Spurensuche zu Ostern Wer war Maria Magdalena?

Bonn · Sie gilt als eine der berühmtesten Frauen der Kirchengeschichte – und bleibt doch geheimnisvoll. Ihr Lebensweg ist nicht überliefert. Wer war Maria Magdalena?

„Noli me tangere“ („Rühr mich nicht an“): Ein Fresko des italienischen Malers Fra Angelico im Kloster von San Marco in Florenz.

„Noli me tangere“ („Rühr mich nicht an“): Ein Fresko des italienischen Malers Fra Angelico im Kloster von San Marco in Florenz.

Foto: Wikicommons

Eine der berühmtesten Frauen der Kirchengeschichte ist Maria Magdalena, die Jüngerin Jesu. Ihr Bekanntheitsgrad erstaunt, weil die Paulusbriefe, die Evangelien, die Apostelgeschichte und die frühen Kirchenschriftsteller keine Vita der Frau aus Magdala überliefern. Zwei Jahrtausende lang reizte das Nichtwissen die Fantasie von Gläubigen wie Andersgläubigen, von Schriftstellern und Malern, brachte unzählige Kirchenpatronate, Publikationen, Bilder und Statuen hervor, ebenso Musikstücke und Filme.

Doch die Frau, aus der Jesus sieben Dämonen ausgetrieben haben soll, bleibt geheimnisvoll. Ihre Nähe zu Jesus, die selbst aus den kargen Worten der Evangelisten aufscheint, hat die Mutmaßungen beflügelt, und aus der Jüngerin wurde die Geliebte oder gar die Ehefrau des Rabbi aus Nazaret. Was sich viele so gut vorstellen können, ist weder biblisch noch historisch fundiert.

Maria Magdalena stand für sich, wurde nicht über einen Mann definiert, sondern über ihren Herkunftsort

Das gilt auch für die legendarische Tradition, die Maria Magdalena zu einer Prostituierten gemacht hat. Doch die Dämonen, unter denen sie gelitten hat, stehen nicht für eine ausschweifende Sexualität, sondern symbolisieren antiker Auffassung zufolge eine schwere physische oder psychische Krankheit. Eine literarische Verschmelzung mit der namenlosen Sünderin aus dem Lukas-Evangelium, die Jesus auf einem Gastmahl salbte, verfestigte das Bild der sündhaften Frau.

Die fehlende Liebesgeschichte ist kein Grund enttäuscht zu sein. Maria Magdalena stand für sich, wurde nicht wie damals üblich über einen Mann definiert, sondern über ihren Herkunftsort. Da die Evangelisten Markus, Lukas und Matthäus sie meist an erster Stelle der Jüngerinnen nennen, war sie wohl die Sprecherin der Frauen unter den Getreuen. Nahe liegt ein Vergleich mit Petrus, der unter den Männern eine Vorrangstelle bekleidete.

Außer Maria Magdalena überliefern Lukas und Markus weitere Frauen, die Jesus und seine Jünger „mit ihrem Vermögen“ unterstützt haben. Aus den Finanzspritzen für Jesu Wander- und Lerngemeinschaft hat man geschlossen, dass die namentlich überlieferten Jüngerinnen gut situiert waren. Diese Vermutung mag vor allem auf Susanna zutreffen, die Frau des Chuzas, der am Hof des König Herodes eine hohe Stellung bekleidete. Aber auf Maria Magdalena? Da sie wie die vermögende Purpurhändlerin Lydia aus dem griechischen Philippi (die Paulus zur Erstbekehrten Europas gemacht hat) wohl unverheiratet lebte, hat man auch ihr Vermögen angedichtet. Als Beweis diente ihre Herkunft aus Magdala, einem blühenden, hellenistisch geprägten Städtchen am See Genesaret.

Magdalas semitischer Name Migdal Nunaya bedeutet „Turm der Fische“, und auch das griechische Pendant Tarichaia hat mit Fisch zu tun: ein Ort, an dem gesalzener Fisch hergestellt wird. Ausgrabungen belegen einen hohen Lebensstandard zu Marias Lebzeiten. Dem jüdischen Schriftsteller Flavius Josephus zufolge besaßen die Einwohner 230 Schiffe, und der Hafen mit seinen 200 Metern Breite und einem 70 Meter weiten Wellenbrecher gehörte zu den größten am See. Eine gut betuchte Oberschicht genoss das Leben in Stadtvillen. Ob Maria Magdalena dazu gehörte und durch einen eigenen Fischereibetrieb finanziell auf eigenen Füßen stand, kann jedoch nur vermutet werden.

„Der auferstandene Herr erschien als Erstes den Frauen, und sie wurden Apostelinnen der Apostel“

Maria Magdalena war Augen- und Ohrenzeugin für Jesu öffentliches Wirken, Sterben und seine Auferstehung. Wahrscheinlich befand sie sich mit weiteren Jüngerinnen auch in dem Jerusalemer Obergemach, wo Jesus das letzte Abendmahl feierte. Denn Markus, der sein Evangelium bereits zwischen 60 und 70 nach Christus schrieb, überliefert (Mk 15,41): „Sie waren Jesus schon in Galiläa nachgefolgt und hatte ihm gedient; noch viele andere Frauen waren dabei, die mit ihm nach Jerusalem hinaufgezogen waren.“

Spätestens jetzt geht es doch um Liebe, eine Liebe, die jede Angst verscheucht. Im Gegensatz zu Petrus und den anderen Männern (außer Johannes), die nach Jesu Verurteilung geflohen waren, harrten Maria Magdalena, Maria, die Mutter Jesu, und weitere Frauen in der Nähe des Kreuzes aus, an dem Jesus qualvoll starb. Das war todesmutig: Die Römer fackelten nicht lange, wenn sie „Unterstützer von Aufrührern“ entdeckten. Dabei machten sie selbst vor Frauen und Kindern nicht Halt.

Selbst nach seinem Tod ließen die Jüngerinnen ihren Rabbi nicht allein. Sie begleiteten ihn zum Grab und hielten die Totenwache. Und es scheint, als ob Jesus sie für ihre Treue belohnen wollte: Er berief die Frauen am Grab zu den ersten Zeugen seiner Auferstehung. Frauen als Zeuginnen – das war provokant, sprach die Antike doch dem angeblich schwachen und leichtsinnigen Geschlecht das Zeugnisrecht ab. Nach altjüdischem Gesetz galten Frauen, Kinder und Geisteskranke als unglaubwürdig. Vielleicht mochten auch deshalb die verzweifelten Jünger der Auferstehungsbotschaft der Zeuginnen zunächst nicht recht trauen.

Die größte Wertschätzung erfährt Maria Magdalena im Johannesevangelium. Hier begegnet sie als Erste und Einzige dem auferstandenen Jesus, den sie zunächst für den Gärtner hält. Erst als Jesus sie bei ihrem hebräischen Namen Mirjam ruft, erkennt sie ihn und nennt ihn wie gewohnt „Rabbuni“ – „mein Meister“. Der spricht sein berühmtes „Rühr mich nicht an“ und entlässt seine Lieblingsjüngerin mit einem Auftrag, der nicht hoch genug einzuschätzen ist: „Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20,17).

Der Verkündigungsauftrag macht die Jüngerin zur Apostola Apostolorum – zur „Apostelin der Apostel“, ein Titel, der in der frühkirchlichen Literatur erscheint und allen Osterzeuginnen zufällt. So stellte Hieronymus im 4. Jahrhundert heraus: „Der auferstandene Herr erschien als Erstes den Frauen, und sie wurden Apostelinnen der Apostel, damit die Männer erröten, weil sie nicht suchten, was das schwächere Geschlecht fand.“ Ohne Abwertung kommt aber auch der Kirchenvater nicht aus und deutet eine Diskussion an, die der weibliche Ehrentitel nicht nur unter Theologen ausgelöst hatte. Bereits ein Jahrhundert vor Hieronymus hatte der Christenfeind Celsus gehöhnt: „Wer hat dies gesehen? Eine wahnsinnige Frau, wie ihr sagt.“ In den Augen der Vielgötterverehrer machte das Zeugnis einer Frau die neue Religion verdächtig. Und das wollte die geistliche Elite der sich bildenden Kirche unbedingt vermeiden.

Dass die frühen Christen und Christinnen eifrig über das Schicksal der Lieblingsjüngerin und damit über die Rolle der Frauen in der Kirche diskutierten, offenbart das „Evangelium nach Maria“ aus dem 2. Jahrhundert. Wegen häretischer (gnostischer) Tendenzen ist die fragmentarisch überlieferte Schrift nicht ins Neue Testament aufgenommen worden. Maria von Magdala erscheint hier als starke Persönlichkeit, die nach Jesu Abschied an die Stelle des Auferstandenen tritt und die verzagten Jünger ermutigt. Als Petrus sie bittet, ihre persönliche Belehrung durch Jesus an die Jünger weiterzugeben, bezweifeln diese Marias Autorität und die Authentizität ihrer Worte. Auch Petrus verbirgt seine Eifersucht nicht: „Sprach er denn mit einer Frau heimlich vor uns und nicht offen? Sollen wir umkehren und alle auf sie hören? Hat er sie uns gegenüber bevorzugt?“ Nur ein Jünger verteidigt die Kritisierte und ihren Lehrauftrag: „Wenn der Erlöser sie aber würdig gemacht hat, wer bist denn du, dass du sie verwirfst? Sicher kennt der Erlöser sie ganz genau. Deshalb hat er sie mehr geliebt als uns.“

Fast 2000 Jahre Kirchengeschichte sind vergangen. Und wo stehen wir heute? Ostern ist das Fest der Hoffnung. Selbst wenn die Hoffnung aus vielerlei Gründen ab und an schwächelt, bleibt immer noch die Liebe, die Maria Magdalena und ihre Mitstreiterinnen vorgelebt haben. In diesem Sinn: Frohe Ostern.

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