Hochschulen scheuen die Mühe mit den Eignungstests

Die meisten Unis wählen weiterhin nach der Abinote aus - Direkte Bewerbung könnte auch in Bonn Vorteile bringen

Bonn. Seit genau einem Jahr sollen deutsche Hochschulen einen Teil ihrer Studierenden selbst auswählen. Doch kaum eine Universität nutzt dieses Stück Freiheit. 20 Prozent der zulassungsbeschränkten Plätze sollen nach Kriterien vergeben werden, die die jeweilige Hochschule festlegt. Jedoch haben sich die meisten Unis dafür entschieden, weiterhin der Abiturnote den Vorrang vor allen anderen Bewertungsmöglichkeiten zu lassen.

Eine vergebene Chance, meint Professor Günter Trost von ITB Consulting Bonn, der seit vielen Jahren in der Testforschung arbeitet. Der Psychologe sieht gerade im Auswahlgespräch die Möglichkeit, Eignungsaspekte zu erfassen, wie Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit, geistige Flexibilität, Überzeugungskraft, Urteilsvermögen, Initiative und Motivation für das Studium. Diese kommen weder in der Abinote noch in Studierfähigkeitstests zum Ausdruck.

Bessere Prognose möglich

Zwar erhöht die Kombination aus beiden - Note und Test - die "Trefferquote" im Hinblick auf den Studienverlauf. Ein Auswahlgespräch aber könne die Prognose noch verbessern, sagt Trost. Allerdings müsse das Gespräch eine klar definierte Struktur und einem Leitfaden folgen. "Sonst wird daraus nur Plauderei."

Darüber hinaus empfinden die Studierenden Auswahlgespräche als positiv, beobachtet der Testforscher. Sie fühlen sich ernstgenommen und sind meist "ihrer" Uni stärker verbunden als wenn sie sich nur einschreiben oder durch die ZVS einer Hochschule zugewiesen werden.

Während Auswahlgespräche an Privathochschulen gängige Praxis sind, finden sich diese nur bei 14 Prozent der Fachbereiche der staatlichen Universitäten, vor allem in der Medizin, kaum in der Psychologie. Dabei biete die Auswahl der Studierenden neben mehr Autonomie viele Chancen für die Hochschulen, sagt Trost: Denn diese werden dazu herausgefordert, das eigene Profil durch Schwerpunkte zu schärfen, die Qualität der Ausbildung zu sichern und die Verantwortung der Professoren für Studierende zu fördern.

Die Erfahrungen von Rosemarie Tracy, Anglistikprofessorin an der Universität Mannheim, scheinen ihm Recht zu geben. "Wir haben nicht nur eine Menge über unsere eigenen Vorstellungen von erfolgreichem Studium gelernt, sondern fühlen uns diesen Studierenden auch in besonderer Weise verpflichtet, gute Forschung und Lehre zu bieten."

Tracy ist eine der wenigen Dozenten, die Studierende im direkten Gespräch auswählen. Baden-württembergische Hochschulen suchen bereits für 40 Prozent ihrer zulassungsbeschränkten Fächer die Bewerber selbst aus. Die Professorin möchte diese Quote für den von ihr betreuten Diplom-Studiengang "Philologie mit wirtschaftswissenschaftlicher Qualifikation" auf 100 Prozent erhöhen, um die wirklich guten jungen Leute zu bekommen.

Ohnehin wäre es besser, wenn zuerst die Unis die Studierenden auswählten, und dann erst die Zulassung über die ZVS zum Zuge käme. Das vierköpfige Team um Tracy hat einen klaren Kriterienkatalog und einen genauen Ablauf für das 30minütige Auswahlgespräch entwickelt.

Nur so lassen sich vergleichbare Aussagen gewinnen, sagt die Professorin. Auf der "Wunschliste" der Eignungen stehen vor allem sprachliche Kompetenz, fächerübergreifendes Denken, Offenheit für andere Kulturen, Durchhaltevermögen, Kritikfähigkeit.

Tracy verschweigt nicht, was viele Hochschulen ohnehin vor Auswahlverfahren zurückschrecken lässt. Auswählen kostet Zeit und Personal. Dank einer Förderung durch den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft kann die Professorin ihr Verfahren durchführen.

Wie es nach Ablauf dieser Unterstützung aussehen werde, hänge vom Engagement der Universität ab. "Solche Verfahren leben von den Leuten, die sich dafür einsetzen."

Die Bonner Universität beteiligt sich nicht an dem Auswahlverfahren. "Das Verfahren ist zu aufwendig und die Effizienz ist fraglich", begründet Wolfram Wickel, Leiter der Studienberatung. Laut Wickel vergibt die ZVS zunächst 80 Prozent der Studienplätze. Für die restlichen 20 Prozent schlägt die Zentralstelle den Hochschulen die dreifache Zahl von Bewerbern vor, aus denen die Unis dann auswählen können.

"Für uns wäre es aber interessanter, wenn wir uns die Bewerber direkt - ohne Vorauswahl der ZVS - aussuchen könnten", meint Wickel. Da die Bewerber erst in einem zweiten Schritt den Unis vorgeschlagen würden, blieben für die Auswahlgespräche nur etwa drei Wochen Zeit. "Das ist viel zu kurz", sagte Wickel. Denn allein im Studiengang Medizin müssten bei diesem Verfahren rund 60 Bewerber vorgeladen werden, in Jura sogar mehr als 200.

Deshalb lässt die Bonner Uni alle Studienplätze durch die ZVS vergeben. "Das machen meines Wissens zwei Drittel aller Hochschulen so", sagte Wickel.

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