Universität Bonn Forscher entdecken bizarre Fliegenlarve

BONN · "Qiyia" bedeutet auf Chinesisch "bizarr", "jurassica" bezeichnet den Ablagerungszeitraum: Vor rund 165 Millionen Jahren tummelte sich die Fliegenlarve in Süßwasserseen der heutigen Inneren Mongolei.

 Die künstlerische Darstellung zeigt, wie sich die Fliegenlarven auf der Haut eines Lurchs festsaugen.

Die künstlerische Darstellung zeigt, wie sich die Fliegenlarven auf der Haut eines Lurchs festsaugen.

Foto: YANG DINGHUA, NANJING

Wie hat es der Humorist Vicco von Bülow doch seinerzeit auf den Punkt gebracht: "Natur ist überall schön." Dem kann man sich anschließen, muss es beim Blick auf "Qiyia jurassica" aber nicht. Tatsache ist: Mit seinem zum Saugnapf geformten Brustkorb und dem rüsselähnlichen Kopf, der an den menschlichen Blinddarm erinnert, war dieser Parasit für seine Aufgabe und seinen Lebensraum bestens ausgestattet. Weil die Natur schließlich (so gut wie) nichts dem Zufall überlässt.

"Qiyia" bedeutet auf Chinesisch "bizarr", "jurassica" bezeichnet den Ablagerungszeitraum: Vor rund 165 Millionen Jahren tummelte sich die Fliegenlarve in Süßwasserseen der heutigen Inneren Mongolei. Bislang ist kein Insekt bekannt, das über einen vergleichbaren, spezialisierten Bauplan verfügt. "So etwas kann man sich nicht ausdenken. Und es hat eine Weile gedauert, bis uns klar wurde, dass es sich bei dem Saugnapf gar nicht um den Kopf, sondern um die Brust handelt" erklärt Professor Jes Rust vom Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie der Universität Bonn. Das internationale Team aus Wissenschaftlern der Universität Bonn, der Linyi University (China), des Nanjing Instituts für Geologie und Paläontologie (China), der Universität Kansas (USA) und des Naturhistorischen Museums London (Großbritannien) stellte seine Ergebnisse kürzlich im Fachjournal "eLIFE" vor.

Den Fund "verdanken" die Forscher dem (nicht nur) in dieser Region Chinas üblichen Handel mit Fossilien. "Er kann zehn, 20, 30 Jahre oder auch nur ein paar Monate alt sein, so genau lässt sich das nicht sagen" fügt Rust hinzu. Zur Zeit des Jura jedenfalls "lebte der Parasit wie die Made im Speck". Fische, seine natürlichen Fressfeinde, kamen in seiner Umgebung nicht vor. "Vielleicht, weil es dort keinen Zufluss gab, durch den sie in das Gewässer hätten gelangen können", wie Rust vermutet. Salamander hingegen habe es in den Süßwasserseen in großer Zahl gegeben. Sie hatten Ähnlichkeit mit dem Axolotl - einem unter Wasser lebenden mexikanischen Schwanzlurch - wie Funde in der Nähe von Ningcheng in der Inneren Mongolei (China) belegen. Dort fanden Wissenschaftler bislang auch Fossilien von rund 300.000 unterschiedlichen Insekten.

Gemeinsam mit dem chinesischen Postdoktoranden Dr. Bo Wang, der mit Förderung der Alexander-von-Humboldt-Stiftung in der Paläontologie der Universität Bonn forscht, und Privatdozent Dr. Torsten Wappler hat Rust den bizarren Parasiten aus dem Jura mit seinem sehr speziellen Körperbau näher unter die Lupe genommen. Die rund zwei Zentimeter große, längliche Fliegenlarve hat im Lauf der Evolution extreme Umbildungen erfahren: Der Kopf ist im Vergleich zum Körper winzig und endet vorne in einem stachelähnlichen Mundwerkzeug. An den komplett zu einem gigantischen Saugnapf umgebildeten Brustteil schließt sich der Hinterleib mit den raupenartigen Beinchen an.

Im Süßwasser krabbelte der Schmarotzer auf einen vorbeischwimmenden Salamander, heftete sich mit seinem Saugnapf fest und durchdrang mit seinem spitzen Stachel die dünne Haut des Lurchs, um Blut zu saugen. "Es werden einige Larven pro Tier gewesen sein, die sich bevorzugt im Bereich seiner Kiemen festgesaugt und dort ernährt haben. Für den Lurch zwar ein lästiges Übel, aber keine ernsthafte Gefahr. "Ein Parasit, der den richtigen Wirt gefunden hat, tötet ihn nicht", bringt Wappler es auf den Punkt: "zumindest solange nicht, bis er sich fortgepflanzt oder wie in diesem Fall seine adulte Form angenommen hat". Dafür, wie die erwachsene Fliege nach der Metamorphose aussah, haben die Wissenschaftler derzeit keinerlei Anhaltspunkte. Möglicherweise ergibt sich auch das durch einen Zufallsfund; falls in der Region beispielsweise eine neue Straße gebaut wird.

Dass sich diese Larve bis heute so gut erhalten hat, liegt an dem feinkörnigen Tonstein, in dem die Tiere eingebettet waren. "Je feiner die Körnung ist, desto besser zeichnen sich die Details in den Fossilien ab", erklärt Rust. Zum anderen haben die Bedingungen im Bodenwasser dafür gesorgt, dass die Zersetzung durch Bakterien unterbunden wurde. "Die extremen Anpassungen im Bauplan von Qiyia jurassica zeigen, wie sehr sich Organismen im Zuge der Evolution spezialisieren können. "Genau diese Spezialisierung", so Rust, "kann einer Art bei Veränderungen der Lebensbedingungen aber früher oder später auch zum Verhängnis werden."

So handelt es sich bei Qiyia jurassica um ein lokales Phänomen - vergleichbar den Lemuren auf Madagaskar und den Beuteltieren in Australien. Die Wahrscheinlichkeit, an anderen Orten auf diese Form zu stoßen, ist äußerst gering. Das macht die bizarre Larve aus dem Jura für die Bonner Paläontologen einmalig: auch, aber nicht nur.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort