Klimawandel: Bonner Geographen erforschen Eis im Hochgebirge

Forscher erwarten für die nächsten Jahrzehnte Bergstürze katastrophaler Ausmaße - Der Tomograf blickt ins "Felsenhirn"

Klimawandel: Bonner Geographen erforschen Eis im Hochgebirge
Foto: Uni Bonn

Bonn. Langsam arbeiten sich die Bonner Geographen mit Seil und Steigeisen auf 3 200 Meter Höhe vor. Minus acht Grad, starker Wind, Regen. Die Kabeltrommeln und Akkus im Gepäck sind schwer. Am Steintälli, einem Felsgrad zwischen Turtmanntal und Mattertal in der Schweiz, sind die Forscher dem Eis auf der Spur, das sich da droben auch im Sommer in Felsspalten hält. "Wenn dieses Eis schmilzt, wird es gefährlich", berichtet Michael Krautblatter vom Geographischen Institut der Universität Bonn. "Es wirkt dann wie ein Schmiermittel, weshalb es zu Felsstürzen kommen kann."

Im Wärmesommer 2003 kam auch im Mattertal vom Matterhorn ein Felssturz herunter. "90 Leute mussten mit dem Hubschrauber evakuiert werden", berichtet Krautblatter. Glücklicherweise kam niemand dabei ums Leben. Doch in den folgenden Wochen brach der Tourismus ein. "Der heiße Sommer führte weltweit zu einer Reihe spektakulärer Felsstürze", sagt der 30-jährige Wissenschaftler, der derzeit in einem Graduiertenkolleg eine Promotion zum Thema "Permafrost" schreibt.

Mit Permafrost ist Material gemeint, das im gefrorenen Zustand den Sommer überdauert. Dazu zählen etwa Gletscher oder gefrorene Böden, doch Krautblatters Spezialgebiet ist wegen dessen Tücken der gefrorene Fels. Das Untersuchungsgebiet oberhalb des Mattertals ist die "Spielwiese" der Bonner Geographen. Da dieser große Fels seit vielen Jahren besonders gut untersucht ist, testen die Forscher an ihm neue Methoden.

Sein wichtigstes Untersuchungsgebiet ist derzeit jedoch die 2962 Meter hohe Zugspitze. "Das System steht auf der Kippe und reagiert besonders sensibel auf Umwelteinflüsse - etwa die globale Erwärmung", sagt Krautblatter. Durch die Klimaerwärmung habe es mehrere Felsabstürze ins benachbarte Höllental gegeben.

Außerdem sind dort die Untersuchungsbedingungen besonders günstig. Die Österreicher haben unterhalb des Zugspitzgipfels in den Jahren 1927 und 1928 einen Stollen angelegt. "Der Gang ist gut erreichbar", berichtet Krautblatter. Bis in die 50er Jahre hinein marschierten die Skiläufer durch den rund anderthalb Kilometer langen Tunnel, der den ehemaligen Skilift auf österreichischer Seite mit dem Skigebiet in Deutschland verband. Dann brannte die Bergstation ab, doch der Tunnel auf 2 800 Metern Höhe existiert heute noch.

Der Geograph hat mit seinem Team in dem Gang mehrere Temperaturfühler angebracht, die rund 40 Zentimeter in den Fels hineinragen. Ein Computer zeichnet jede Stunde automatisch die Werte der Messfühler auf. "Die Temperatur im Fels geht auch im Sommer nie über minus 0,5 Grad hinaus", berichtet Krautblatter, der an eine Studie von Andreas von Poschinger vom Bayerischen Landesamt für Umwelt und der Universität Zürich anknüpft. Die Forscher wollen herausfinden, wie sich der Permafrost angesichts des immer wärmeren Klimas verändert. "In zehn bis 20 Jahren gibt es an der Zugspitze vielleicht überhaupt kein ausdauerndes Eis mehr", vermutet der Bonner Geograph.

Um herauszufinden, wo im tieferen Fels noch vereistes Material schlummert, blicken die Geographen mit tomografischen Methoden ins zerklüftete Gestein des Tunnels. "Wir arbeiten ähnlich wie Hirnforscher, die mit einem Tomografen krankhaftes von gesundem Gehirngewebe unterscheiden", meint Krautblatter. Er unterscheidet zwischen gefrorenem und ungefrorenem Fels.

Für ihren Blick ins "Felsenhirn" schraubten die Wissenschaftler zehn Zentimeter lange Stahlschrauben in das Gestein entlang des Zugspitzstollens. "Wir können mit unserem Rechner jede einzelne Schraube ansteuern und Strom anlegen", schildert Krautblatter. Wasser in den Poren des Felses leitet den elektrischen Strom besonders gut, Eis dagegen praktisch nicht.

Damit lässt sich also feststellen, um welche Schrauben herum Eis vorkommt. Außerdem montierten die Forscher insgesamt 24 Mikrophone in der Felsenwand, die Schallwellen aufzeichnen, die Krautblatter vorher mit dem Schlag eines schweren Hammers auslöste. "Im gefrorenen Fels bewegen sich die Schallwellen ein bisschen schneller als im ungefrorenen Gestein", erläutert der Geograph. Die Unterschiede betragen jedoch nur wenige Tausendstel Sekunden auf mehreren hundert Metern.

Krautblatter drückt auf eine Taste seines Laptops, ein Querschnitt durch den Zugspitzgrat erscheint. "Aus Hunderten solcher Werte setzen wir ein räumliches Bild zusammen", erklärt der Geograph. Trockener Fels erscheint in der Darstellung grün, wassergefüllte Bereiche sind orange und der Permafrost erscheint violett. "Wir vergleichen die Ergebnisse der verschiedenen Verfahren", erläutert der Forscher. "Sie stimmen sehr gut überein." Ein Hinweis darauf, dass die Methoden richtig arbeiten.

Der Wissenschaftler wurde auf seiner Suche nach sommerlichen Eis meist an besonders steilen Flanken fündig. "Dort kann sich kein Schnee halten, der den darunterliegenden Fels isoliert", begründet er. "Die Verhältnisse an der Zug~spitze sind inzwischen so kritisch, dass nur noch dort Permafrost vorkommt." Den Bonner Forscher treibt deshalb die Frage um, was in 100 Jahren passiert, wenn auch der restliche Permafrost in großen Tiefen allmählich durch die Klimaerwärmung aufgetaut ist.

"Dann kommen wir in eine Phase, in der es noch viel mehr gefährliche Fels- und Bergstürze mit katastrophalen Folgen für die Menschen geben wird", prognostiziert Krautblatter. "Vieles deutet darauf hin." Unter etlichen Bergstationen, Alpenhütten und Skirestaurants kriecht durch aufschmelzendes Eis bereits der Gesteinsschutt. "Davon zeugen Risse in den Gebäuden und schräg stehende Pfeiler von Skiliften", berichtet der Bonner Forscher. "Die Sanierungskosten sind extrem hoch - sofern sich das überhaupt reparieren lässt."

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