Lehre oder Leere?
BONN · Sie sind höflich und harmlos. Fordert man sie auf, Position zu beziehen, fragen sie, ob es dafür Punkte gibt. Diskutiert wird wenn es an die Noten geht. Es ist ein desaströses Bild, das die Bonner Politologin Christiane Florin von heutigen Nachwuchs-Akademikern zeichnet.
"Warum unsere Studenten so angepasst sind" heißt Florins im Herbst erschienene, knapp 80 Seiten lange Streitschrift (Rowohlt-Tb., 4,99 Euro).
Unter demselben Titel (ohne Fragezeichen!) hatte die Universität jetzt zur Diskussion geladen. Auf dem Podium außer Florin selbst (seit 14 Jahren ist sie Lehrbeauftragte am Uni-Institut für Politische Wissenschaft): Peter Greisler vom Bundesbildungsministerium, Willi Nikolay (ehemaliger Direktor des Clara-Schumann-Gymnasiums) und Jens Mutke (Dozent am Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen). Auf Studentenseite waren Charlotte Jahnz (Geschichte) und Jonas Schroer (Biologie) dabei. Moderiert wurde die Runde in der Reihe "Die Zukunft der Universität" von dem Kulturjournalisten David Eisermann (selbst Bonner Alumnus) vor einem fast vollbesetzten Hörsaal 1 - mit 342 Sitzplätzen ist das immerhin der zweitgrößte, den das Hauptgebäude aufzubieten hat.
So viel vorweg: Florin weicht um kein Jota von ihrer Position ab, muss sich beim Blick aufs Plenum aber auch nicht über die in ihrer Streitschrift karikierten Anderthalb-Liter-Wasserflaschen ärgern. Wir haben drei große Themen der Diskussion zusammengefasst.
lDiskussionskultur: Lohnen sich Allgemeinbildung und Meinungen noch? Diskutieren, sich engagieren, gelegentlich über das eigene Fach hinausschauen - oder in einem behüteten Umfeld den Lebenslauf planen? Die Studenten haben die Wahl. Tatsächlich? Was Florin in ihrem als "Polemik" bezeichneten Buch beschreibt, beschränke sich nicht auf Bonn, sagt sie. Es sei eine Bestandsaufnahme der Studentenschaft schlechthin: übertriebener Formalismus, oft erschreckende inhaltliche Leere und eine gewisse "Überraschungsresistenz".
Viele Studenten hätten Angst vor Punktabzug, wenn sie eine Meinung äußerten, die von der des Dozenten abweiche, und viele hätten bereits die frustrierende Erfahrung machen müssen, dass durchgearbeitetes Wissen sich nicht lohne. "Ich küsse jedem die Füße, der in seiner Arbeit eigene Gedanken erkennen lässt", sagt Florin. Bildung werde als Allheilmittel überhöht und zugleich innerlich immer weiter ausgehöhlt. Und der Ansage eines ihrer Seminarteilnehmer sei wohl nichts hinzuzufügen: "Wenn Sie debattieren wollen, machen Sie das doch auf Facebook!"
lRegelstudienzeit und finanzielle Zwänge: "Ja, wir Studenten sind motiviert, die Regelstudienzeit einzuhalten", bringt es ein Zuhörer auf den Punkt. Dem Satz, der Peter Greisler zufrieden lächeln löst, folgt allerdings eine bittere Bestandsaufnahme: Werden sechs Semester bis zum Bachelor überschritten, gibt es in der Regel kein Bafög mehr. "Das ist Ansporn genug, das dürfen Sie glauben" - begleitet von dem Umstand, jobben zu müssen, und von den Problemen, eine Unterkunft zu finden. Da bleibe nur wenig Zeit und Lust, um Rilke zu lesen oder sich Gedanken über gesellschaftliche Fragen zu machen.
Stattdessen bestimme den Alltag oft das von Florin dargestellte "Bulimielernen" - Wissen in sich reinstopfen und auf Kommando wieder ausspucken. Eine Erfahrung, die Student Jonas Schroer bestätigt. Auch wenn es wohl immer so gewesen sei, dass einen im Lauf des Studiums nicht alles gleichermaßen interessiere. In gewissem Maße gehöre das Reinpauken dazu, aber inzwischen sei es "zum Teil extrem".
Was ist ein Abschluss heute noch wert? Die Inflation der guten Noten: Dass "nur Einsen und Zweien vergeben werden", möchte die Studentin Charlotte Jahnz so nicht stehen lassen. Auch sie habe sich mitunter schon mit einer Drei begnügen müssen. Auf der anderen Seite, so sagt Florin, gebe es durchaus Druck auf die Lehrenden, den Studenten nicht den Lebensweg durch mittelmäßige Zensuren zu verbauen. Das beginne bereits in der Schule: Habe es früher "pro Abiturjahrgang zwei oder drei Schüler mit einer eins vor dem Komma" gegeben, sei diese Note heute "inflationär". Dazu sagt Willi Nikolay: "Durch die Einführung des Zentralabiturs ist der Schnitt um ein bis zwei Noten besser geworden. Das ist so gewollt."
Der Biologe Jens Mutke beobachtet einen gegenläufigen Trend: "Vor ein paar Jahren lag der Diplomschnitt noch bei 1,54, jetzt ist es 2,4." Schüler und Studenten würden nicht generationsweise dümmer oder schlauer: "Die Anforderungen der globalen Welt sind andere", skizziert Peter Greisler. "Die Mitbestimmungsdiskussionen der 1970er gehören der Vergangenheit an. Heute gehe es "nicht mehr darum, etwas zu verändern, sondern sich in der Welt, wie sie ist, zurechtzufinden."
Ein Zustand, den Florin anprangert. Das "Diktat der Effizienz" lasse kaum Raum für eigene Gedanken. "Mein Plädoyer: Nehmt etwas von diesem Druck raus." Und an die Adresse der Studenten: " Nur weil die Zukunft unsicher erscheint, muss man doch nicht stromlinienförmig sein."