, Können und Wissen" in Sachen Friedensforschung verfügt, soll dieses "verstetigt" werden: In dem neuen Zentrum für Historische Friedensforschung (ZHF), das am 26. Juni aus Mitteln des Landes und der Universität Bonn seine Pforten öffnen wird. "Es führt die einzigartige historische Forschung zum Westfälischen Frieden auf breiterer Basis bis zum 18. Jahrhundert fort", so Lanzinner.

"Die Gesandten von rund 150 größeren und kleineren deutschen und europäischen Mächten, die in den 30-jährigen Krieg involviert waren, wollten einbezogen werden", berichtet Lanzinner. Von daher stellten die berühmten Friedensverhandlungen von Münster und Osnabrück die Chefvermittler der Kurie und Venedigs im 17. Jahrhundert vor völlig neue Herausforderungen.

Am Tag nach der Eroberung der einst blühenden 20 000-Einwohner-Stadt Magdeburg im Mai 1631 durch kaiserliche Truppen schrieb deren General Pappenheim: "Ich halt, es seyen über zwaintzig Tausent Seelen darüber gegangen. Es ist gewiß, seyd der Zerstörung Jerusalem, kein grewlicher Werck und Straff Gottes gesehen worden. All unser Soldaten seind reich geworden. Gott mit uns."

Das Bild dieser Gräuel sollte sich als Trauma ins kollektive Gedächtnis der Zeit einbrennen und als Fanal für die Schrecken dienen, die der 30-jährige Krieg auf deutschem Boden angerichtet hatte. Als deutsche "Urkatastrophe" bezeichnet Professor Lanzinner die zahllosen Schlachten und Feldzüge, die mindestens einem Drittel der rund 15 Millionen Bewohner des Reiches den Tod gebracht hatten. Von daher hatten viele Konfliktparteien großes Interesse an einem Frieden.

Freilich nicht um jeden Preis. Protokollarische Fragen und teils unverändert unnachgiebige Machtinteressen der Hauptprotagonisten Schweden, Frankreich und des Kaisers Ferdinand III. spielten bei den Verhandlungen eine große Rolle, so Maximilian Lanzinner. Vor allem letztgenannter Monarch war ungeachtet ganzer Landstriche, die wie Franken und Schwaben verheert waren, "immer noch ungeheuer standhaft", so der Historiker.

Das wissen die Wissenschaftler insbesondere aus der Korrespondenz des Kaisers mit seinem Gesandten Maximilian von Trauttmansdorff. "Die verloren geglaubten Dokumente waren nämlich im Zuge der Arbeiten an den Acta Pacis Westphalicae wiederentdeckt worden", berichtet Maria-Elisabeth Brunnert. Ferdinand III. gelang es, seine Position im Großen und Ganzen bei den Friedensverhandlungen durchzusetzen.

Das passt für Lanzinner ins Bild einer völligen neuen Betrachtungsweise des Westfälischen Friedens: Anders als führende Historiker lange argumentiert hatten, bewirkte der Frieden eben keine lang anhaltende Schwächung des Reiches, betont der Bonner Professor. Eher im Gegenteil: "Der erste große Friedenskongress der Neuzeit hat ein nachhaltiges europäisches Mächtesystem geschaffen, das bis in das 20. Jahrhundert hinein Bestand hatte." Zudem diente der Frieden als Verfassungsgrundlage für das Zusammenleben des Kaisers mit den Konfessionen und Reichsständen und war, wenn man so will, "eine Art Vorläufer der EU".

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