Reise durch Homers "Odyssee" Poetin Barbara Köhler gibt neue Einblicke

BONN · Im Seminar der Dichterin Barbara Köhler werden aus Studenten antike Helden. Wie sich Odysseus im 9. Gesang der "Odyssee" präsentiert, so stellen sich auch die Studenten in Versform vor. Simone deklamiert: "Wir sprachen in der letzten Stunde / über Namen und deren Kunde." Miriam dichtet: "Schon viele Werke der Literatur habe ich gelesen und seh: / Nun fehlen mir noch Erfahrungen zu Homers Odyssee."

 Die Poetin im Seminar: Barbara Köhler ist die zweite Inhaberin der Thomas-Kling-Poetikdozentur an der Uni Bonn.

Die Poetin im Seminar: Barbara Köhler ist die zweite Inhaberin der Thomas-Kling-Poetikdozentur an der Uni Bonn.

Foto: Sascha Stienen

Mit dieser Selbstvorstellung nach Art von "Laertes' Sohn" Odysseus sind die Studenten mittendrin im berühmten Epos. Wie schon im Sommersemester nimmt sich Barbara Köhler, Jahrgang 1959, mit den Studierenden die "Odyssee" vor. Im Rahmen der Thomas-Kling-Poetikdozentur an der Universität Bonn begibt sich die Duisburger Autorin mit 23 Studenten einmal die Woche auf eine abenteuerliche Reise durch "die Mutter aller Fantasy-Stories".

Dabei interessiert Köhler vor allem, wie Homers Text zu aktualisieren sei und wie viel Welt von heute in diesem Basismythos der Menschheit steckt. "Am Anfang war's der blanke Horror", beschreibt die Autorin, wie sie als Schreibtischtäterin erstmals im Seminar stand. Doch ein Semester später hat sie schon reichlich Routine.

Markante schwarze Brille, Pferdeschwanz, grüner Wollpulli, feiner langer Schal, rote Schuhe unter dunkler Hose: So steht die Dichterin vor dem Seminar in der germanistischen Bibliothek und gibt die Teilnehmerliste rund - mit dem nicht ganz ernst gemeinten Hinweis, dass die Professionalisierung des Seminars weiter fortschreite.

Bevor es an die Odyssee geht, gibt Barbara Köhler den Studenten noch zwei Hörproben der Sprachkünstler Thomas Kling und Oskar Pastior: "Das kriegen Sie jetzt original auf die Ohren", sagt sie. Es läuft Klings "Manhatten Mundraum" von 1996. "Die stadt ist der mund / raum. die zunge, textus", hebt der Dichter an und lässt einen wie besessen klingenden Wortschwall folgen.

"Das war jetzt massive Darbietung", kommentiert Barbara Köhler. Und statt den Text des "Ich-schreib-so-laut-ich-kann"-Dichters Kling zu erklären, lässt sie ihn einfach wirken und geht über zu Oskar Pastior. "Der ist leider auch schon tot", sagt sie und erinnert an einen "der tollsten Kollegen", der ohne Klatsch und üble Nachrede gelebt habe. "Glauben Sie nicht, dass es unter Autoren immer nett zugeht", verrät Barbara Köhler. "Und Oskar war ein wundervoller Vorleser."

Das beweist der geschickte Silbenverdreher in "tacho eschnapur" und "Testament - auf jeden Fall" (beide von 1997). Zwischendurch rezitiert Barbara Köhler aus dem Booklet seiner CD: "Hören Sie, Kopfkehlchen, hören Sie!", und die Freude über soviel Sprach- und Stimmkunst ist ihr dabei anzumerken. Pastiors Kehlkopfkunst hört sich an wie eine süddeutsche Indianersprache, in der die Wörter klingen, als gingen sie über Stock und Stein oder klapperten eine Treppe herunter.

Offenbar gefallen den Studenten die Exkurse in die Weltliteratur. Hannah Pfleghart sagt, sie empfinde das Seminar als spannend und abwechslungsreich. "Das Seminar eröffnet mir neue Blickwinkel auf literarische Texte." Köhler vermittle die Inhalte mit spürbarer Leidenschaft und gebe auch Einblicke ins eigene Schaffen.

Eine Stunde nach Seminarbeginn gelangt das Seminar zu der Stelle in der "Odyssee", wo davon erzählt wird, wie Helena in Troja um das berühmte hölzerne Pferd herum ging. Reihum tragen die Studenten die Verse vor.

Poetikdozentur:
Barbara Köhler ist die zweite Inhaberin der Thomas-Kling-Poetikdozentur an der Uni Bonn. Namhafte Autoren und Übersetzer aus Nordrhein-Westfalen bekommen für jeweils zwei Semester das Stipendium der Kunststiftung NRW. Im Rahmen der Dozentur bietet Barbara Köhler auch eigene Lehrveranstaltungen an.

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