Eine studentische Sicht auf einen umstrittenen Dozenten Katastrophen und Diplomatie

BONN · James D. Bindenagel fühlt sich angekommen an der Universität. Der Stiftungsprofessor für Internationale Beziehungen und Völkerrecht und ehemalige US-Botschafter kennt sich seit seiner Zeit als Diplomat in Bonn bestens aus und zeigt sich begeistert von seiner Aufgabe als Dozent.

 Umstritten: Professor James Bindenagel.

Umstritten: Professor James Bindenagel.

Foto: Barbara Frommann

"Sehr positiv" sei die Zusammenarbeit im Kollegium, und neben den eigenen Lehrtätigkeiten plant er zahlreiche Kooperationen, so zum Beispiel ein "außenpolitisches Frühstück". Was sein eigenes Seminar angeht, zeigt sich der wohl umstrittenste Dozent der Hochschule positiv überrascht, dass sich Studierende an einem Freitagmorgen freiwillig zusammenfinden, um über außenpolitische Themen zu diskutieren. Zum Streit um seine Professur sagt er, ihm gefalle "die kritische Haltung der jungen Leute".

Viel ist über die Stiftungsprofessur, die vom Verteidigungs- und vom Außenministerium finanziert wird, geschrieben und diskutiert worden. Die kleine Schar von sieben Studierenden, die sich im abgelaufenen Semester zum Seminar "Internationales Konfliktmanagement" einfand, nimmt sich im Vergleich zur vorhergehenden Aufregung da recht winzig aus. Nach anderer Lesart könnte dies auch ein Resultat dessen sein, doch dazu später mehr.

Was ist von dem Streit geblieben? Wird hier (so lautete ein Kritikpunkt) die Freiheit der Wissenschaft auf dem Altar der Interessen des Geldgebers der Stiftungsprofessur geopfert - also des Verteidigungsministeriums? Die Frage lässt sich aber auch anders stellen. Ist James D. Bindenagel überhaupt ein neutraler, objektiver Dozent? Wenn nicht, welche Probleme macht das?

Darauf ließe sich zunächst antworten, dass echte, totale Objektivität eine unerreichbare Utopie ist. Jeder Mensch durchläuft einen langen, individuellen Prozess der Prägung und bringt ein komplexes kulturelles Erbe mit, das die Wahrnehmung der Realität bedingt und Perspektiven beeinflusst. Um hier gegenzusteuern, hat sich die Wissenschaft konkrete Arbeitsregeln gegeben: So muss sich wissenschaftliches Arbeiten unter anderem dadurch auszeichnen, dass zwischen eigenen Schlussfolgerungen und fremden Aussagen streng getrennt und der Unterschied kenntlich gemacht wird. Durch die strikten wissenschaftlichen Regeln wird Nachvollziehbarkeit und Widerlegbarkeit zur Essenz von Wissenschaft. Die Erfahrungen eines hochrangigen Diplomaten können den Diskurs (innerhalb dieser Regeln!) durchaus bereichern.

Der Blick auf James D. Bindenagels Seminarplan hinterließ jedoch zumindest Verwunderung. Warum war keiner der aktuellen Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten im Irak und in Syrien berücksichtigt worden? Bindenagel rechtfertigt dies so: "Der IS eignet sich nicht für die Betrachtung, da die mit ihm verbundenen Konflikte nur mit Waffengewalt gelöst werden können. Der IS ist eine Katastrophe, und der Neubeginn ist eine strategische Frage der Diplomatie."

Doch ist es nicht eine Kernaufgabe der Konfliktforschung, die Ursachen zu analysieren? Nicht ausschließlich, sagt Bindenagel. Des Öfteren kritisierte der Dozent im Laufe des Seminars die "deutsche Neigung, sich in der Historie von Konflikten zu verlieren und dadurch untätig zu sein". Er geht sogar noch einen Schritt weiter: Die Aussage "Nie wieder Krieg von deutschem Boden" sei "etwas arrogant". Denn schließlich gelte: "You are not interested in war, but war is interested in you."

Nein, James D. Bindenagel ist kein neutraler Dozent. Er war Vertreter einer Institution, die Gegenstand der Forschung ist, die er betreibt. Ein Berufsleben im diplomatischen Dienst der USA hat seine Perspektiven und Ansichten geprägt. Doch ist dies ein Problem? Diese Frage ist politisch und intellektuell breit diskutiert worden - aber die Antwort liegt auch bei den Studierenden selbst. In den Sozialwissenschaften lässt sich der Studienplan selbstständig konzipieren. Das heißt: Wer ein Lehrangebot problematisch findet, kann ihm aus dem Weg gehen - oder er kann im Gegenzug solche ergänzenden Angebote wahrnehmen, die andere Perspektiven eröffnen.

Der Autor Samuel Gönner, freier Mitarbeiter des General-Anzeigers, studiert an der Universität Bonn im ersten Mastersemester Politikwissenschaft.

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