Im Gefängnis negativer Gedanken

Viele Menschen sind depressiv und wissen es gar nicht. Eine anonyme Telefonsprechstunde der Bonner Uniklinik hilft bei der Klärung, ob eine ernsthafte Erkrankung vorliegt

Anhaltende Traurigkeit, Niedergeschlagenheit und mangelnder Antrieb: Wer unter einer Depression leidet, zieht sich in sein Schneckenhaus zurück. Die Hemmung ist häufig zu groß, um sich mit Problemen an einen Arzt oder Psychologen zu wenden.

„Depressionen sind immer noch ein Tabuthema, da die Betroffenen als weniger belastbar und weniger leistungsfähig gelten“, sagt Dieter Schoepf, leitender Oberarzt an der Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bonn.

Die Uniklinik hat nun eine 14-tägig stattfindende Telefonsprechstunde für chronisch depressive Menschen eingerichtet. „Sie ist anonym und soll die Schwelle, mit einem Psychotherapeuten Kontakt aufzunehmen, bewusst niedrig halten“, berichtet Schoepf, der die Sprechstunde ins Leben gerufen hat. Er hofft, dass sich Menschen, die sich schon seit längerer Zeit als hilflos und depressiv erleben, bei der Sprechstunde melden.

„Viele Menschen sind depressiv und wissen es noch gar nicht“, berichtet der Psychotherapeut. „Sie sind in einer Spirale negativer Gedanken und Gefühle gefangen.“ Die Sprechstunde soll eine Gelegenheit bieten, den ersten Schritt raus aus dem Gefängnis negativer Gedanken zu wagen. Laut Erhebungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat etwa ein Mensch von 100 akut eine chronische Depression. „Im Lauf des Lebens kämpft etwa jeder fünfte Mensch mit einer depressiven Episode“, sagt Schoepf.

Studien deuten darauf hin, dass die Zahl der an einer Depression chronisch Erkrankten zunimmt. „Das hat wahrscheinlich auch mit den Lebensumständen zu tun: Im Beruf und sogar auch in der Freizeit wird etwa immer mehr Flexibilität und Leistung abverlangt“, berichtet der Therapeut. „Wer da zu perfektionistisch herangeht, fühlt sich schnell überfordert oder ausgegrenzt.“

Vorübergehende Verstimmungen sind auf den ersten Blick von Depressionen gar nicht so einfach zu unterscheiden.

„Wenn Menschen keine Freude mehr empfinden und ihnen ihre Pflichten über Wochen und Monate hinweg als schier unüberwindliche Hürde erscheinen, wenn sich Menschen aus ihrem gewohnten Umfeld zurückziehen oder bestimmte Situationen meiden, kann dies auf eine chronische Depression hindeuten“, nennt Schoepf typische Merkmale. Wer mit solchen Problemen zu kämpfen hat, kann sich an die Telefonsprechstunde wenden.

„Der Anrufer berichtet mir seine Probleme“, schildert Schoepf. „Es geht bei dem Gespräch darum, eine vorläufige Diagnose zu stellen.“ Wenn es Hinweise auf eine chronische Depression gibt, bietet der Arzt an, dass der Gesprächspartner in der Uniklinik vorbeikommen und an einer Therapie teilnehmen kann. „Handelt es sich etwa um eine andere Störung, versuche ich Tipps zu geben, wo es dafür mögliche Ansprechpartner gibt“, sagt er.

Im Mittelpunkt der Therapie steht, die Arbeitsfähigkeit der Patienten zu erhalten. „Eine Methode ist das Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP), das seit 2006 an der Uniklinik erfolgreich eingesetzt wird“, berichtet der Therapeut.

Ansatzpunkt ist, dass die Betroffenen sich gar nicht bewusst sind, welche Wirkung ihr Verhalten auf ihr Gegenüber hat. Bei dieser Therapieform meldet der Therapeut dem Patienten seine eigenen emotionalen Reaktionen auf dessen Verhalten zurück.

„Das eröffnet dem Patienten die Chance, Konsequenzen des eigenen Verhaltens zu erkennen und daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen“, sagt Schoepf. Manchmal genüge nur eine erstaunlich kleine Verhaltensänderung der Patienten, die eine positive Reaktion der Umwelt hervorruft.

So wirkte eine Patientin mit Depressionen auf den Therapeuten sehr arrogant. Er sprach sie darauf an, dass sie während der Therapiestunde immer wieder ihren Kopf abwandte und ein verächtliches Gesicht machte. „Wissen sie, welche Wirkung ihr Verhalten, sich abzuwenden und die Mundwinkel nach unten zu ziehen, auf mich gerade gehabt hat?“, fragte er. „Nein“, antwortete die Patientin nach einer Pause. „Ich fühlte mich verachtet“, entgegnete der Therapeut. „Das wusste ich nicht“, sagte darauf die Patientin.

Durch die Vergegenwärtigung in der Therapie konnte sie ihre unbewusste Botschaft ändern und in etwas Positives verwandeln. „So wie man das Verhalten erlernt hat, das einen in die Depression führte, kann man auch ein Verhalten einüben, das einen aus dem Gefängnis der negativen Gedanken wieder herausführt“, ist Schoepf überzeugt.

Bei einer chronischen Depression sei die Rückfallgefahr immer gegeben. „Doch langfristige Therapien können die Risiken minimieren“, sagt Schoepf. Nachdem Symptomfreiheit erreicht worden ist, reiche häufig eine Therapiestunde im Abstand von einigen Monaten, um die Gefahr einer erneuten Depression zu bannen.

Telefonsprechstunde

Dieter Schoepf, Leitender Oberarzt an der Bonner Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Gespräch

GA: Wird die Behandlung von der Krankenkasse bezahlt?

Dieter Schoepf: Normalerweise klärt man mit der Krankenkasse, welche Therapien abgerechnet werden können. Patienten, die sich bei der Telefonsprechstunde melden und sich wegen einer chronischen Depression bei uns behandeln lassen, müssen nichts bezahlen. Sie nehmen an einer wissenschaftlichen Behandlungsstudie teil, die die Wirksamkeit der Verhaltenstherapie untersucht. Für die Patienten ist das aber eine ganz normale Behandlung.

GA: Wie lange dauert die psychotherapeutische Behandlung?

Schoepf: Eine Psychotherapie dauert in der Regel insgesamt 32 Stunden. Anfangs findet die Behandlung etwa zwei Mal für jeweils eine Stunde pro Woche statt. Die Abstände werden dann immer größer. Nach 48 Wochen sind die meisten Patienten weitgehend symptomfrei.

GA: Behandeln Sie Depressionen auch medikamentös?

Schoepf: Im Vordergrund steht die nichtmedikamentöse Behandlung. Die Leitlinien schreiben jedoch vor, dass etwa suizidgefährdete Personen zunächst pharmakologisch behandelt werden müssen, um Risiken auszuschließen. Erst dann folgt eine Psychotherapie. Der Behandlungsplan wird mit den Patienten genau besprochen.

KontaktDie Telefonsprechstunde fi ndet 14-tägig montags von 14 bis 16 Uhr statt. Eine Anmeldung ist anonym unter Tel. (0228) 28 715 794 möglich. Die Spezialisten der Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie rufen dann während der Sprechstunde in der Reihenfolge der Anmeldungen zurück. Kosten: Für Teilnehmer der Telefonsprechstunde ist die Behandlung kostenlos.

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